Der völlig blind Gebohrne, der in spätern Jah- ren das Gesicht erhält, wird in den ersten Augenblicken des Sehens jene Verhältnisse als solche nicht zu erkennen im Stande seyn. Die- ses Unvermögen zeigte sich auch bey dem Knaben, der, ohne einen Begriff von sichtbaren Gegenständen zu haben, im dreyzehnten Jahre seines Alters durch Cheselden's Kunst plötz- lich in die sichtbare Welt versetzt werde z). Ein vorhergegangenes, sehr unvollkommenes Sehen wird aber den, welcher zum völligen Gebrauch der Augen gelangt, schon fähig ge- macht haben können, in den ersten Augen- blicken des aufgeschlossenen Sinns die räum- lichen Verhältnisse der Dinge zu begreifen, in- dem er sich vorher schon Begriffe von sicht- baren Gegenständen bilden und diese mit dem, was ihn der Sinn des Getastes lehrte, in Ue- bereinstimmung bringen konnte. So war der Fall bey dem siebenjährigen Knaben, den Ware durch die Staaroperation sehend machte, nach- dem derselbe seit seinem ersten Lebensjahr zwar nicht die Umrisse, doch die Farben der Gegenstände hatte unterscheiden können a). Cheselden's Knaben waren zwar auch bey sehr starkem Lichte Farben erkennbar gewesen. Er war aber ohne allen Zweifel weit blinder
und
z) Philos. Transact. Y. 1728. p. 447.
a) Ebendas. Y. 1801. p. 382.
Der völlig blind Gebohrne, der in spätern Jah- ren das Gesicht erhält, wird in den ersten Augenblicken des Sehens jene Verhältnisse als solche nicht zu erkennen im Stande seyn. Die- ses Unvermögen zeigte sich auch bey dem Knaben, der, ohne einen Begriff von sichtbaren Gegenständen zu haben, im dreyzehnten Jahre seines Alters durch Cheselden’s Kunst plötz- lich in die sichtbare Welt versetzt werde z). Ein vorhergegangenes, sehr unvollkommenes Sehen wird aber den, welcher zum völligen Gebrauch der Augen gelangt, schon fähig ge- macht haben können, in den ersten Augen- blicken des aufgeschlossenen Sinns die räum- lichen Verhältnisse der Dinge zu begreifen, in- dem er sich vorher schon Begriffe von sicht- baren Gegenständen bilden und diese mit dem, was ihn der Sinn des Getastes lehrte, in Ue- bereinstimmung bringen konnte. So war der Fall bey dem siebenjährigen Knaben, den Ware durch die Staaroperation sehend machte, nach- dem derselbe seit seinem ersten Lebensjahr zwar nicht die Umrisse, doch die Farben der Gegenstände hatte unterscheiden können a). Cheselden’s Knaben waren zwar auch bey sehr starkem Lichte Farben erkennbar gewesen. Er war aber ohne allen Zweifel weit blinder
und
z) Philos. Transact. Y. 1728. p. 447.
a) Ebendas. Y. 1801. p. 382.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0443"n="425"/>
Der völlig blind Gebohrne, der in spätern Jah-<lb/>
ren das Gesicht erhält, wird in den ersten<lb/>
Augenblicken des Sehens jene Verhältnisse als<lb/>
solche nicht zu erkennen im Stande seyn. Die-<lb/>
ses Unvermögen zeigte sich auch bey dem<lb/>
Knaben, der, ohne einen Begriff von sichtbaren<lb/>
Gegenständen zu haben, im dreyzehnten Jahre<lb/>
seines Alters durch <hirendition="#k">Cheselden</hi>’s Kunst plötz-<lb/>
lich in die sichtbare Welt versetzt werde <noteplace="foot"n="z)">Philos. Transact. Y. 1728. p. 447.</note>.<lb/>
Ein vorhergegangenes, sehr unvollkommenes<lb/>
Sehen wird aber den, welcher zum völligen<lb/>
Gebrauch der Augen gelangt, schon fähig ge-<lb/>
macht haben können, in den ersten Augen-<lb/>
blicken des aufgeschlossenen Sinns die räum-<lb/>
lichen Verhältnisse der Dinge zu begreifen, in-<lb/>
dem er sich vorher schon Begriffe von sicht-<lb/>
baren Gegenständen bilden und diese mit dem,<lb/>
was ihn der Sinn des Getastes lehrte, in Ue-<lb/>
bereinstimmung bringen konnte. So war der<lb/>
Fall bey dem siebenjährigen Knaben, den <hirendition="#k">Ware</hi><lb/>
durch die Staaroperation sehend machte, nach-<lb/>
dem derselbe seit seinem ersten Lebensjahr<lb/>
zwar nicht die Umrisse, doch die Farben der<lb/>
Gegenstände hatte unterscheiden können <noteplace="foot"n="a)">Ebendas. Y. 1801. p. 382.</note>.<lb/><hirendition="#k">Cheselden</hi>’s Knaben waren zwar auch bey<lb/>
sehr starkem Lichte Farben erkennbar gewesen.<lb/>
Er war aber ohne allen Zweifel weit blinder<lb/><fwplace="bottom"type="catch">und</fw><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[425/0443]
Der völlig blind Gebohrne, der in spätern Jah-
ren das Gesicht erhält, wird in den ersten
Augenblicken des Sehens jene Verhältnisse als
solche nicht zu erkennen im Stande seyn. Die-
ses Unvermögen zeigte sich auch bey dem
Knaben, der, ohne einen Begriff von sichtbaren
Gegenständen zu haben, im dreyzehnten Jahre
seines Alters durch Cheselden’s Kunst plötz-
lich in die sichtbare Welt versetzt werde z).
Ein vorhergegangenes, sehr unvollkommenes
Sehen wird aber den, welcher zum völligen
Gebrauch der Augen gelangt, schon fähig ge-
macht haben können, in den ersten Augen-
blicken des aufgeschlossenen Sinns die räum-
lichen Verhältnisse der Dinge zu begreifen, in-
dem er sich vorher schon Begriffe von sicht-
baren Gegenständen bilden und diese mit dem,
was ihn der Sinn des Getastes lehrte, in Ue-
bereinstimmung bringen konnte. So war der
Fall bey dem siebenjährigen Knaben, den Ware
durch die Staaroperation sehend machte, nach-
dem derselbe seit seinem ersten Lebensjahr
zwar nicht die Umrisse, doch die Farben der
Gegenstände hatte unterscheiden können a).
Cheselden’s Knaben waren zwar auch bey
sehr starkem Lichte Farben erkennbar gewesen.
Er war aber ohne allen Zweifel weit blinder
und
z) Philos. Transact. Y. 1728. p. 447.
a) Ebendas. Y. 1801. p. 382.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 6. Göttingen, 1822, S. 425. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie06_1822/443>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.