Mährchen! Unter den Raubthieren der beyden höhern Thierclassen sind zwar manche durch List und Schlauheit bekannt. Aber blos diese Eigenschaften können nur Dem Kennzeichen ei- ner höhern Intelligenz seyn, welchem Lebens- klugheit das Höchste in der moralischen Welt ist. Hingegen gehören in allen Thierclassen die- jenigen Arten, die sich durch die kunstreich- sten Werke auszeichnen, meist zu den Herbi- voren. Ein System der Thiere nach ihren gei- stigen Kräften ist also sehr verschieden von ei- nem natürlichen, auf ihrem Körperbau begrün- deten System. Daher ist es nicht ganz wahr, was man gesagt hat, das Thier sey durchaus mit seinem Leibe Eines und Dasselbe, so dass Seyn und Bewusstseyn in ihm auf das voll- kommenste in einander fallen, und man eher von ihm sagen dürfe, sein Leib regiere die Seele, als seine Seele den Leib x). Auch das Thier besitzt gleich dem Menschen eine Kraft, die selbstthätig und nicht durchaus abhängig von der Organisation ist. "Auch im Thiere ist Weissagung und nur eine höhere im Menschen". So schrieb derselbe Weise, der den vorigen Ausspruch that y), und er übersah, dass er
hiermit
x)Jacobi von den göttlichen Dingen und ihrer Of- fenbarung. S. 163.
y) Ebendas. S. 18.
Mährchen! Unter den Raubthieren der beyden höhern Thierclassen sind zwar manche durch List und Schlauheit bekannt. Aber blos diese Eigenschaften können nur Dem Kennzeichen ei- ner höhern Intelligenz seyn, welchem Lebens- klugheit das Höchste in der moralischen Welt ist. Hingegen gehören in allen Thierclassen die- jenigen Arten, die sich durch die kunstreich- sten Werke auszeichnen, meist zu den Herbi- voren. Ein System der Thiere nach ihren gei- stigen Kräften ist also sehr verschieden von ei- nem natürlichen, auf ihrem Körperbau begrün- deten System. Daher ist es nicht ganz wahr, was man gesagt hat, das Thier sey durchaus mit seinem Leibe Eines und Dasselbe, so daſs Seyn und Bewuſstseyn in ihm auf das voll- kommenste in einander fallen, und man eher von ihm sagen dürfe, sein Leib regiere die Seele, als seine Seele den Leib x). Auch das Thier besitzt gleich dem Menschen eine Kraft, die selbstthätig und nicht durchaus abhängig von der Organisation ist. “Auch im Thiere ist Weissagung und nur eine höhere im Menschen”. So schrieb derselbe Weise, der den vorigen Ausspruch that y), und er übersah, daſs er
hiermit
x)Jacobi von den göttlichen Dingen und ihrer Of- fenbarung. S. 163.
y) Ebendas. S. 18.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0038"n="26"/>
Mährchen! Unter den Raubthieren der beyden<lb/>
höhern Thierclassen sind zwar manche durch<lb/>
List und Schlauheit bekannt. Aber blos diese<lb/>
Eigenschaften können nur Dem Kennzeichen ei-<lb/>
ner höhern Intelligenz seyn, welchem Lebens-<lb/>
klugheit das Höchste in der moralischen Welt<lb/>
ist. Hingegen gehören in allen Thierclassen die-<lb/>
jenigen Arten, die sich durch die kunstreich-<lb/>
sten Werke auszeichnen, meist zu den Herbi-<lb/>
voren. Ein System der Thiere nach ihren gei-<lb/>
stigen Kräften ist also sehr verschieden von ei-<lb/>
nem natürlichen, auf ihrem Körperbau begrün-<lb/>
deten System. Daher ist es nicht ganz wahr,<lb/>
was man gesagt hat, das Thier sey durchaus<lb/>
mit seinem Leibe Eines und Dasselbe, so daſs<lb/>
Seyn und Bewuſstseyn in ihm auf das voll-<lb/>
kommenste in einander fallen, und man eher<lb/>
von ihm sagen dürfe, sein Leib regiere die<lb/>
Seele, als seine Seele den Leib <noteplace="foot"n="x)"><hirendition="#k">Jacobi</hi> von den göttlichen Dingen und ihrer Of-<lb/>
fenbarung. S. 163.</note>. Auch das<lb/>
Thier besitzt gleich dem Menschen eine Kraft,<lb/>
die selbstthätig und nicht durchaus abhängig<lb/>
von der Organisation ist. “Auch im Thiere ist<lb/>
Weissagung und nur eine höhere im Menschen”.<lb/>
So schrieb derselbe Weise, der den vorigen<lb/>
Ausspruch that <noteplace="foot"n="y)">Ebendas. S. 18.</note>, und er übersah, daſs er<lb/><fwplace="bottom"type="catch">hiermit</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[26/0038]
Mährchen! Unter den Raubthieren der beyden
höhern Thierclassen sind zwar manche durch
List und Schlauheit bekannt. Aber blos diese
Eigenschaften können nur Dem Kennzeichen ei-
ner höhern Intelligenz seyn, welchem Lebens-
klugheit das Höchste in der moralischen Welt
ist. Hingegen gehören in allen Thierclassen die-
jenigen Arten, die sich durch die kunstreich-
sten Werke auszeichnen, meist zu den Herbi-
voren. Ein System der Thiere nach ihren gei-
stigen Kräften ist also sehr verschieden von ei-
nem natürlichen, auf ihrem Körperbau begrün-
deten System. Daher ist es nicht ganz wahr,
was man gesagt hat, das Thier sey durchaus
mit seinem Leibe Eines und Dasselbe, so daſs
Seyn und Bewuſstseyn in ihm auf das voll-
kommenste in einander fallen, und man eher
von ihm sagen dürfe, sein Leib regiere die
Seele, als seine Seele den Leib x). Auch das
Thier besitzt gleich dem Menschen eine Kraft,
die selbstthätig und nicht durchaus abhängig
von der Organisation ist. “Auch im Thiere ist
Weissagung und nur eine höhere im Menschen”.
So schrieb derselbe Weise, der den vorigen
Ausspruch that y), und er übersah, daſs er
hiermit
x) Jacobi von den göttlichen Dingen und ihrer Of-
fenbarung. S. 163.
y) Ebendas. S. 18.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 6. Göttingen, 1822, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie06_1822/38>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.