Siehet man dieses Carmen genau an, so hätte ich al- lerdings mehr Umstände an der Verstorbenen antref- fen und mitnehmen können, weil aber solches nicht ge- schehen ist/so habe ich blos auf die Schönheit, galante Statur, Manierlichkeit in Geberden, Klugheit und Großmüthigkeit der Verstorbenen gesehen. Und weil ich GOtt vor den Urheber aller dieser Gaben billig er- kennet habe, so habe ich gleichsam eine Objection ge- macht, ob auch GOtt sein eigenes schönes Werck, wor- aus man seine Weißheit gesehen und ihn davor geehret, ohne Reue habe so zeitig verderben können. Wor- auf ich aber geantwortet, und zwar aus drey Grün- den: 1.) Weil GOtt in allen seinen Thaten nach sei- ner Weißheit verfahre. 2.) Weil er über alles, was er den Menschen giebet, eine freye Herrschafft behal- ten/ und solches nach seinem Gefallen wiedernehmen könne, so, daß die Menschen mit seinem Verfahren zufrieden seyn müssen. 3.) Weil alles, was GOtt thut, nützlich sey. Hierauf habe ich GOtt die Seele überlassen, auf des Leibes Auferstehung gesehen, die Leidtragenden getröstet, und die jungen, schönen, star- cken und muthigen Leute von der Sicherheit abge- mahnet.
4. Wie kan ich denn sonst bey dieser Manier verfahren?
Jch kan hiebey zweyerley Arten gebrauchen:
I. Da
von der Invention.
Siehet man dieſes Carmen genau an, ſo haͤtte ich al- lerdings mehr Umſtaͤnde an der Verſtorbenen antref- fen und mitnehmen koͤnnen, weil aber ſolches nicht ge- ſchehen iſt/ſo habe ich blos auf die Schoͤnheit, galante Statur, Manierlichkeit in Geberden, Klugheit und Großmuͤthigkeit der Verſtorbenen geſehen. Und weil ich GOtt vor den Urheber aller dieſer Gaben billig er- kennet habe, ſo habe ich gleichſam eine Objection ge- macht, ob auch GOtt ſein eigenes ſchoͤnes Werck, wor- aus man ſeine Weißheit geſehen und ihn davor geehret, ohne Reue habe ſo zeitig verderben koͤnnen. Wor- auf ich aber geantwortet, und zwar aus drey Gruͤn- den: 1.) Weil GOtt in allen ſeinen Thaten nach ſei- ner Weißheit verfahre. 2.) Weil er uͤber alles, was er den Menſchen giebet, eine freye Herrſchafft behal- ten/ und ſolches nach ſeinem Gefallen wiedernehmen koͤnne, ſo, daß die Menſchen mit ſeinem Verfahren zufrieden ſeyn muͤſſen. 3.) Weil alles, was GOtt thut, nuͤtzlich ſey. Hierauf habe ich GOtt die Seele uͤberlaſſen, auf des Leibes Auferſtehung geſehen, die Leidtragenden getroͤſtet, und die jungen, ſchoͤnen, ſtar- cken und muthigen Leute von der Sicherheit abge- mahnet.
4. Wie kan ich denn ſonſt bey dieſer Manier verfahren?
Jch kan hiebey zweyerley Arten gebrauchen:
I. Da
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von der Invention.
Siehet man dieſes Carmen genau an, ſo haͤtte ich al-
lerdings mehr Umſtaͤnde an der Verſtorbenen antref-
fen und mitnehmen koͤnnen, weil aber ſolches nicht ge-
ſchehen iſt/ſo habe ich blos auf die Schoͤnheit, galante
Statur, Manierlichkeit in Geberden, Klugheit und
Großmuͤthigkeit der Verſtorbenen geſehen. Und weil
ich GOtt vor den Urheber aller dieſer Gaben billig er-
kennet habe, ſo habe ich gleichſam eine Objection ge-
macht, ob auch GOtt ſein eigenes ſchoͤnes Werck, wor-
aus man ſeine Weißheit geſehen und ihn davor geehret,
ohne Reue habe ſo zeitig verderben koͤnnen. Wor-
auf ich aber geantwortet, und zwar aus drey Gruͤn-
den: 1.) Weil GOtt in allen ſeinen Thaten nach ſei-
ner Weißheit verfahre. 2.) Weil er uͤber alles, was
er den Menſchen giebet, eine freye Herrſchafft behal-
ten/ und ſolches nach ſeinem Gefallen wiedernehmen
koͤnne, ſo, daß die Menſchen mit ſeinem Verfahren
zufrieden ſeyn muͤſſen. 3.) Weil alles, was GOtt
thut, nuͤtzlich ſey. Hierauf habe ich GOtt die Seele
uͤberlaſſen, auf des Leibes Auferſtehung geſehen, die
Leidtragenden getroͤſtet, und die jungen, ſchoͤnen, ſtar-
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4. Wie kan ich denn ſonſt bey dieſer Manier
verfahren?
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I. Da
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Uhse, Erdmann: Wohl-informirter Poët. 2. Aufl. Leipzig, 1719, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/uhse_poet_1719/111>, abgerufen am 06.07.2024.
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