Das hierbey entstehende neue Individuum ver- dankt seinen Ursprung entweder der Verwandelung lebloser Materie in lebende, oder dem Uebergange einer gewissen Form des Lebens zu einer andern. So wenig als derjenige Uebergang der lebenden Or- ganismen zur leblosen Natur oder zu einer andern Form des Lebens, den wir Sterben nennen, kann aber auch jener entgegengesetzte Uebergang nach dem Gesetze der Stetigkeit anders, als stufenweise, erfolgen. Nur durch die vita minima kann das neu erzeugte Individuum allmählig zu höhern Gra- den des Lebens gelangen. So hat jeder lebende Organismus eine Periode der Jugend, wo er sich der höchsten Lebensstufe nähert, und eine Periode des Alters, wo er zur niedrigsten zurückkehrt; so geht jeder bey seinem Austritte aus dem Leben die nehmlichen Stufen wieder herab, die er bey seinem Eintritte hinaufstieg. Senes bis pueri sagten die Alten in moralischer Hinsicht, und eben dieser Spruch gilt auch von der ganzen lebenden Schöp- fung in physischer Bedeutung.
Soll das neu entstandene Individuum den Aus- tritt des vorigen aus der Kette der Wesen zu erset- zen im Stande seyn, so muss es auf derselben Stu- fe des Lebens stehen, worauf sich das letztere be- fand. Diese Stufe aber kann es nur allmählig er- reichen, und bis diese erreicht ist, muss das vorige Individuum noch fortdauern, um das Gleichge-
wicht
Das hierbey entstehende neue Individuum ver- dankt seinen Ursprung entweder der Verwandelung lebloser Materie in lebende, oder dem Uebergange einer gewissen Form des Lebens zu einer andern. So wenig als derjenige Uebergang der lebenden Or- ganismen zur leblosen Natur oder zu einer andern Form des Lebens, den wir Sterben nennen, kann aber auch jener entgegengesetzte Uebergang nach dem Gesetze der Stetigkeit anders, als stufenweise, erfolgen. Nur durch die vita minima kann das neu erzeugte Individuum allmählig zu höhern Gra- den des Lebens gelangen. So hat jeder lebende Organismus eine Periode der Jugend, wo er sich der höchsten Lebensstufe nähert, und eine Periode des Alters, wo er zur niedrigsten zurückkehrt; so geht jeder bey seinem Austritte aus dem Leben die nehmlichen Stufen wieder herab, die er bey seinem Eintritte hinaufstieg. Senes bis pueri sagten die Alten in moralischer Hinsicht, und eben dieser Spruch gilt auch von der ganzen lebenden Schöp- fung in physischer Bedeutung.
Soll das neu entstandene Individuum den Aus- tritt des vorigen aus der Kette der Wesen zu erset- zen im Stande seyn, so muſs es auf derselben Stu- fe des Lebens stehen, worauf sich das letztere be- fand. Diese Stufe aber kann es nur allmählig er- reichen, und bis diese erreicht ist, muſs das vorige Individuum noch fortdauern, um das Gleichge-
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Das hierbey entstehende neue Individuum ver-
dankt seinen Ursprung entweder der Verwandelung
lebloser Materie in lebende, oder dem Uebergange
einer gewissen Form des Lebens zu einer andern.
So wenig als derjenige Uebergang der lebenden Or-
ganismen zur leblosen Natur oder zu einer andern
Form des Lebens, den wir Sterben nennen, kann
aber auch jener entgegengesetzte Uebergang nach
dem Gesetze der Stetigkeit anders, als stufenweise,
erfolgen. Nur durch die vita minima kann das
neu erzeugte Individuum allmählig zu höhern Gra-
den des Lebens gelangen. So hat jeder lebende
Organismus eine Periode der Jugend, wo er sich
der höchsten Lebensstufe nähert, und eine Periode
des Alters, wo er zur niedrigsten zurückkehrt; so
geht jeder bey seinem Austritte aus dem Leben die
nehmlichen Stufen wieder herab, die er bey seinem
Eintritte hinaufstieg. Senes bis pueri sagten die
Alten in moralischer Hinsicht, und eben dieser
Spruch gilt auch von der ganzen lebenden Schöp-
fung in physischer Bedeutung.
Soll das neu entstandene Individuum den Aus-
tritt des vorigen aus der Kette der Wesen zu erset-
zen im Stande seyn, so muſs es auf derselben Stu-
fe des Lebens stehen, worauf sich das letztere be-
fand. Diese Stufe aber kann es nur allmählig er-
reichen, und bis diese erreicht ist, muſs das vorige
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Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 1. Göttingen, 1802, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie01_1802/97>, abgerufen am 04.12.2024.
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