Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.es dir gedenken! Dann schloß er noch einmal so innig die Bebende an sich und drückte einen Kuß auf ihre Wangen. Was du auch gehört haben magst, verlaß dich darauf, nur aus meinem Munde kannst und darfst du die Wahrheit vernehmen. Ja, allerdings, mein süßes Mädchen, ich bin nicht Der, der ich scheine; allein was kümmert das dich? Ob Fürst, Graf oder Bauer, kann ich etwas Anderes und Höheres sein, als dein Freund? Du kennst die Welt nicht, Schätzchen; es wäre daher rein vergeblich, dir Verhältnisse zu erklären, Namen und Titel zu nennen, die für dich keine Bedeutung haben können. Genug, daß wir uns kennen, daß wir uns lieben. Scholastika schrak bei diesem Worte zusammen: Lieben? rief sie; ich dich lieben, du mich! Ich, eine Nonne! O Gott! -- Sie brach von Neuem in Thränen aus. Unser Loos ist einmal geworfen! rief Dimitri. Als ich zum erstenmal dich erblickte, schwur ich, daß du mein werden solltest. Nur deinetwegen hab' ich mich hier als Knecht verdungen, nur deinetwegen mich in diese heiligen Mauern gedrängt: ich werde sie nicht verlassen ohne dich. Scholastika blickte ihn entsetzt und mit weit geöffneten Augen an. So ist's! rief er, und seine dunkeln Blicke sprühten Feuer; ich entführe dich dieser beschränkten Zelle, in der deine Jugend und Schöne wie in Grabeseinsamkeit weilt; ich bringe dich in die Welt, die ich so oft deiner Phan- es dir gedenken! Dann schloß er noch einmal so innig die Bebende an sich und drückte einen Kuß auf ihre Wangen. Was du auch gehört haben magst, verlaß dich darauf, nur aus meinem Munde kannst und darfst du die Wahrheit vernehmen. Ja, allerdings, mein süßes Mädchen, ich bin nicht Der, der ich scheine; allein was kümmert das dich? Ob Fürst, Graf oder Bauer, kann ich etwas Anderes und Höheres sein, als dein Freund? Du kennst die Welt nicht, Schätzchen; es wäre daher rein vergeblich, dir Verhältnisse zu erklären, Namen und Titel zu nennen, die für dich keine Bedeutung haben können. Genug, daß wir uns kennen, daß wir uns lieben. Scholastika schrak bei diesem Worte zusammen: Lieben? rief sie; ich dich lieben, du mich! Ich, eine Nonne! O Gott! — Sie brach von Neuem in Thränen aus. Unser Loos ist einmal geworfen! rief Dimitri. Als ich zum erstenmal dich erblickte, schwur ich, daß du mein werden solltest. Nur deinetwegen hab' ich mich hier als Knecht verdungen, nur deinetwegen mich in diese heiligen Mauern gedrängt: ich werde sie nicht verlassen ohne dich. Scholastika blickte ihn entsetzt und mit weit geöffneten Augen an. So ist's! rief er, und seine dunkeln Blicke sprühten Feuer; ich entführe dich dieser beschränkten Zelle, in der deine Jugend und Schöne wie in Grabeseinsamkeit weilt; ich bringe dich in die Welt, die ich so oft deiner Phan- <TEI> <text> <body> <div n="2"> <p><pb facs="#f0065"/> es dir gedenken! Dann schloß er noch einmal so innig die Bebende an sich und drückte einen Kuß auf ihre Wangen. Was du auch gehört haben magst, verlaß dich darauf, nur aus meinem Munde kannst und darfst du die Wahrheit vernehmen. Ja, allerdings, mein süßes Mädchen, ich bin nicht Der, der ich scheine; allein was kümmert das dich? Ob Fürst, Graf oder Bauer, kann ich etwas Anderes und Höheres sein, als dein Freund? Du kennst die Welt nicht, Schätzchen; es wäre daher rein vergeblich, dir Verhältnisse zu erklären, Namen und Titel zu nennen, die für dich keine Bedeutung haben können. Genug, daß wir uns kennen, daß wir uns lieben.</p><lb/> <p>Scholastika schrak bei diesem Worte zusammen: Lieben? rief sie; ich dich lieben, du mich! Ich, eine Nonne! O Gott! — Sie brach von Neuem in Thränen aus. Unser Loos ist einmal geworfen! rief Dimitri. Als ich zum erstenmal dich erblickte, schwur ich, daß du mein werden solltest. Nur deinetwegen hab' ich mich hier als Knecht verdungen, nur deinetwegen mich in diese heiligen Mauern gedrängt: ich werde sie nicht verlassen ohne dich.</p><lb/> <p>Scholastika blickte ihn entsetzt und mit weit geöffneten Augen an.</p><lb/> <p>So ist's! rief er, und seine dunkeln Blicke sprühten Feuer; ich entführe dich dieser beschränkten Zelle, in der deine Jugend und Schöne wie in Grabeseinsamkeit weilt; ich bringe dich in die Welt, die ich so oft deiner Phan-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0065]
es dir gedenken! Dann schloß er noch einmal so innig die Bebende an sich und drückte einen Kuß auf ihre Wangen. Was du auch gehört haben magst, verlaß dich darauf, nur aus meinem Munde kannst und darfst du die Wahrheit vernehmen. Ja, allerdings, mein süßes Mädchen, ich bin nicht Der, der ich scheine; allein was kümmert das dich? Ob Fürst, Graf oder Bauer, kann ich etwas Anderes und Höheres sein, als dein Freund? Du kennst die Welt nicht, Schätzchen; es wäre daher rein vergeblich, dir Verhältnisse zu erklären, Namen und Titel zu nennen, die für dich keine Bedeutung haben können. Genug, daß wir uns kennen, daß wir uns lieben.
Scholastika schrak bei diesem Worte zusammen: Lieben? rief sie; ich dich lieben, du mich! Ich, eine Nonne! O Gott! — Sie brach von Neuem in Thränen aus. Unser Loos ist einmal geworfen! rief Dimitri. Als ich zum erstenmal dich erblickte, schwur ich, daß du mein werden solltest. Nur deinetwegen hab' ich mich hier als Knecht verdungen, nur deinetwegen mich in diese heiligen Mauern gedrängt: ich werde sie nicht verlassen ohne dich.
Scholastika blickte ihn entsetzt und mit weit geöffneten Augen an.
So ist's! rief er, und seine dunkeln Blicke sprühten Feuer; ich entführe dich dieser beschränkten Zelle, in der deine Jugend und Schöne wie in Grabeseinsamkeit weilt; ich bringe dich in die Welt, die ich so oft deiner Phan-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/ungern_scholastika_1910 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/ungern_scholastika_1910/65 |
Zitationshilfe: | Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ungern_scholastika_1910/65>, abgerufen am 27.07.2024. |