Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Uhse, Erdmann: Wohl-informirter Poët. 2. Aufl. Leipzig, 1719.

Bild:
<< vorherige Seite

Das III. Capitul
alle Sylben ihren rechten Accent bekommen haben.
Wir wollen die Sache in Gegenhaltung falscher und
rechter Verse ansehen. z. e.

Dieses ist falsch:

Liebet wohl die Jugend,
Die herrliche Tugend.

Dieses aber ist recht:

Es liebet die Jugend,
Gar selten die Tugend.

Dieses ist falsch:

Beschauet die schnöde Welt,
Die vielen so wohl gefällt.

Dieses ist recht:

Wie viele würden nicht die schnöde Welt beschauen,
Solt ihrer Zärtlichkeit nur nicht vorm Wetter grauen.
3. Muß man nicht bey dem Thon der Wor-
te noch auf etwas anders Achtung
geben?

Ja 'es ist noch ein Stücke sehr wohl zu mercken, daß
man nemlich sehen muß, in welchem Worte der Nach-
druck eines Dinges lieget, denn auf dasselbe muß son-
derlich der Thon geleget werden, weil man sonst nicht
den rechten Verstand heraus bringen würde. z. e. Wenn
ich diese drey Worte hätte:
Jch liebe dich.
Und wolte sagen, es sey keine andere Person, die den
andern so sehr liebete, als ich, so muß der Thon auf eben
diesem Worte Jch liegen. z. e.
Jch liebe dich.
Wolte ich aber meinen Affect gegen den andern ge-

nau

Das III. Capitul
alle Sylben ihren rechten Accent bekommen haben.
Wir wollen die Sache in Gegenhaltung falſcher und
rechter Verſe anſehen. z. e.

Dieſes iſt falſch:

Liebet wohl die Jugend,
Die herrliche Tugend.

Dieſes aber iſt recht:

Es liebet die Jugend,
Gar ſelten die Tugend.

Dieſes iſt falſch:

Beſchauet die ſchnoͤde Welt,
Die vielen ſo wohl gefaͤllt.

Dieſes iſt recht:

Wie viele wuͤrden nicht die ſchnoͤde Welt beſchauen,
Solt ihrer Zaͤrtlichkeit nur nicht vorm Wetter grauen.
3. Muß man nicht bey dem Thon der Wor-
te noch auf etwas anders Achtung
geben?

Ja ’es iſt noch ein Stuͤcke ſehr wohl zu mercken, daß
man nemlich ſehen muß, in welchem Worte der Nach-
druck eines Dinges lieget, denn auf daſſelbe muß ſon-
derlich der Thon geleget werden, weil man ſonſt nicht
den rechten Verſtand heraus bringen wuͤrde. z. e. Wenn
ich dieſe drey Worte haͤtte:
Jch liebe dich.
Und wolte ſagen, es ſey keine andere Perſon, die den
andern ſo ſehr liebete, als ich, ſo muß der Thon auf eben
dieſem Worte Jch liegen. z. e.
Jch liebe dich.
Wolte ich aber meinen Affect gegen den andern ge-

nau
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0036" n="32"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Das <hi rendition="#aq">III.</hi> Capitul</hi></fw><lb/>
alle Sylben ihren rechten <hi rendition="#aq">Accent</hi> bekommen haben.<lb/>
Wir wollen die Sache in Gegenhaltung fal&#x017F;cher und<lb/>
rechter Ver&#x017F;e an&#x017F;ehen. z. e.</p><lb/>
          <p>Die&#x017F;es i&#x017F;t fal&#x017F;ch:</p><lb/>
          <lg type="poem">
            <l><hi rendition="#fr">Liebet</hi> wohl die Jugend,</l><lb/>
            <l>Die herrliche Tugend.</l>
          </lg><lb/>
          <p>Die&#x017F;es aber i&#x017F;t recht:</p><lb/>
          <lg type="poem">
            <l>Es <hi rendition="#fr">liebet</hi> die Jugend,</l><lb/>
            <l>Gar &#x017F;elten die Tugend.</l>
          </lg><lb/>
          <p>Die&#x017F;es i&#x017F;t fal&#x017F;ch:</p><lb/>
          <lg type="poem">
            <l><hi rendition="#fr">Be&#x017F;chauet</hi> die &#x017F;chno&#x0364;de Welt,</l><lb/>
            <l>Die <hi rendition="#fr">vielen</hi> &#x017F;o wohl gefa&#x0364;llt.</l>
          </lg><lb/>
          <p>Die&#x017F;es i&#x017F;t recht:</p><lb/>
          <lg type="poem">
            <l>Wie <hi rendition="#fr">viele</hi> wu&#x0364;rden nicht die &#x017F;chno&#x0364;de Welt <hi rendition="#fr">be&#x017F;chauen,</hi></l><lb/>
            <l>Solt ihrer Za&#x0364;rtlichkeit nur nicht vorm Wetter grauen.</l>
          </lg>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">3. Muß man nicht bey dem Thon der Wor-<lb/>
te noch auf etwas anders Achtung<lb/>
geben?</hi> </head><lb/>
          <p>Ja &#x2019;es i&#x017F;t noch ein Stu&#x0364;cke &#x017F;ehr wohl zu mercken, daß<lb/>
man nemlich &#x017F;ehen muß, in welchem Worte der Nach-<lb/>
druck eines Dinges lieget, denn auf da&#x017F;&#x017F;elbe muß &#x017F;on-<lb/>
derlich der Thon geleget werden, weil man &#x017F;on&#x017F;t nicht<lb/>
den rechten Ver&#x017F;tand heraus bringen wu&#x0364;rde. z. e. Wenn<lb/>
ich die&#x017F;e drey Worte ha&#x0364;tte:<lb/><hi rendition="#c">Jch liebe dich.</hi><lb/>
Und wolte &#x017F;agen, es &#x017F;ey keine andere Per&#x017F;on, die den<lb/>
andern &#x017F;o &#x017F;ehr liebete, als ich, &#x017F;o muß der Thon auf eben<lb/>
die&#x017F;em Worte <hi rendition="#fr">Jch</hi> liegen. z. e.<lb/><hi rendition="#c"><hi rendition="#fr">Jch</hi> liebe dich.</hi><lb/>
Wolte ich aber meinen <hi rendition="#aq">Affect</hi> gegen den andern ge-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">nau</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[32/0036] Das III. Capitul alle Sylben ihren rechten Accent bekommen haben. Wir wollen die Sache in Gegenhaltung falſcher und rechter Verſe anſehen. z. e. Dieſes iſt falſch: Liebet wohl die Jugend, Die herrliche Tugend. Dieſes aber iſt recht: Es liebet die Jugend, Gar ſelten die Tugend. Dieſes iſt falſch: Beſchauet die ſchnoͤde Welt, Die vielen ſo wohl gefaͤllt. Dieſes iſt recht: Wie viele wuͤrden nicht die ſchnoͤde Welt beſchauen, Solt ihrer Zaͤrtlichkeit nur nicht vorm Wetter grauen. 3. Muß man nicht bey dem Thon der Wor- te noch auf etwas anders Achtung geben? Ja ’es iſt noch ein Stuͤcke ſehr wohl zu mercken, daß man nemlich ſehen muß, in welchem Worte der Nach- druck eines Dinges lieget, denn auf daſſelbe muß ſon- derlich der Thon geleget werden, weil man ſonſt nicht den rechten Verſtand heraus bringen wuͤrde. z. e. Wenn ich dieſe drey Worte haͤtte: Jch liebe dich. Und wolte ſagen, es ſey keine andere Perſon, die den andern ſo ſehr liebete, als ich, ſo muß der Thon auf eben dieſem Worte Jch liegen. z. e. Jch liebe dich. Wolte ich aber meinen Affect gegen den andern ge- nau

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/uhse_poet_1719
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/uhse_poet_1719/36
Zitationshilfe: Uhse, Erdmann: Wohl-informirter Poët. 2. Aufl. Leipzig, 1719, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/uhse_poet_1719/36>, abgerufen am 13.11.2024.