Tschirnhaus, Ehrenfried Walther von: Getreuer Hofmeister auf Academien und Reisen. Hrsg. v. Wolfgang Bernhard von Tschirnhaus. Hannover, 1727.Die II. Anmerckung. (e) delicateste gespeiset, aufs weichlichste gela-gert, und aufs beste bedienet, und fein bey Zeiten der Wollust-Götze in ihm aufge- richtet werden; Da muß es bey manchen Eltern eher tantzen, reiten, fechten, mit Hun- den spielen, die Hetzpeitsche führen, und die Karte kennen, als singen, beten, lesen, schrei- ben, und den Catechismum lernen; Und da die Eltern von dem eingebildeten Lichte ihres Verstandes und dem Glantze ihrer Schönheit eingenommen, und gleichsam be- zaubert sind, so lassen sie ihnen alle Frey- heit, und übersehen ihre Fehler, ohne sich zu bekümmern, was künfftig hin aus ihnen werden wird. Andere hingegen haltenoder zu scharff hal- ten. ihre Kinder gar zu scharff, schlagen, ohne Ursache, und unvernünfftig in sie hinein, so offt sie selbe zu sehen bekommen: strafen sie also entweder zur Unzeit, oder zu hart, und schlagen ihnen das point d'honneur aus dem Kopfe, und machen sie Schläge-faul, und diese verderben so wohl ihre Kinder, als die erstern. Weil eine überflüßige Zärtlichkeit nicht weniger die Kräffte ih- res Leibes und ihrer Seele schwächet, als eine allzuharte Zucht dieselben stumpf, furchtsam und ungeschickt macht etwas rechtes zu werden. Um sie nun also zu dem wohl anzuführen, was ihre zeitliche und ewige Wohlfahrt befördern soll, so ist nö-Kindliche Furcht und Liebe müs- thig, daß Eltern zwischen der Gelindig- B 3
Die II. Anmerckung. (e) delicateſte geſpeiſet, aufs weichlichſte gela-gert, und aufs beſte bedienet, und fein bey Zeiten der Wolluſt-Goͤtze in ihm aufge- richtet werden; Da muß es bey manchen Eltern eher tantzen, reiten, fechten, mit Hun- den ſpielen, die Hetzpeitſche fuͤhren, und die Karte kennen, als ſingen, beten, leſen, ſchrei- ben, und den Catechiſmum lernen; Und da die Eltern von dem eingebildeten Lichte ihres Verſtandes und dem Glantze ihrer Schoͤnheit eingenommen, und gleichſam be- zaubert ſind, ſo laſſen ſie ihnen alle Frey- heit, und uͤberſehen ihre Fehler, ohne ſich zu bekuͤmmern, was kuͤnfftig hin aus ihnen werden wird. Andere hingegen haltenoder zu ſcharff hal- ten. ihre Kinder gar zu ſcharff, ſchlagen, ohne Urſache, und unvernuͤnfftig in ſie hinein, ſo offt ſie ſelbe zu ſehen bekommen: ſtrafen ſie alſo entweder zur Unzeit, oder zu hart, und ſchlagen ihnen das point d’honneur aus dem Kopfe, und machen ſie Schlaͤge-faul, und dieſe verderben ſo wohl ihre Kinder, als die erſtern. Weil eine uͤberfluͤßige Zaͤrtlichkeit nicht weniger die Kraͤffte ih- res Leibes und ihrer Seele ſchwaͤchet, als eine allzuharte Zucht dieſelben ſtumpf, furchtſam und ungeſchickt macht etwas rechtes zu werden. Um ſie nun alſo zu dem wohl anzufuͤhren, was ihre zeitliche und ewige Wohlfahrt befoͤrdern ſoll, ſo iſt noͤ-Kindliche Furcht uñ Liebe muͤſ- thig, daß Eltern zwiſchen der Gelindig- B 3
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Die II. Anmerckung. (e)
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delicateſte geſpeiſet, aufs weichlichſte gela-
gert, und aufs beſte bedienet, und fein bey
Zeiten der Wolluſt-Goͤtze in ihm aufge-
richtet werden; Da muß es bey manchen
Eltern eher tantzen, reiten, fechten, mit Hun-
den ſpielen, die Hetzpeitſche fuͤhren, und die
Karte kennen, als ſingen, beten, leſen, ſchrei-
ben, und den Catechiſmum lernen; Und
da die Eltern von dem eingebildeten Lichte
ihres Verſtandes und dem Glantze ihrer
Schoͤnheit eingenommen, und gleichſam be-
zaubert ſind, ſo laſſen ſie ihnen alle Frey-
heit, und uͤberſehen ihre Fehler, ohne ſich zu
bekuͤmmern, was kuͤnfftig hin aus ihnen
werden wird. Andere hingegen halten
ihre Kinder gar zu ſcharff, ſchlagen, ohne
Urſache, und unvernuͤnfftig in ſie hinein, ſo
offt ſie ſelbe zu ſehen bekommen: ſtrafen
ſie alſo entweder zur Unzeit, oder zu hart,
und ſchlagen ihnen das point d’honneur aus
dem Kopfe, und machen ſie Schlaͤge-faul,
und dieſe verderben ſo wohl ihre Kinder,
als die erſtern. Weil eine uͤberfluͤßige
Zaͤrtlichkeit nicht weniger die Kraͤffte ih-
res Leibes und ihrer Seele ſchwaͤchet, als
eine allzuharte Zucht dieſelben ſtumpf,
furchtſam und ungeſchickt macht etwas
rechtes zu werden. Um ſie nun alſo zu
dem wohl anzufuͤhren, was ihre zeitliche und
ewige Wohlfahrt befoͤrdern ſoll, ſo iſt noͤ-
thig, daß Eltern zwiſchen der Gelindig-
keit
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