und Systeme, und ist nicht geringere Consequenz das Einzige, was die ihrigen von denen der erklär- ten Dogmatiker unterscheidet? Wir alle, Empiri- ker und Dogmatiker, irren in dämmerndem Hell- dunkel von wandelnden Gestalten umgaukelt. Wer diese Erscheinungen für das hält, was sie wirklich sind, für zusammengesetzt aus Täuschung und Wahrheit, und die letztern von einander zu son- dern sucht, und zu dem Ende jene Gestalten mit der Fackel der Philosophie beleuchtet, und sie von so vielen Seiten betrachtet, wie er auffassen kann, wird immer mehr von den wahren Urgestalten er- kennen, wenn er auch nie dahin gelanget, sie von aller Täuschung befreyet zu erblicken. Aber wer die Dämmerung für helles Mittagslicht und die nächtlichen Schatten für Wirklichkeiten hält, und nie das Zeugniss der Sinne zu berichtigen sucht, irret ewig betrogen umher und umarmet jeden Au- genblick eine Wolke statt einer Juno. Jener ist der Dogmatiker, und den lasset unangetastet, oder ihr verewigt die Kindheit des Menschen! Nur gegen diesen richtet eure Declamationen: denn dieser hat den Dünkel des Wissens, da er nichts weiss, und glaubt sich im Besitze klarer Begriffe, da ihm alles dunkel und verworren erscheint.
Ge-
und Systeme, und ist nicht geringere Consequenz das Einzige, was die ihrigen von denen der erklär- ten Dogmatiker unterscheidet? Wir alle, Empiri- ker und Dogmatiker, irren in dämmerndem Hell- dunkel von wandelnden Gestalten umgaukelt. Wer diese Erscheinungen für das hält, was sie wirklich sind, für zusammengesetzt aus Täuschung und Wahrheit, und die letztern von einander zu son- dern sucht, und zu dem Ende jene Gestalten mit der Fackel der Philosophie beleuchtet, und sie von so vielen Seiten betrachtet, wie er auffassen kann, wird immer mehr von den wahren Urgestalten er- kennen, wenn er auch nie dahin gelanget, sie von aller Täuschung befreyet zu erblicken. Aber wer die Dämmerung für helles Mittagslicht und die nächtlichen Schatten für Wirklichkeiten hält, und nie das Zeugniſs der Sinne zu berichtigen sucht, irret ewig betrogen umher und umarmet jeden Au- genblick eine Wolke statt einer Juno. Jener ist der Dogmatiker, und den lasset unangetastet, oder ihr verewigt die Kindheit des Menschen! Nur gegen diesen richtet eure Declamationen: denn dieser hat den Dünkel des Wissens, da er nichts weiſs, und glaubt sich im Besitze klarer Begriffe, da ihm alles dunkel und verworren erscheint.
Ge-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0172"n="152"/>
und Systeme, und ist nicht geringere Consequenz<lb/>
das Einzige, was die ihrigen von denen der erklär-<lb/>
ten Dogmatiker unterscheidet? Wir alle, Empiri-<lb/>
ker und Dogmatiker, irren in dämmerndem Hell-<lb/>
dunkel von wandelnden Gestalten umgaukelt. Wer<lb/>
diese Erscheinungen für das hält, was sie wirklich<lb/>
sind, für zusammengesetzt aus Täuschung und<lb/>
Wahrheit, und die letztern von einander zu son-<lb/>
dern sucht, und zu dem Ende jene Gestalten mit<lb/>
der Fackel der Philosophie beleuchtet, und sie von<lb/>
so vielen Seiten betrachtet, wie er auffassen kann,<lb/>
wird immer mehr von den wahren Urgestalten er-<lb/>
kennen, wenn er auch nie dahin gelanget, sie von<lb/>
aller Täuschung befreyet zu erblicken. Aber wer<lb/>
die Dämmerung für helles Mittagslicht und die<lb/>
nächtlichen Schatten für Wirklichkeiten hält, und<lb/>
nie das Zeugniſs der Sinne zu berichtigen sucht,<lb/>
irret ewig betrogen umher und umarmet jeden Au-<lb/>
genblick eine Wolke statt einer Juno. Jener ist der<lb/>
Dogmatiker, und den lasset unangetastet, oder ihr<lb/>
verewigt die Kindheit des Menschen! Nur gegen<lb/>
diesen richtet eure Declamationen: denn dieser hat<lb/>
den Dünkel des Wissens, da er nichts weiſs, und<lb/>
glaubt sich im Besitze klarer Begriffe, da ihm alles<lb/>
dunkel und verworren erscheint.</p></div></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><fwplace="bottom"type="catch"><hirendition="#b">Ge-</hi></fw><lb/></body></text></TEI>
[152/0172]
und Systeme, und ist nicht geringere Consequenz
das Einzige, was die ihrigen von denen der erklär-
ten Dogmatiker unterscheidet? Wir alle, Empiri-
ker und Dogmatiker, irren in dämmerndem Hell-
dunkel von wandelnden Gestalten umgaukelt. Wer
diese Erscheinungen für das hält, was sie wirklich
sind, für zusammengesetzt aus Täuschung und
Wahrheit, und die letztern von einander zu son-
dern sucht, und zu dem Ende jene Gestalten mit
der Fackel der Philosophie beleuchtet, und sie von
so vielen Seiten betrachtet, wie er auffassen kann,
wird immer mehr von den wahren Urgestalten er-
kennen, wenn er auch nie dahin gelanget, sie von
aller Täuschung befreyet zu erblicken. Aber wer
die Dämmerung für helles Mittagslicht und die
nächtlichen Schatten für Wirklichkeiten hält, und
nie das Zeugniſs der Sinne zu berichtigen sucht,
irret ewig betrogen umher und umarmet jeden Au-
genblick eine Wolke statt einer Juno. Jener ist der
Dogmatiker, und den lasset unangetastet, oder ihr
verewigt die Kindheit des Menschen! Nur gegen
diesen richtet eure Declamationen: denn dieser hat
den Dünkel des Wissens, da er nichts weiſs, und
glaubt sich im Besitze klarer Begriffe, da ihm alles
dunkel und verworren erscheint.
Ge-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 1. Göttingen, 1802, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie01_1802/172>, abgerufen am 12.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.