Vorgänger (g). Die Erzählung des weisen Nathan beym Lessing passt nicht blos auf den wahren theo- logischen Glauben. Auch jede medicinische Sekte glaubte sich im Besitze des ächten Ringes, und doch waren bisher alle noch mehr oder weniger Getäuschte.
Aber sollen denn die Regeln einer Kunst, die unter allen für den Staat und die ganze Mensch- heit die wichtigste ist, dem Winde jeder neuen Lehre überlassen werden? Dies können und sollen sie freylich nicht. Es giebt noch einen andern Aus- weg, nehmlich die praktische Heilkunde in engere Gränzen einzuschliessen, als sie bisher hatte, und dieser Weg ist es, den wir einschlagen müssen. Wir wollen uns deutlicher hierüber erklären.
Wir haben bewiesen, dass alle praktische Heil- kunde nur auf dem Wege des Dogmatismus möglich ist. Die Grundlage des Dogmatismus aber ist die Bio- logie, und dass diese kein vollendetes System ist,
und
(g) Theoria Recentiorum multo certior est Theoria Ga- lenicorum. Illius nempe fundamenta iacta sunt in experimentis sedulo et coaceruatim factis, e naturalis philosophiae penu depromptis; morborumque causas et symptoma non per incertas coniecturas, sed per mathematicam veritatem, tamquam per radios solis delineat et demonstrat, quaeque olim apud Barbaros barbara evaserant, et apud Doctos in dubium revoca- bantur, nunc clara luce corruscant, discussa ambigui- tatis nebula (Baglivi Prax. med. L. I. C. XI. §. 4.).
Vorgänger (g). Die Erzählung des weisen Nathan beym Lessing paſst nicht blos auf den wahren theo- logischen Glauben. Auch jede medicinische Sekte glaubte sich im Besitze des ächten Ringes, und doch waren bisher alle noch mehr oder weniger Getäuschte.
Aber sollen denn die Regeln einer Kunst, die unter allen für den Staat und die ganze Mensch- heit die wichtigste ist, dem Winde jeder neuen Lehre überlassen werden? Dies können und sollen sie freylich nicht. Es giebt noch einen andern Aus- weg, nehmlich die praktische Heilkunde in engere Gränzen einzuschliessen, als sie bisher hatte, und dieser Weg ist es, den wir einschlagen müssen. Wir wollen uns deutlicher hierüber erklären.
Wir haben bewiesen, daſs alle praktische Heil- kunde nur auf dem Wege des Dogmatismus möglich ist. Die Grundlage des Dogmatismus aber ist die Bio- logie, und daſs diese kein vollendetes System ist,
und
(g) Theoria Recentiorum multo certior est Theoria Ga- lenicorum. Illius nempe fundamenta iacta sunt in experimentis sedulo et coaceruatim factis, e naturalis philosophiae penu depromptis; morborumque causas et symptoma non per incertas coniecturas, sed per mathematicam veritatem, tamquam per radios solis delineat et demonstrat, quaeque olim apud Barbaros barbara evaserant, et apud Doctos in dubium revoca- bantur, nunc clara luce corruscant, discussa ambigui- tatis nebula (Baglivi Prax. med. L. I. C. XI. §. 4.).
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0161"n="141"/>
Vorgänger <noteplace="foot"n="(g)">Theoria Recentiorum multo certior est Theoria Ga-<lb/>
lenicorum. Illius nempe fundamenta iacta sunt in<lb/>
experimentis sedulo et coaceruatim factis, e naturalis<lb/>
philosophiae penu depromptis; morborumque causas<lb/>
et symptoma non per incertas coniecturas, sed per<lb/>
mathematicam veritatem, tamquam per radios solis<lb/>
delineat et demonstrat, quaeque olim apud Barbaros<lb/>
barbara evaserant, et apud Doctos in dubium revoca-<lb/>
bantur, nunc clara luce corruscant, discussa ambigui-<lb/>
tatis nebula (<hirendition="#k">Baglivi Prax</hi>. med. L. I. C. XI. §. 4.).</note>. Die Erzählung des weisen Nathan<lb/>
beym <hirendition="#k">Lessing</hi> paſst nicht blos auf den wahren theo-<lb/>
logischen Glauben. Auch jede medicinische Sekte<lb/>
glaubte sich im Besitze des ächten Ringes, und<lb/>
doch waren bisher alle noch mehr oder weniger<lb/>
Getäuschte.</p><lb/><p>Aber sollen denn die Regeln einer Kunst, die<lb/>
unter allen für den Staat und die ganze Mensch-<lb/>
heit die wichtigste ist, dem Winde jeder neuen<lb/>
Lehre überlassen werden? Dies können und sollen<lb/>
sie freylich nicht. Es giebt noch einen andern Aus-<lb/>
weg, nehmlich die praktische Heilkunde in engere<lb/>
Gränzen einzuschliessen, als sie bisher hatte, und<lb/>
dieser Weg ist es, den wir einschlagen müssen.<lb/>
Wir wollen uns deutlicher hierüber erklären.</p><lb/><p>Wir haben bewiesen, daſs alle praktische Heil-<lb/>
kunde nur auf dem Wege des Dogmatismus möglich<lb/>
ist. Die Grundlage des Dogmatismus aber ist die Bio-<lb/>
logie, und daſs diese kein vollendetes System ist,<lb/><fwplace="bottom"type="catch">und</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[141/0161]
Vorgänger (g). Die Erzählung des weisen Nathan
beym Lessing paſst nicht blos auf den wahren theo-
logischen Glauben. Auch jede medicinische Sekte
glaubte sich im Besitze des ächten Ringes, und
doch waren bisher alle noch mehr oder weniger
Getäuschte.
Aber sollen denn die Regeln einer Kunst, die
unter allen für den Staat und die ganze Mensch-
heit die wichtigste ist, dem Winde jeder neuen
Lehre überlassen werden? Dies können und sollen
sie freylich nicht. Es giebt noch einen andern Aus-
weg, nehmlich die praktische Heilkunde in engere
Gränzen einzuschliessen, als sie bisher hatte, und
dieser Weg ist es, den wir einschlagen müssen.
Wir wollen uns deutlicher hierüber erklären.
Wir haben bewiesen, daſs alle praktische Heil-
kunde nur auf dem Wege des Dogmatismus möglich
ist. Die Grundlage des Dogmatismus aber ist die Bio-
logie, und daſs diese kein vollendetes System ist,
und
(g) Theoria Recentiorum multo certior est Theoria Ga-
lenicorum. Illius nempe fundamenta iacta sunt in
experimentis sedulo et coaceruatim factis, e naturalis
philosophiae penu depromptis; morborumque causas
et symptoma non per incertas coniecturas, sed per
mathematicam veritatem, tamquam per radios solis
delineat et demonstrat, quaeque olim apud Barbaros
barbara evaserant, et apud Doctos in dubium revoca-
bantur, nunc clara luce corruscant, discussa ambigui-
tatis nebula (Baglivi Prax. med. L. I. C. XI. §. 4.).
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 1. Göttingen, 1802, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie01_1802/161>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.