Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.politik erfordert. Denn nicht allein, daß es unter den Nonnen Leckermäuler giebt, die das Geflügel und das Wild der Küche des Edelhofes den dürftigen Braten vorziehen, wie sie ihnen der Klosterpächter liefert, sondern die Gunst des jedesmaligen Eigenthümers des Herrenhauses kann durch Protection und thätige Verwendung bei den Provinzialgerichten, ja sogar bei den Gewalthabern der Residenz den hülflosen Frauen, die in eine Einöde verbannt sind, von großem Nutzen sein. Der jetzige Bewohner des Schlosses war den Nonnen persönlich bekannt, doch wußten sie seinen Namen nicht. Sie nannten ihn nur schlechtweg "Väterchen". Nie war es ihnen eingefallen nach seinen Titeln und Würden zu fragen, noch kümmerten sie sich irgendwie um die Schicksale, die das Väterchen in der Welt betroffen haben mochten. Sie begnügten sich anzunehmen, daß die Narben, die er auf Stirn und Wangen vorwies, in einem ehrlichen Kampfe, gleichviel welchem, empfangen worden seien, und daß das Podagra und die rothe Nase ihres Nachbars eine natürliche Folge seines Alters seien. Wenn sie an rauhen Herbstabenden die Flintenschüsse hörten, die über den einsamen See daherschallten, freuten sie sich darüber, daß jetzt "Väterchen" sich auf der Jagd befinde, und sie wünschten ihm einen guten Fang; wenn in finstrer Winternacht, beim Brausen des Sturmwindes und dem Geprassel eines eisigen Schneegestöbers an die Klosterfenster, das Geklingel eines Schlittens sich hören ließ, der, von dem See kommend, die Einöde entlang politik erfordert. Denn nicht allein, daß es unter den Nonnen Leckermäuler giebt, die das Geflügel und das Wild der Küche des Edelhofes den dürftigen Braten vorziehen, wie sie ihnen der Klosterpächter liefert, sondern die Gunst des jedesmaligen Eigenthümers des Herrenhauses kann durch Protection und thätige Verwendung bei den Provinzialgerichten, ja sogar bei den Gewalthabern der Residenz den hülflosen Frauen, die in eine Einöde verbannt sind, von großem Nutzen sein. Der jetzige Bewohner des Schlosses war den Nonnen persönlich bekannt, doch wußten sie seinen Namen nicht. Sie nannten ihn nur schlechtweg „Väterchen“. Nie war es ihnen eingefallen nach seinen Titeln und Würden zu fragen, noch kümmerten sie sich irgendwie um die Schicksale, die das Väterchen in der Welt betroffen haben mochten. Sie begnügten sich anzunehmen, daß die Narben, die er auf Stirn und Wangen vorwies, in einem ehrlichen Kampfe, gleichviel welchem, empfangen worden seien, und daß das Podagra und die rothe Nase ihres Nachbars eine natürliche Folge seines Alters seien. Wenn sie an rauhen Herbstabenden die Flintenschüsse hörten, die über den einsamen See daherschallten, freuten sie sich darüber, daß jetzt „Väterchen“ sich auf der Jagd befinde, und sie wünschten ihm einen guten Fang; wenn in finstrer Winternacht, beim Brausen des Sturmwindes und dem Geprassel eines eisigen Schneegestöbers an die Klosterfenster, das Geklingel eines Schlittens sich hören ließ, der, von dem See kommend, die Einöde entlang <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0016"/> politik erfordert. Denn nicht allein, daß es unter den Nonnen Leckermäuler giebt, die das Geflügel und das Wild der Küche des Edelhofes den dürftigen Braten vorziehen, wie sie ihnen der Klosterpächter liefert, sondern die Gunst des jedesmaligen Eigenthümers des Herrenhauses kann durch Protection und thätige Verwendung bei den Provinzialgerichten, ja sogar bei den Gewalthabern der Residenz den hülflosen Frauen, die in eine Einöde verbannt sind, von großem Nutzen sein. Der jetzige Bewohner des Schlosses war den Nonnen persönlich bekannt, doch wußten sie seinen Namen nicht. Sie nannten ihn nur schlechtweg „Väterchen“. Nie war es ihnen eingefallen nach seinen Titeln und Würden zu fragen, noch kümmerten sie sich irgendwie um die Schicksale, die das Väterchen in der Welt betroffen haben mochten. Sie begnügten sich anzunehmen, daß die Narben, die er auf Stirn und Wangen vorwies, in einem ehrlichen Kampfe, gleichviel welchem, empfangen worden seien, und daß das Podagra und die rothe Nase ihres Nachbars eine natürliche Folge seines Alters seien. Wenn sie an rauhen Herbstabenden die Flintenschüsse hörten, die über den einsamen See daherschallten, freuten sie sich darüber, daß jetzt „Väterchen“ sich auf der Jagd befinde, und sie wünschten ihm einen guten Fang; wenn in finstrer Winternacht, beim Brausen des Sturmwindes und dem Geprassel eines eisigen Schneegestöbers an die Klosterfenster, das Geklingel eines Schlittens sich hören ließ, der, von dem See kommend, die Einöde entlang<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0016]
politik erfordert. Denn nicht allein, daß es unter den Nonnen Leckermäuler giebt, die das Geflügel und das Wild der Küche des Edelhofes den dürftigen Braten vorziehen, wie sie ihnen der Klosterpächter liefert, sondern die Gunst des jedesmaligen Eigenthümers des Herrenhauses kann durch Protection und thätige Verwendung bei den Provinzialgerichten, ja sogar bei den Gewalthabern der Residenz den hülflosen Frauen, die in eine Einöde verbannt sind, von großem Nutzen sein. Der jetzige Bewohner des Schlosses war den Nonnen persönlich bekannt, doch wußten sie seinen Namen nicht. Sie nannten ihn nur schlechtweg „Väterchen“. Nie war es ihnen eingefallen nach seinen Titeln und Würden zu fragen, noch kümmerten sie sich irgendwie um die Schicksale, die das Väterchen in der Welt betroffen haben mochten. Sie begnügten sich anzunehmen, daß die Narben, die er auf Stirn und Wangen vorwies, in einem ehrlichen Kampfe, gleichviel welchem, empfangen worden seien, und daß das Podagra und die rothe Nase ihres Nachbars eine natürliche Folge seines Alters seien. Wenn sie an rauhen Herbstabenden die Flintenschüsse hörten, die über den einsamen See daherschallten, freuten sie sich darüber, daß jetzt „Väterchen“ sich auf der Jagd befinde, und sie wünschten ihm einen guten Fang; wenn in finstrer Winternacht, beim Brausen des Sturmwindes und dem Geprassel eines eisigen Schneegestöbers an die Klosterfenster, das Geklingel eines Schlittens sich hören ließ, der, von dem See kommend, die Einöde entlang
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Zitationshilfe: | Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ungern_scholastika_1910/16>, abgerufen am 16.02.2025. |