sandichter Buchten wachsen und sich, wenn man sie anzurühren versucht, sogleich in den Sand zurückziehen soll. Gehört diese Nachricht nicht zu den Märchen, so lässt sich vermuthen, dass jedes andere Zoophyt ebenfalls sowohl aus- serhalb als innerhalb dem Wasser bey der Näherung fremder Körper Zeichen von Wahr- nehmung derselben durch Ausstrecken oder Zu- sammenziehen geben würde, wenn die übrigen Thierpflanzen ausserhalb dem Wasser ihre Or- gane gebrauchen könnten.
Wir können nach allen diesen Thatsachen jetzt weiter schliessen, dass Thiere und Thier- pflanzen Handlungen zu äussern vermögen, die ähnliche Empfindungen voraussetzen, wie wir durch unsere Sinneswerkzeuge erhalten, ohne dass ihre Empfindungen darum wirklich mit den unsrigen einerley sind und von Organen, die mit den unsrigen übereinkommen, hervorge- bracht werden. Sie können sehen, hören, rie- chen und schmecken, ohne Augen, Ohren, eine Nase und Zunge zu besitzen. Doch ihr Sehen, Hören u. s. w. muss allerdings von dem unsri- gen sehr verschieden seyn und kann sich nur auf eine Sphäre erstrecken, die in Rücksicht auf die Mannichfaltigkeit der Sinnesempfindun- gen weit beschränkter ist als die unsrige, wenn gleich einzelne Eindrücke lebhafter auf jene Thiere als auf uns wirken.
Durch
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sandichter Buchten wachsen und sich, wenn man sie anzurühren versucht, sogleich in den Sand zurückziehen soll. Gehört diese Nachricht nicht zu den Märchen, so läſst sich vermuthen, daſs jedes andere Zoophyt ebenfalls sowohl aus- serhalb als innerhalb dem Wasser bey der Näherung fremder Körper Zeichen von Wahr- nehmung derselben durch Ausstrecken oder Zu- sammenziehen geben würde, wenn die übrigen Thierpflanzen auſserhalb dem Wasser ihre Or- gane gebrauchen könnten.
Wir können nach allen diesen Thatsachen jetzt weiter schlieſsen, daſs Thiere und Thier- pflanzen Handlungen zu äuſsern vermögen, die ähnliche Empfindungen voraussetzen, wie wir durch unsere Sinneswerkzeuge erhalten, ohne daſs ihre Empfindungen darum wirklich mit den unsrigen einerley sind und von Organen, die mit den unsrigen übereinkommen, hervorge- bracht werden. Sie können sehen, hören, rie- chen und schmecken, ohne Augen, Ohren, eine Nase und Zunge zu besitzen. Doch ihr Sehen, Hören u. s. w. muſs allerdings von dem unsri- gen sehr verschieden seyn und kann sich nur auf eine Sphäre erstrecken, die in Rücksicht auf die Mannichfaltigkeit der Sinnesempfindun- gen weit beschränkter ist als die unsrige, wenn gleich einzelne Eindrücke lebhafter auf jene Thiere als auf uns wirken.
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sandichter Buchten wachsen und sich, wenn
man sie anzurühren versucht, sogleich in den
Sand zurückziehen soll. Gehört diese Nachricht
nicht zu den Märchen, so läſst sich vermuthen,
daſs jedes andere Zoophyt ebenfalls sowohl aus-
serhalb als innerhalb dem Wasser bey der
Näherung fremder Körper Zeichen von Wahr-
nehmung derselben durch Ausstrecken oder Zu-
sammenziehen geben würde, wenn die übrigen
Thierpflanzen auſserhalb dem Wasser ihre Or-
gane gebrauchen könnten.
Wir können nach allen diesen Thatsachen
jetzt weiter schlieſsen, daſs Thiere und Thier-
pflanzen Handlungen zu äuſsern vermögen, die
ähnliche Empfindungen voraussetzen, wie wir
durch unsere Sinneswerkzeuge erhalten, ohne
daſs ihre Empfindungen darum wirklich mit den
unsrigen einerley sind und von Organen, die
mit den unsrigen übereinkommen, hervorge-
bracht werden. Sie können sehen, hören, rie-
chen und schmecken, ohne Augen, Ohren, eine
Nase und Zunge zu besitzen. Doch ihr Sehen,
Hören u. s. w. muſs allerdings von dem unsri-
gen sehr verschieden seyn und kann sich nur
auf eine Sphäre erstrecken, die in Rücksicht
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gen weit beschränkter ist als die unsrige, wenn
gleich einzelne Eindrücke lebhafter auf jene
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Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 6. Göttingen, 1822, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie06_1822/211>, abgerufen am 26.11.2024.
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