Beyspiele stehen dieser Folgerung entgegen. Selbst in der todten Natur, im Mineralreiche, entspricht nicht immer der Mischung die Form und der Kraft die Mischung, und noch mehr ist dies im Pflanzenreiche der Fall. Unter den Solaneen und den Schirmpflanzen (Umbelliferae), zwey Familien, die zu den natürlichsten des Sy- stems der Vegetabilien gehören, stehen die gif- tigsten Kräuter neben den mildesten. Ist es hier schon so unsicher, von dem Aeussern auf das Innere zu schliessen, um wie viel grösser muss nicht diese Unsicherheit da seyn, wo es die Be- stimmung geistiger Kräfte nach der äussern Bil- dung gilt!
Fände aber auch im Mineral- und Pflanzen- reiche allenthalben eine für uns wahrnehmbare, enge Verbindung zwischen dem Aeussern und den inwohnenden Kräften statt, so ist doch die Entfernung der intellektuellen Welt von der leb- losen Natur und dem Reiche des unbewussten Lebens so gross, dass nichts unerlaubter seyn kann, als darum anzunehmen, die erstere müsse sich in der Bildung des Gehirns und der Ner- ven offenbaren. Das Princip des bewussten Le- bens steht nicht in einem leidenden Verhältniss gegen die äussere Natur. Dass diese Kraft Ein- drücke der Sinnenwelt empfängt, und gegen die- selben zurückzuwirken vermag, ist Folge der
Organi-
E 2
Beyspiele stehen dieser Folgerung entgegen. Selbst in der todten Natur, im Mineralreiche, entspricht nicht immer der Mischung die Form und der Kraft die Mischung, und noch mehr ist dies im Pflanzenreiche der Fall. Unter den Solaneen und den Schirmpflanzen (Umbelliferae), zwey Familien, die zu den natürlichsten des Sy- stems der Vegetabilien gehören, stehen die gif- tigsten Kräuter neben den mildesten. Ist es hier schon so unsicher, von dem Aeuſsern auf das Innere zu schlieſsen, um wie viel gröſser muſs nicht diese Unsicherheit da seyn, wo es die Be- stimmung geistiger Kräfte nach der äuſsern Bil- dung gilt!
Fände aber auch im Mineral- und Pflanzen- reiche allenthalben eine für uns wahrnehmbare, enge Verbindung zwischen dem Aeuſsern und den inwohnenden Kräften statt, so ist doch die Entfernung der intellektuellen Welt von der leb- losen Natur und dem Reiche des unbewuſsten Lebens so groſs, daſs nichts unerlaubter seyn kann, als darum anzunehmen, die erstere müsse sich in der Bildung des Gehirns und der Ner- ven offenbaren. Das Princip des bewuſsten Le- bens steht nicht in einem leidenden Verhältniſs gegen die äuſsere Natur. Daſs diese Kraft Ein- drücke der Sinnenwelt empfängt, und gegen die- selben zurückzuwirken vermag, ist Folge der
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Beyspiele stehen dieser Folgerung entgegen.
Selbst in der todten Natur, im Mineralreiche,
entspricht nicht immer der Mischung die Form
und der Kraft die Mischung, und noch mehr
ist dies im Pflanzenreiche der Fall. Unter den
Solaneen und den Schirmpflanzen (Umbelliferae),
zwey Familien, die zu den natürlichsten des Sy-
stems der Vegetabilien gehören, stehen die gif-
tigsten Kräuter neben den mildesten. Ist es hier
schon so unsicher, von dem Aeuſsern auf das
Innere zu schlieſsen, um wie viel gröſser muſs
nicht diese Unsicherheit da seyn, wo es die Be-
stimmung geistiger Kräfte nach der äuſsern Bil-
dung gilt!
Fände aber auch im Mineral- und Pflanzen-
reiche allenthalben eine für uns wahrnehmbare,
enge Verbindung zwischen dem Aeuſsern und
den inwohnenden Kräften statt, so ist doch die
Entfernung der intellektuellen Welt von der leb-
losen Natur und dem Reiche des unbewuſsten
Lebens so groſs, daſs nichts unerlaubter seyn
kann, als darum anzunehmen, die erstere müsse
sich in der Bildung des Gehirns und der Ner-
ven offenbaren. Das Princip des bewuſsten Le-
bens steht nicht in einem leidenden Verhältniſs
gegen die äuſsere Natur. Daſs diese Kraft Ein-
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Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 6. Göttingen, 1822, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie06_1822/79>, abgerufen am 24.11.2024.
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