"nur eine Darstellung desselben die wahre und ge- "treue seyn kann, so muss auch in dieser der Zweck "des Natürlichen und Künstlichen vereint seyn, "und dieser Unterschied verschwinden; die wahre, "natürliche und getreue Copie der Natur muss auch "den Zweck der künstlichen Classifikation am voll- "kommensten befriedigen. Denn dass Thiere des- "selben Geschlechts so viel Uebereinstimmendes an "sich tragen, beruhet doch wohl auf der Verwandt- "schaft des Princips ihrer innern Organisation; es "kömmt also nur darauf an, dieses ausfindig zu "machen, und das äussere Merkmal zu bestimmen, "worin es ausgedrückt ist, so hätten wir ein Clas- "sifikationsprincip erhalten, wodurch der Zweck "des natürlichen und künstlichen Systems zugleich "erreicht würde." Aber bey dieser Folgerung ist etwas vorausgesetzt, was mit der Erfahrung keines- weges übereinstimmt, nehmlich die erkennbare Einheit des Princips der Organisation. Die Erfah- rung lehrt, dass es nicht einen, sondern sehr viele Berührungspunkte zwischen jedem lebenden Körper und der Aussenwelt giebt, und dass jedem dieser Berührungspunkte ein besonderes Organ oder Sy- stem von Organen entspricht. Sie lehrt, dass Ab- weichung einer äussern Potenz von ihrer normalen Wirkungsart häufig blos in dem Organe, das ent- weder für sie eine specifique Empfänglichkeit be- sitzt, oder worauf sie zunächst wirkt, nicht aber in dem übrigen Körper, eine erkennbare Abwei-
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„nur eine Darstellung desselben die wahre und ge- „treue seyn kann, so muſs auch in dieser der Zweck „des Natürlichen und Künstlichen vereint seyn, „und dieser Unterschied verschwinden; die wahre, „natürliche und getreue Copie der Natur muſs auch „den Zweck der künstlichen Classifikation am voll- „kommensten befriedigen. Denn daſs Thiere des- „selben Geschlechts so viel Uebereinstimmendes an „sich tragen, beruhet doch wohl auf der Verwandt- „schaft des Princips ihrer innern Organisation; es „kömmt also nur darauf an, dieses ausfindig zu „machen, und das äussere Merkmal zu bestimmen, „worin es ausgedrückt ist, so hätten wir ein Clas- „sifikationsprincip erhalten, wodurch der Zweck „des natürlichen und künstlichen Systems zugleich „erreicht würde.” Aber bey dieser Folgerung ist etwas vorausgesetzt, was mit der Erfahrung keines- weges übereinstimmt, nehmlich die erkennbare Einheit des Princips der Organisation. Die Erfah- rung lehrt, daſs es nicht einen, sondern sehr viele Berührungspunkte zwischen jedem lebenden Körper und der Aussenwelt giebt, und daſs jedem dieser Berührungspunkte ein besonderes Organ oder Sy- stem von Organen entspricht. Sie lehrt, daſs Ab- weichung einer äussern Potenz von ihrer normalen Wirkungsart häufig blos in dem Organe, das ent- weder für sie eine specifique Empfänglichkeit be- sitzt, oder worauf sie zunächst wirkt, nicht aber in dem übrigen Körper, eine erkennbare Abwei-
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„nur eine Darstellung desselben die wahre und ge-
„treue seyn kann, so muſs auch in dieser der Zweck
„des Natürlichen und Künstlichen vereint seyn,
„und dieser Unterschied verschwinden; die wahre,
„natürliche und getreue Copie der Natur muſs auch
„den Zweck der künstlichen Classifikation am voll-
„kommensten befriedigen. Denn daſs Thiere des-
„selben Geschlechts so viel Uebereinstimmendes an
„sich tragen, beruhet doch wohl auf der Verwandt-
„schaft des Princips ihrer innern Organisation; es
„kömmt also nur darauf an, dieses ausfindig zu
„machen, und das äussere Merkmal zu bestimmen,
„worin es ausgedrückt ist, so hätten wir ein Clas-
„sifikationsprincip erhalten, wodurch der Zweck
„des natürlichen und künstlichen Systems zugleich
„erreicht würde.” Aber bey dieser Folgerung ist
etwas vorausgesetzt, was mit der Erfahrung keines-
weges übereinstimmt, nehmlich die erkennbare
Einheit des Princips der Organisation. Die Erfah-
rung lehrt, daſs es nicht einen, sondern sehr viele
Berührungspunkte zwischen jedem lebenden Körper
und der Aussenwelt giebt, und daſs jedem dieser
Berührungspunkte ein besonderes Organ oder Sy-
stem von Organen entspricht. Sie lehrt, daſs Ab-
weichung einer äussern Potenz von ihrer normalen
Wirkungsart häufig blos in dem Organe, das ent-
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Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 1. Göttingen, 1802, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie01_1802/183>, abgerufen am 04.12.2024.
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