Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 1. Göttingen, 1802.

Bild:
<< vorherige Seite

flusse der Gottheit zu suchen, ist dem Naturfor-
scher nur dann erlaubt, wenn ihm alle übrige
Auswege abgeschnitten sind. Ob dies hier der
Fall ist, werden folgende Betrachtungen zeigen.

Kraft können wir uns nur als etwas Endliches
denken. Endlich aber ist ihrer Natur nach keine
Kraft, als insofern sie durch eine entgegengesetzte
beschränkt wird. Wo wir daher Kraft denken, da
müssen wir auch eine ihr entgegengesetzte Kraft
annehmen. Zwischen entgegengesetzten Kräften
aber kann nur ein doppeltes Verhältniss statt finden:
entweder sie sind im relativen Gleichgewichte, wo
sie als ruhend gedacht werden; oder man denkt
sie im fortdauernden, nie entschiedenen Streite,
da die eine wechselseitig siegt und unterliegt. Im
letztern Falle aber muss wieder ein Drittes da seyn,
das diesem Streite Fortdauer giebt. Dieses Dritte
nun kann nicht selbst wieder Kraft seyn, denn
sonst kämen wir auf die vorige Alternative zurück.
Es muss also etwas seyn, das höher ist, als selbst
Kraft. Allein Kraft ist das letzte, worauf alle
unsere physische Erklärungen zurückkommen: also
müsste jenes Dritte etwas seyn, was ganz ausserhalb
den Gränzen der Naturforschung liegt. Nun wis-
sen wir aber nichts Höheres, für welches Kräfte
überhaupt da seyn könnten, als den Geist: denn
nur ein Geist vermag Kräfte, und Gleichgewicht,
oder Streit von Kräften sich vorzustellen. Mithin

kann

flusse der Gottheit zu suchen, ist dem Naturfor-
scher nur dann erlaubt, wenn ihm alle übrige
Auswege abgeschnitten sind. Ob dies hier der
Fall ist, werden folgende Betrachtungen zeigen.

Kraft können wir uns nur als etwas Endliches
denken. Endlich aber ist ihrer Natur nach keine
Kraft, als insofern sie durch eine entgegengesetzte
beschränkt wird. Wo wir daher Kraft denken, da
müssen wir auch eine ihr entgegengesetzte Kraft
annehmen. Zwischen entgegengesetzten Kräften
aber kann nur ein doppeltes Verhältniſs statt finden:
entweder sie sind im relativen Gleichgewichte, wo
sie als ruhend gedacht werden; oder man denkt
sie im fortdauernden, nie entschiedenen Streite,
da die eine wechselseitig siegt und unterliegt. Im
letztern Falle aber muſs wieder ein Drittes da seyn,
das diesem Streite Fortdauer giebt. Dieses Dritte
nun kann nicht selbst wieder Kraft seyn, denn
sonst kämen wir auf die vorige Alternative zurück.
Es muſs also etwas seyn, das höher ist, als selbst
Kraft. Allein Kraft ist das letzte, worauf alle
unsere physische Erklärungen zurückkommen: also
müſste jenes Dritte etwas seyn, was ganz ausserhalb
den Gränzen der Naturforschung liegt. Nun wis-
sen wir aber nichts Höheres, für welches Kräfte
überhaupt da seyn könnten, als den Geist: denn
nur ein Geist vermag Kräfte, und Gleichgewicht,
oder Streit von Kräften sich vorzustellen. Mithin

kann
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0052" n="32"/>
flusse der Gottheit zu suchen, ist dem Naturfor-<lb/>
scher nur dann erlaubt, wenn ihm alle übrige<lb/>
Auswege abgeschnitten sind. Ob dies hier der<lb/>
Fall ist, werden folgende Betrachtungen zeigen.</p><lb/>
          <p>Kraft können wir uns nur als etwas Endliches<lb/>
denken. Endlich aber ist ihrer Natur nach keine<lb/>
Kraft, als insofern sie durch eine entgegengesetzte<lb/>
beschränkt wird. Wo wir daher Kraft denken, da<lb/>
müssen wir auch eine ihr entgegengesetzte Kraft<lb/>
annehmen. Zwischen entgegengesetzten Kräften<lb/>
aber kann nur ein doppeltes Verhältni&#x017F;s statt finden:<lb/>
entweder sie sind im relativen Gleichgewichte, wo<lb/>
sie als ruhend gedacht werden; oder man denkt<lb/>
sie im fortdauernden, nie entschiedenen Streite,<lb/>
da die eine wechselseitig siegt und unterliegt. Im<lb/>
letztern Falle aber mu&#x017F;s wieder ein Drittes da seyn,<lb/>
das diesem Streite Fortdauer giebt. Dieses Dritte<lb/>
nun kann nicht selbst wieder Kraft seyn, denn<lb/>
sonst kämen wir auf die vorige Alternative zurück.<lb/>
Es mu&#x017F;s also etwas seyn, das höher ist, als selbst<lb/>
Kraft. Allein Kraft ist das letzte, worauf alle<lb/>
unsere physische Erklärungen zurückkommen: also<lb/>&#x017F;ste jenes Dritte etwas seyn, was ganz ausserhalb<lb/>
den Gränzen der Naturforschung liegt. Nun wis-<lb/>
sen wir aber nichts Höheres, für welches Kräfte<lb/>
überhaupt da seyn könnten, als den Geist: denn<lb/>
nur ein Geist vermag Kräfte, und Gleichgewicht,<lb/>
oder Streit von Kräften sich vorzustellen. Mithin<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">kann</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[32/0052] flusse der Gottheit zu suchen, ist dem Naturfor- scher nur dann erlaubt, wenn ihm alle übrige Auswege abgeschnitten sind. Ob dies hier der Fall ist, werden folgende Betrachtungen zeigen. Kraft können wir uns nur als etwas Endliches denken. Endlich aber ist ihrer Natur nach keine Kraft, als insofern sie durch eine entgegengesetzte beschränkt wird. Wo wir daher Kraft denken, da müssen wir auch eine ihr entgegengesetzte Kraft annehmen. Zwischen entgegengesetzten Kräften aber kann nur ein doppeltes Verhältniſs statt finden: entweder sie sind im relativen Gleichgewichte, wo sie als ruhend gedacht werden; oder man denkt sie im fortdauernden, nie entschiedenen Streite, da die eine wechselseitig siegt und unterliegt. Im letztern Falle aber muſs wieder ein Drittes da seyn, das diesem Streite Fortdauer giebt. Dieses Dritte nun kann nicht selbst wieder Kraft seyn, denn sonst kämen wir auf die vorige Alternative zurück. Es muſs also etwas seyn, das höher ist, als selbst Kraft. Allein Kraft ist das letzte, worauf alle unsere physische Erklärungen zurückkommen: also müſste jenes Dritte etwas seyn, was ganz ausserhalb den Gränzen der Naturforschung liegt. Nun wis- sen wir aber nichts Höheres, für welches Kräfte überhaupt da seyn könnten, als den Geist: denn nur ein Geist vermag Kräfte, und Gleichgewicht, oder Streit von Kräften sich vorzustellen. Mithin kann

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie01_1802
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie01_1802/52
Zitationshilfe: Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 1. Göttingen, 1802, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie01_1802/52>, abgerufen am 05.12.2024.