sten schien. Auf ähnliche Weise vielleicht er- kannte ein anderer Blinder, dessen Grimaldii) gedenkt, die verschiedenen Farben eines bunten, doch allenthalben gleichförmig gewebten Seiden- zeugs. Aber H. Sloane's in der Encyclopaedia britannica mitgetheilte Beobachtungen an einem Frauenzimmer, welches in spätern Jahren Ge- hör und Gesicht verlor, lassen sich nicht blos aus Verfeinerung des Tastsinns erklären. Diese unterschied nicht nur die Hauptfarben, sondern auch Varietäten einer und derselben Farbe. Sie beschäftigte sich gewöhnlich mit der Nadel und arbeitete mit bewundernswürdiger Feinheit und Genauigkeit. Das Sonderbarste und ein Beweis, dass hier nicht blos grössere Feinheit der übri- gen Sinnesorgane das Gesicht ersetzte, sondern dass etwas Aehnliches von Gesichtsempfindungen statt fand, war, dass sie entdecken konnte, ob sie einen Buchstaben ausgelassen hatte, und dass sie ihn genau über die Stelle, wo er stehen musste, mit einem beygefügten Zeichen setzte.
Aehnliche Beyspiele giebt es von Taubhei- ten, wobey, die des Gehörs Beraubten hörbare Eindrücke durch andere Theile als das Ohr vernehmen. Schon oben ist erwähnt worden, dass auf Taube überhaupt ein stärkerer Schall
oder
i) Tractat. phys. matb. de lum. et color. L. I. prop. 43. n. 59.
sten schien. Auf ähnliche Weise vielleicht er- kannte ein anderer Blinder, dessen Grimaldii) gedenkt, die verschiedenen Farben eines bunten, doch allenthalben gleichförmig gewebten Seiden- zeugs. Aber H. Sloane’s in der Encyclopaedia britannica mitgetheilte Beobachtungen an einem Frauenzimmer, welches in spätern Jahren Ge- hör und Gesicht verlor, lassen sich nicht blos aus Verfeinerung des Tastsinns erklären. Diese unterschied nicht nur die Hauptfarben, sondern auch Varietäten einer und derselben Farbe. Sie beschäftigte sich gewöhnlich mit der Nadel und arbeitete mit bewundernswürdiger Feinheit und Genauigkeit. Das Sonderbarste und ein Beweis, daſs hier nicht blos gröſsere Feinheit der übri- gen Sinnesorgane das Gesicht ersetzte, sondern daſs etwas Aehnliches von Gesichtsempfindungen statt fand, war, daſs sie entdecken konnte, ob sie einen Buchstaben ausgelassen hatte, und daſs sie ihn genau über die Stelle, wo er stehen muſste, mit einem beygefügten Zeichen setzte.
Aehnliche Beyspiele giebt es von Taubhei- ten, wobey, die des Gehörs Beraubten hörbare Eindrücke durch andere Theile als das Ohr vernehmen. Schon oben ist erwähnt worden, daſs auf Taube überhaupt ein stärkerer Schall
oder
i) Tractat. phys. matb. de lum. et color. L. I. prop. 43. n. 59.
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sten schien. Auf ähnliche Weise vielleicht er-
kannte ein anderer Blinder, dessen Grimaldi i)
gedenkt, die verschiedenen Farben eines bunten,
doch allenthalben gleichförmig gewebten Seiden-
zeugs. Aber H. Sloane’s in der Encyclopaedia
britannica mitgetheilte Beobachtungen an einem
Frauenzimmer, welches in spätern Jahren Ge-
hör und Gesicht verlor, lassen sich nicht blos
aus Verfeinerung des Tastsinns erklären. Diese
unterschied nicht nur die Hauptfarben, sondern
auch Varietäten einer und derselben Farbe. Sie
beschäftigte sich gewöhnlich mit der Nadel und
arbeitete mit bewundernswürdiger Feinheit und
Genauigkeit. Das Sonderbarste und ein Beweis,
daſs hier nicht blos gröſsere Feinheit der übri-
gen Sinnesorgane das Gesicht ersetzte, sondern
daſs etwas Aehnliches von Gesichtsempfindungen
statt fand, war, daſs sie entdecken konnte, ob
sie einen Buchstaben ausgelassen hatte, und daſs
sie ihn genau über die Stelle, wo er stehen
muſste, mit einem beygefügten Zeichen setzte.
Aehnliche Beyspiele giebt es von Taubhei-
ten, wobey, die des Gehörs Beraubten hörbare
Eindrücke durch andere Theile als das Ohr
vernehmen. Schon oben ist erwähnt worden,
daſs auf Taube überhaupt ein stärkerer Schall
oder
i) Tractat. phys. matb. de lum. et color. L. I. prop. 43.
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Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 6. Göttingen, 1822, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie06_1822/199>, abgerufen am 21.11.2024.
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