unzählige Irrthümer der Aerzte zuzuschreiben. Der Zweck der Medicin ist Erhaltung der Ge- sundheit und Heilung der Krankheiten. Ihre Theorie beruhet also auf der Kenntniss des gesun- den und kranken Körpers. Aber um uns diese Kenntniss zu erwerben, müssen wir vorher wissen, was Gesundheit und was Krankheit ist? Beyde Zustände nun sind verschiedene Modifikationen des Lebens. Um jene Frage zu beantworten, müssen wir also erst ausmachen, was Leben ist, und also die Biologie um Rath fragen. Diesen Weg hätten die Aerzte gehen sollen, um eine philosophische Theorie ihrer Kunst zu begründen. Aber wie verfuhren sie dagegen? Sie stellten Erklärungen von Gesundheit und Krankheit auf, die nicht aus höhern Vordersätzen geschöpft, und darum man- gelhaft waren, baueten hierauf zwey Wissenschaf- ten, wovon sie die eine mit einem ganz unpassen- den Namen Physiologie, die andere Pathologie nannten, und füllten die erstere mit Dingen an, die für den handelnden Arzt von geringem oder gar keinem Nutzen seyn konnten. Um sich von der Wahrheit dieser unserer Behauptung zu über- zeugen, durchgehe man nur mit einem flüchtigen Blicke die Schriften der vornehmsten praktischen Aerzte von Galen an bis auf das letzte Jahrzehnd, und halte sie gegen die gleichzeitigen physiologi- schen Lehrbücher. Man wird finden, dass diese nie einen bedeutenden Einfluss auf die Handlungs-
weise
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unzählige Irrthümer der Aerzte zuzuschreiben. Der Zweck der Medicin ist Erhaltung der Ge- sundheit und Heilung der Krankheiten. Ihre Theorie beruhet also auf der Kenntniſs des gesun- den und kranken Körpers. Aber um uns diese Kenntniſs zu erwerben, müssen wir vorher wissen, was Gesundheit und was Krankheit ist? Beyde Zustände nun sind verschiedene Modifikationen des Lebens. Um jene Frage zu beantworten, müssen wir also erst ausmachen, was Leben ist, und also die Biologie um Rath fragen. Diesen Weg hätten die Aerzte gehen sollen, um eine philosophische Theorie ihrer Kunst zu begründen. Aber wie verfuhren sie dagegen? Sie stellten Erklärungen von Gesundheit und Krankheit auf, die nicht aus höhern Vordersätzen geschöpft, und darum man- gelhaft waren, baueten hierauf zwey Wissenschaf- ten, wovon sie die eine mit einem ganz unpassen- den Namen Physiologie, die andere Pathologie nannten, und füllten die erstere mit Dingen an, die für den handelnden Arzt von geringem oder gar keinem Nutzen seyn konnten. Um sich von der Wahrheit dieser unserer Behauptung zu über- zeugen, durchgehe man nur mit einem flüchtigen Blicke die Schriften der vornehmsten praktischen Aerzte von Galen an bis auf das letzte Jahrzehnd, und halte sie gegen die gleichzeitigen physiologi- schen Lehrbücher. Man wird finden, daſs diese nie einen bedeutenden Einfluſs auf die Handlungs-
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unzählige Irrthümer der Aerzte zuzuschreiben.
Der Zweck der Medicin ist Erhaltung der Ge-
sundheit und Heilung der Krankheiten. Ihre
Theorie beruhet also auf der Kenntniſs des gesun-
den und kranken Körpers. Aber um uns diese
Kenntniſs zu erwerben, müssen wir vorher wissen,
was Gesundheit und was Krankheit ist? Beyde
Zustände nun sind verschiedene Modifikationen des
Lebens. Um jene Frage zu beantworten, müssen
wir also erst ausmachen, was Leben ist, und also
die Biologie um Rath fragen. Diesen Weg hätten
die Aerzte gehen sollen, um eine philosophische
Theorie ihrer Kunst zu begründen. Aber wie
verfuhren sie dagegen? Sie stellten Erklärungen
von Gesundheit und Krankheit auf, die nicht aus
höhern Vordersätzen geschöpft, und darum man-
gelhaft waren, baueten hierauf zwey Wissenschaf-
ten, wovon sie die eine mit einem ganz unpassen-
den Namen Physiologie, die andere Pathologie
nannten, und füllten die erstere mit Dingen an,
die für den handelnden Arzt von geringem oder
gar keinem Nutzen seyn konnten. Um sich von
der Wahrheit dieser unserer Behauptung zu über-
zeugen, durchgehe man nur mit einem flüchtigen
Blicke die Schriften der vornehmsten praktischen
Aerzte von Galen an bis auf das letzte Jahrzehnd,
und halte sie gegen die gleichzeitigen physiologi-
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Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 1. Göttingen, 1802, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie01_1802/29>, abgerufen am 25.11.2024.
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