Uhland, Ludwig: Gedichte. Stuttgart u. a., 1815.Der Leitstern. Der ausfuhr nach dem Morgenlande, Des fremden Schiffes leichte Last, Schon führt er zu der Heimath Strande, Von Golde schwer, den eignen Mast. Er hat so oft nach keinem Sterne, Wie nach dem Liebesstern, geschaut. Der lenkt' ihn glücklich aus der Ferne Zur Vaterstadt der theuren Braut. Noch hat er nicht das Ziel gefunden, Obschon er in die Thore trat; Wie mag er gleich die Braut erkunden Im Labyrinth der großen Stadt? Wie mag sein Auge sie erlauschen? Der Blick ist überall verbaut. Wie mag er durch der Märkte Rauschen Vernehmen ihrer Stimme Laut? Dort ist ein Fenster zugefallen, Vielleicht hat sie herausgeschaut; Hier dieses Schleiers eilig Wallen, Verbirgt es nicht die theure Braut? Der Leitſtern. Der ausfuhr nach dem Morgenlande, Des fremden Schiffes leichte Laſt, Schon führt er zu der Heimath Strande, Von Golde ſchwer, den eignen Maſt. Er hat ſo oft nach keinem Sterne, Wie nach dem Liebesſtern, geſchaut. Der lenkt’ ihn glücklich aus der Ferne Zur Vaterſtadt der theuren Braut. Noch hat er nicht das Ziel gefunden, Obſchon er in die Thore trat; Wie mag er gleich die Braut erkunden Im Labyrinth der großen Stadt? Wie mag ſein Auge ſie erlauſchen? Der Blick iſt überall verbaut. Wie mag er durch der Märkte Rauſchen Vernehmen ihrer Stimme Laut? Dort iſt ein Fenſter zugefallen, Vielleicht hat ſie herausgeſchaut; Hier dieſes Schleiers eilig Wallen, Verbirgt es nicht die theure Braut? <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0219" n="213"/> <div n="2"> <head><hi rendition="#g">Der Leitſtern</hi>.</head><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Der ausfuhr nach dem Morgenlande,</l><lb/> <l>Des fremden Schiffes leichte Laſt,</l><lb/> <l>Schon führt er zu der Heimath Strande,</l><lb/> <l>Von Golde ſchwer, den eignen Maſt.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Er hat ſo oft nach keinem Sterne,</l><lb/> <l>Wie nach dem Liebesſtern, geſchaut.</l><lb/> <l>Der lenkt’ ihn glücklich aus der Ferne</l><lb/> <l>Zur Vaterſtadt der theuren Braut.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Noch hat er nicht das Ziel gefunden,</l><lb/> <l>Obſchon er in die Thore trat;</l><lb/> <l>Wie mag er gleich die Braut erkunden</l><lb/> <l>Im Labyrinth der großen Stadt?</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Wie mag ſein Auge ſie erlauſchen?</l><lb/> <l>Der Blick iſt überall verbaut.</l><lb/> <l>Wie mag er durch der Märkte Rauſchen</l><lb/> <l>Vernehmen ihrer Stimme Laut?</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>Dort iſt ein Fenſter zugefallen,</l><lb/> <l>Vielleicht hat ſie herausgeſchaut;</l><lb/> <l>Hier dieſes Schleiers eilig Wallen,</l><lb/> <l>Verbirgt es nicht die theure Braut?</l> </lg><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [213/0219]
Der Leitſtern.
Der ausfuhr nach dem Morgenlande,
Des fremden Schiffes leichte Laſt,
Schon führt er zu der Heimath Strande,
Von Golde ſchwer, den eignen Maſt.
Er hat ſo oft nach keinem Sterne,
Wie nach dem Liebesſtern, geſchaut.
Der lenkt’ ihn glücklich aus der Ferne
Zur Vaterſtadt der theuren Braut.
Noch hat er nicht das Ziel gefunden,
Obſchon er in die Thore trat;
Wie mag er gleich die Braut erkunden
Im Labyrinth der großen Stadt?
Wie mag ſein Auge ſie erlauſchen?
Der Blick iſt überall verbaut.
Wie mag er durch der Märkte Rauſchen
Vernehmen ihrer Stimme Laut?
Dort iſt ein Fenſter zugefallen,
Vielleicht hat ſie herausgeſchaut;
Hier dieſes Schleiers eilig Wallen,
Verbirgt es nicht die theure Braut?
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Zitationshilfe: | Uhland, Ludwig: Gedichte. Stuttgart u. a., 1815, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/uhland_gedichte_1815/219>, abgerufen am 19.07.2024. |