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Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 6. Göttingen, 1822.

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beruht der Instinkt. Ob auch jede Wirkung der
ersten Art unter gewissen Umständen Gegenstand
des Bewusstseyns werden kann, lässt sich weder
bejahen noch verneinen. Auf keine aber, deren
sich das denkende Ich bewusst wird, hat dieses
einen unmittelbaren Einfluss. Es lässt sich ein
Zustand als möglich annehmen, wo eine krank-
hafte Funktion des Darmcanals, der Leber u. s. w.
ihrer Art nach der Seele bewusst wird. Aber
die heilenden Bestrebungen der Natur werden
dennoch in diesem Falle, wie in allen übrigen,
unabhängig von Schlüssen und Urtheilen erfolgen.
Aller unmittelbare Einfluss des überlegenden,
wollenden, begehrenden und verabscheuenden
Princips auf den Organismus besteht in Reitzun-
gen und in Veränderungen des Grades oder der
Qualität der Reitzbarkeit. In dieser Hinsicht ist
die moralische Welt eben so wohl etwas Aeusse-
res für den lebenden Körper als die physische.
Doch sind ihre Einwirkungen allerdings in meh-
rern Beziehungen von einer eigenen Art, die
eine nähere Betrachtung verdient.

Jede reitzende Einwirkung des denkenden
Princips auf den Körper geschieht durch den
Willen. Blosse Vorstellungen haben keinen Ein-
fluss auf den Organismus, als insofern durch sie
Affekten oder Leidenschaften erregt werden, wel-
che erhöhend, herabstimmend und qualitativ ver-

ändernd

beruht der Instinkt. Ob auch jede Wirkung der
ersten Art unter gewissen Umständen Gegenstand
des Bewuſstseyns werden kann, läſst sich weder
bejahen noch verneinen. Auf keine aber, deren
sich das denkende Ich bewuſst wird, hat dieses
einen unmittelbaren Einfluſs. Es läſst sich ein
Zustand als möglich annehmen, wo eine krank-
hafte Funktion des Darmcanals, der Leber u. s. w.
ihrer Art nach der Seele bewuſst wird. Aber
die heilenden Bestrebungen der Natur werden
dennoch in diesem Falle, wie in allen übrigen,
unabhängig von Schlüssen und Urtheilen erfolgen.
Aller unmittelbare Einfluſs des überlegenden,
wollenden, begehrenden und verabscheuenden
Princips auf den Organismus besteht in Reitzun-
gen und in Veränderungen des Grades oder der
Qualität der Reitzbarkeit. In dieser Hinsicht ist
die moralische Welt eben so wohl etwas Aeuſse-
res für den lebenden Körper als die physische.
Doch sind ihre Einwirkungen allerdings in meh-
rern Beziehungen von einer eigenen Art, die
eine nähere Betrachtung verdient.

Jede reitzende Einwirkung des denkenden
Princips auf den Körper geschieht durch den
Willen. Bloſse Vorstellungen haben keinen Ein-
fluſs auf den Organismus, als insofern durch sie
Affekten oder Leidenschaften erregt werden, wel-
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[56/0068] beruht der Instinkt. Ob auch jede Wirkung der ersten Art unter gewissen Umständen Gegenstand des Bewuſstseyns werden kann, läſst sich weder bejahen noch verneinen. Auf keine aber, deren sich das denkende Ich bewuſst wird, hat dieses einen unmittelbaren Einfluſs. Es läſst sich ein Zustand als möglich annehmen, wo eine krank- hafte Funktion des Darmcanals, der Leber u. s. w. ihrer Art nach der Seele bewuſst wird. Aber die heilenden Bestrebungen der Natur werden dennoch in diesem Falle, wie in allen übrigen, unabhängig von Schlüssen und Urtheilen erfolgen. Aller unmittelbare Einfluſs des überlegenden, wollenden, begehrenden und verabscheuenden Princips auf den Organismus besteht in Reitzun- gen und in Veränderungen des Grades oder der Qualität der Reitzbarkeit. In dieser Hinsicht ist die moralische Welt eben so wohl etwas Aeuſse- res für den lebenden Körper als die physische. Doch sind ihre Einwirkungen allerdings in meh- rern Beziehungen von einer eigenen Art, die eine nähere Betrachtung verdient. Jede reitzende Einwirkung des denkenden Princips auf den Körper geschieht durch den Willen. Bloſse Vorstellungen haben keinen Ein- fluſs auf den Organismus, als insofern durch sie Affekten oder Leidenschaften erregt werden, wel- che erhöhend, herabstimmend und qualitativ ver- ändernd

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Zitationshilfe: Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 6. Göttingen, 1822, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie06_1822/68>, abgerufen am 28.11.2024.