Man kann mit Wahrscheinlichkeit annehmen, dass die Reitzbarkeit durch jede anhaltende Ein- wirkung nicht nur in der Quantität, sondern auch in der Qualität verändert wird, und dass alle Reitze in Beziehung auf andere zugleich als exal- tirende und deprimirende Potenzen wirken. Jeder Reitz vermindert nach einer gewissen Dauer sei- nes Einflusses für sich selber die Empfänglichkeit der Organe; aber er vermindert sie nicht noth- wendig für andere Reitze, so lange noch Ersatz der Reitzbarkeit möglich ist. Erst wenn das Blut seine zum Leben nothwendige Beschaffenheit ver- loren hat und das Nervensystem erschöpft ist, tritt allgemeine Abstumpfung der Reitzbarkeit ein.
Die Verminderung der Erregbarkeit, die ein Reitz, der nicht so heftig ist, dass er gleich völ- lige Erschöpfung nach sich zieht, bey längerer Einwirkung in Beziehung auf sich selber hervor- bringt, erfolgt aber oft erst nach vorhergegange- ner Zunahme der Lebensbewegungen. Der Ein- fluss desselben ist nicht auf die Theile, die er unmittelbar trifft, beschränkt. Immer werden auch andere Organe mit in Thätigkeit gezogen, die wieder auf den ursprünglich erregten Theil zu- rückwirken, und bey der neuen Einwirkung des
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Man kann mit Wahrscheinlichkeit annehmen, daſs die Reitzbarkeit durch jede anhaltende Ein- wirkung nicht nur in der Quantität, sondern auch in der Qualität verändert wird, und daſs alle Reitze in Beziehung auf andere zugleich als exal- tirende und deprimirende Potenzen wirken. Jeder Reitz vermindert nach einer gewissen Dauer sei- nes Einflusses für sich selber die Empfänglichkeit der Organe; aber er vermindert sie nicht noth- wendig für andere Reitze, so lange noch Ersatz der Reitzbarkeit möglich ist. Erst wenn das Blut seine zum Leben nothwendige Beschaffenheit ver- loren hat und das Nervensystem erschöpft ist, tritt allgemeine Abstumpfung der Reitzbarkeit ein.
Die Verminderung der Erregbarkeit, die ein Reitz, der nicht so heftig ist, daſs er gleich völ- lige Erschöpfung nach sich zieht, bey längerer Einwirkung in Beziehung auf sich selber hervor- bringt, erfolgt aber oft erst nach vorhergegange- ner Zunahme der Lebensbewegungen. Der Ein- fluſs desselben ist nicht auf die Theile, die er unmittelbar trifft, beschränkt. Immer werden auch andere Organe mit in Thätigkeit gezogen, die wieder auf den ursprünglich erregten Theil zu- rückwirken, und bey der neuen Einwirkung des
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Man kann mit Wahrscheinlichkeit annehmen,
daſs die Reitzbarkeit durch jede anhaltende Ein-
wirkung nicht nur in der Quantität, sondern auch
in der Qualität verändert wird, und daſs alle
Reitze in Beziehung auf andere zugleich als exal-
tirende und deprimirende Potenzen wirken. Jeder
Reitz vermindert nach einer gewissen Dauer sei-
nes Einflusses für sich selber die Empfänglichkeit
der Organe; aber er vermindert sie nicht noth-
wendig für andere Reitze, so lange noch Ersatz
der Reitzbarkeit möglich ist. Erst wenn das Blut
seine zum Leben nothwendige Beschaffenheit ver-
loren hat und das Nervensystem erschöpft ist,
tritt allgemeine Abstumpfung der Reitzbarkeit ein.
Die Verminderung der Erregbarkeit, die ein
Reitz, der nicht so heftig ist, daſs er gleich völ-
lige Erschöpfung nach sich zieht, bey längerer
Einwirkung in Beziehung auf sich selber hervor-
bringt, erfolgt aber oft erst nach vorhergegange-
ner Zunahme der Lebensbewegungen. Der Ein-
fluſs desselben ist nicht auf die Theile, die er
unmittelbar trifft, beschränkt. Immer werden auch
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Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 5. Göttingen, 1818, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie05_1818/321>, abgerufen am 22.11.2024.
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