scheinungen", sagt er, "sind nur ein Analogon, "nur ein scheinbares Leben. Uns ist kein inneres "reelles Princip bekannt, als die Vorstellungen, an "denen unsere Sinne nichts Aeusseres wahrnehmen, "und an denen sie doch was Wirkliches vorstellen". Allein wir sehen, dass der Herzschlag, die wurm- förmige Bewegung der Gedärme, und überhaupt jede thierische Bewegung eine Zeitlang unter Um- ständen fortdauert, wo keine Einwirkung von Vor- stellungen auf dieselben mehr statt finden kann. Sind jene Bewegungen nur ein Analogon des Le- bens, so frägt sich: was ist denn dieses Analogon? und so ist das Bedürfniss einer Erklärung nur auf- geschoben, nicht weggeräumt.
Inzwischen sollte grade jener Doppelsinn uns nicht zum Leitfaden dienen können, eine richtigere Erklärung des Lebens zu finden? Der schlichte Menschenverstand, der die Bedeutung und den Ge- brauch der Wörter festsetzte, belegte nie zwey ver- schiedene Subjekte mit einerley Prädikat, wenn sich ihm nicht Analogien zwischen beyden, ob- gleich freylich meist nur in dämmernder Ferne, zeigten. Klären wir also jene Dämmerung auf! Vielleicht finden wir auf diesem Wege, was wir suchen.
Der Charakter des geistigen Lebens ist Will- kühr. Ist also das physische Leben ein Analogon des geistigen, so muss sich in den Erscheinungen
dessel-
scheinungen”, sagt er, “sind nur ein Analogon, „nur ein scheinbares Leben. Uns ist kein inneres „reelles Princip bekannt, als die Vorstellungen, an „denen unsere Sinne nichts Aeusseres wahrnehmen, „und an denen sie doch was Wirkliches vorstellen”. Allein wir sehen, daſs der Herzschlag, die wurm- förmige Bewegung der Gedärme, und überhaupt jede thierische Bewegung eine Zeitlang unter Um- ständen fortdauert, wo keine Einwirkung von Vor- stellungen auf dieselben mehr statt finden kann. Sind jene Bewegungen nur ein Analogon des Le- bens, so frägt sich: was ist denn dieses Analogon? und so ist das Bedürfniſs einer Erklärung nur auf- geschoben, nicht weggeräumt.
Inzwischen sollte grade jener Doppelsinn uns nicht zum Leitfaden dienen können, eine richtigere Erklärung des Lebens zu finden? Der schlichte Menschenverstand, der die Bedeutung und den Ge- brauch der Wörter festsetzte, belegte nie zwey ver- schiedene Subjekte mit einerley Prädikat, wenn sich ihm nicht Analogien zwischen beyden, ob- gleich freylich meist nur in dämmernder Ferne, zeigten. Klären wir also jene Dämmerung auf! Vielleicht finden wir auf diesem Wege, was wir suchen.
Der Charakter des geistigen Lebens ist Will- kühr. Ist also das physische Leben ein Analogon des geistigen, so muſs sich in den Erscheinungen
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scheinungen”, sagt er, “sind nur ein Analogon,
„nur ein scheinbares Leben. Uns ist kein inneres
„reelles Princip bekannt, als die Vorstellungen, an
„denen unsere Sinne nichts Aeusseres wahrnehmen,
„und an denen sie doch was Wirkliches vorstellen”.
Allein wir sehen, daſs der Herzschlag, die wurm-
förmige Bewegung der Gedärme, und überhaupt
jede thierische Bewegung eine Zeitlang unter Um-
ständen fortdauert, wo keine Einwirkung von Vor-
stellungen auf dieselben mehr statt finden kann.
Sind jene Bewegungen nur ein Analogon des Le-
bens, so frägt sich: was ist denn dieses Analogon?
und so ist das Bedürfniſs einer Erklärung nur auf-
geschoben, nicht weggeräumt.
Inzwischen sollte grade jener Doppelsinn uns
nicht zum Leitfaden dienen können, eine richtigere
Erklärung des Lebens zu finden? Der schlichte
Menschenverstand, der die Bedeutung und den Ge-
brauch der Wörter festsetzte, belegte nie zwey ver-
schiedene Subjekte mit einerley Prädikat, wenn
sich ihm nicht Analogien zwischen beyden, ob-
gleich freylich meist nur in dämmernder Ferne,
zeigten. Klären wir also jene Dämmerung auf!
Vielleicht finden wir auf diesem Wege, was wir
suchen.
Der Charakter des geistigen Lebens ist Will-
kühr. Ist also das physische Leben ein Analogon
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Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 1. Göttingen, 1802, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie01_1802/42>, abgerufen am 24.11.2024.
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