Uhland, Ludwig: Gedichte. Stuttgart u. a., 1815.Die zwo Jungfraun. Zwo Jungfraun sah ich auf dem Hügel droben, Gleich lieblich von Gesicht, von zartem Baue; Sie blickten in die abendlichen Gaue, Sie saßen traut und schwesterlich verwoben. Die Eine hielt den rechten Arm erhoben, Hindeutend auf Gebirg und Strom und Aue; Die Andre hielt, damit sie besser schaue, Die linke Hand der Sonne vorgeschoben. Kein Wunder, daß Verlangen mich bestrickte Und daß in mir der süße Wunsch erglühte: O säß' ich doch an Einer Platz von Beiden! Doch wie ich länger nach den Trauten blickte, Gedacht' ich im besänftigten Gemüthe: Nein! wahrlich, Sünde wär' es, sie zu scheiden! Die zwo Jungfraun. Zwo Jungfraun ſah ich auf dem Hügel droben, Gleich lieblich von Geſicht, von zartem Baue; Sie blickten in die abendlichen Gaue, Sie ſaßen traut und ſchweſterlich verwoben. Die Eine hielt den rechten Arm erhoben, Hindeutend auf Gebirg und Strom und Aue; Die Andre hielt, damit ſie beſſer ſchaue, Die linke Hand der Sonne vorgeſchoben. Kein Wunder, daß Verlangen mich beſtrickte Und daß in mir der ſüße Wunſch erglühte: O ſäß’ ich doch an Einer Platz von Beiden! Doch wie ich länger nach den Trauten blickte, Gedacht’ ich im beſänftigten Gemüthe: Nein! wahrlich, Sünde wär’ es, ſie zu ſcheiden! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0116" n="110"/> <div n="2"> <head><hi rendition="#g">Die zwo Jungfraun</hi>.</head><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Zwo Jungfraun ſah ich auf dem Hügel droben,</l><lb/> <l>Gleich lieblich von Geſicht, von zartem Baue;</l><lb/> <l>Sie blickten in die abendlichen Gaue,</l><lb/> <l>Sie ſaßen traut und ſchweſterlich verwoben.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Die Eine hielt den rechten Arm erhoben,</l><lb/> <l>Hindeutend auf Gebirg und Strom und Aue;</l><lb/> <l>Die Andre hielt, damit ſie beſſer ſchaue,</l><lb/> <l>Die linke Hand der Sonne vorgeſchoben.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Kein Wunder, daß Verlangen mich beſtrickte</l><lb/> <l>Und daß in mir der ſüße Wunſch erglühte:</l><lb/> <l>O ſäß’ ich doch an Einer Platz von Beiden!</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Doch wie ich länger nach den Trauten blickte,</l><lb/> <l>Gedacht’ ich im beſänftigten Gemüthe:</l><lb/> <l>Nein! wahrlich, Sünde wär’ es, ſie zu ſcheiden!</l> </lg> </lg> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </body> </text> </TEI> [110/0116]
Die zwo Jungfraun.
Zwo Jungfraun ſah ich auf dem Hügel droben,
Gleich lieblich von Geſicht, von zartem Baue;
Sie blickten in die abendlichen Gaue,
Sie ſaßen traut und ſchweſterlich verwoben.
Die Eine hielt den rechten Arm erhoben,
Hindeutend auf Gebirg und Strom und Aue;
Die Andre hielt, damit ſie beſſer ſchaue,
Die linke Hand der Sonne vorgeſchoben.
Kein Wunder, daß Verlangen mich beſtrickte
Und daß in mir der ſüße Wunſch erglühte:
O ſäß’ ich doch an Einer Platz von Beiden!
Doch wie ich länger nach den Trauten blickte,
Gedacht’ ich im beſänftigten Gemüthe:
Nein! wahrlich, Sünde wär’ es, ſie zu ſcheiden!
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Zitationshilfe: | Uhland, Ludwig: Gedichte. Stuttgart u. a., 1815, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/uhland_gedichte_1815/116>, abgerufen am 16.07.2024. |