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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Deutsche Kriegsbegeisterung.
aber von der Pariser Presse künstlich gefördert und geleitet wurde. Sogar
die allezeit streitlustigen Elsasser erschraken; die Straßburger Zeitungen
sagten kleinmüthig, auf das preußische Rheinland müsse Frankreich wohl
für immer verzichten, nur die Pfalz sei noch zu gewinnen.

Sofort stand außer Zweifel, daß die Deutschen diesen Krieg, wenn
er kam, sogar noch einträchtiger führen würden als den Feldzug von
Belle Alliance; denn gerade in den Landschaften, welche bisher für fran-
zösische Ideen eine besondere Vorliebe gezeigt hatten, flammte das kriege-
rische Feuer am hellsten. Wie oft hatten die preußischen Rheinländer
beim Schoppen über den Ehrenbreitstein und die anderen "Zwing-Uris"
ihres Königs gespottet; jetzt fühlten sie alle dankbar, daß sie hinter diesen
Bollwerken deutscher Freiheit so wohlgeborgen saßen. Den Süddeutschen
aber fiel es schwer auf's Herz, wie gröblich ihre Regierungen und Land-
tage sich durch falsche Sparsamkeit an dem großen Vaterlande versündigt
hatten; sie sahen sich wehrlos und alle wendeten ihre Blicke hilfesuchend
auf den neuen König von Preußen. Recht aus dem Herzen der verstän-
digen Süddeutschen heraus sagte Nebenius in einer anonymen Flugschrift
über "das südwestliche Deutschland und seine Stimmungen": unser Süden
bedürfe vor Allem einer Landwehr nach preußischem Muster, damit er
sich endlich aus eigener Kraft zu vertheidigen lerne. Auch die bairische
Pfalz, vor acht Jahren noch die Heimstätte des wüsten Radicalismus,
hielt sich so musterhaft, daß der Regierungspräsident Fürst Wrede den
Pfälzern mit vollem Rechte sagen konnte, ihr Nationalsinn hätte ihn "mit
wahrer Bewunderung erfüllt".*) Die tollen Reden des Hambacher Festes
waren ja doch nur der unbestimmten Sehnsucht nach einem großen Vater-
lande entsprungen; seitdem hatte die Langeweile des Bourgeois-Regiments
die französischen Sympathien sehr abgekühlt, die unwiderstehliche Interessen-
gemeinschaft des Zollvereins das deutsche Nationalgefühl mächtig gefördert;
und sobald Noth an Mann kam zeigte sich sogleich, daß der Pfälzer ebenso
gut ein Deutscher war wie der Märker oder der Pommer. In schönem
Einmuth hielten alle Stämme zusammen; höchstens im Königreich Sachsen
und den anderen Kleinstaaten des Ostens, die sich nicht unmittelbar bedroht
fühlten, erklang noch zuweilen schüchtern eine Stimme philisterhafter Frie-
densseligkeit.**)

Und wie das Volk so seine Fürsten. Von jener rheinbündischen
Gesinnung, die noch im Jahre 1815 zu Stuttgart und Karlsruhe so dreist
herausgetreten war, fand sich nirgends mehr eine Spur. Der gesammte
hohe Adel der Nation schaarte sich ehrenhaft um das Banner des Vaterlandes:
von dem alten Welfen an, der als grimmiger Reaktionär den Vernichtungs-
kampf wider die Revolution ersehnte, bis hinüber zu dem Teutschesten der

*) Abschiedsschreiben des Reg.-Präs. Fürst Wrede an die Pfälzer, Speier 30. Apr.
1841.
**) Jordan's Bericht, Dresden 24. Oct. 1840.

Deutſche Kriegsbegeiſterung.
aber von der Pariſer Preſſe künſtlich gefördert und geleitet wurde. Sogar
die allezeit ſtreitluſtigen Elſaſſer erſchraken; die Straßburger Zeitungen
ſagten kleinmüthig, auf das preußiſche Rheinland müſſe Frankreich wohl
für immer verzichten, nur die Pfalz ſei noch zu gewinnen.

Sofort ſtand außer Zweifel, daß die Deutſchen dieſen Krieg, wenn
er kam, ſogar noch einträchtiger führen würden als den Feldzug von
Belle Alliance; denn gerade in den Landſchaften, welche bisher für fran-
zöſiſche Ideen eine beſondere Vorliebe gezeigt hatten, flammte das kriege-
riſche Feuer am hellſten. Wie oft hatten die preußiſchen Rheinländer
beim Schoppen über den Ehrenbreitſtein und die anderen „Zwing-Uris“
ihres Königs geſpottet; jetzt fühlten ſie alle dankbar, daß ſie hinter dieſen
Bollwerken deutſcher Freiheit ſo wohlgeborgen ſaßen. Den Süddeutſchen
aber fiel es ſchwer auf’s Herz, wie gröblich ihre Regierungen und Land-
tage ſich durch falſche Sparſamkeit an dem großen Vaterlande verſündigt
hatten; ſie ſahen ſich wehrlos und alle wendeten ihre Blicke hilfeſuchend
auf den neuen König von Preußen. Recht aus dem Herzen der verſtän-
digen Süddeutſchen heraus ſagte Nebenius in einer anonymen Flugſchrift
über „das ſüdweſtliche Deutſchland und ſeine Stimmungen“: unſer Süden
bedürfe vor Allem einer Landwehr nach preußiſchem Muſter, damit er
ſich endlich aus eigener Kraft zu vertheidigen lerne. Auch die bairiſche
Pfalz, vor acht Jahren noch die Heimſtätte des wüſten Radicalismus,
hielt ſich ſo muſterhaft, daß der Regierungspräſident Fürſt Wrede den
Pfälzern mit vollem Rechte ſagen konnte, ihr Nationalſinn hätte ihn „mit
wahrer Bewunderung erfüllt“.*) Die tollen Reden des Hambacher Feſtes
waren ja doch nur der unbeſtimmten Sehnſucht nach einem großen Vater-
lande entſprungen; ſeitdem hatte die Langeweile des Bourgeois-Regiments
die franzöſiſchen Sympathien ſehr abgekühlt, die unwiderſtehliche Intereſſen-
gemeinſchaft des Zollvereins das deutſche Nationalgefühl mächtig gefördert;
und ſobald Noth an Mann kam zeigte ſich ſogleich, daß der Pfälzer ebenſo
gut ein Deutſcher war wie der Märker oder der Pommer. In ſchönem
Einmuth hielten alle Stämme zuſammen; höchſtens im Königreich Sachſen
und den anderen Kleinſtaaten des Oſtens, die ſich nicht unmittelbar bedroht
fühlten, erklang noch zuweilen ſchüchtern eine Stimme philiſterhafter Frie-
densſeligkeit.**)

Und wie das Volk ſo ſeine Fürſten. Von jener rheinbündiſchen
Geſinnung, die noch im Jahre 1815 zu Stuttgart und Karlsruhe ſo dreiſt
herausgetreten war, fand ſich nirgends mehr eine Spur. Der geſammte
hohe Adel der Nation ſchaarte ſich ehrenhaft um das Banner des Vaterlandes:
von dem alten Welfen an, der als grimmiger Reaktionär den Vernichtungs-
kampf wider die Revolution erſehnte, bis hinüber zu dem Teutſcheſten der

*) Abſchiedsſchreiben des Reg.-Präſ. Fürſt Wrede an die Pfälzer, Speier 30. Apr.
1841.
**) Jordan’s Bericht, Dresden 24. Oct. 1840.
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[85/0099] Deutſche Kriegsbegeiſterung. aber von der Pariſer Preſſe künſtlich gefördert und geleitet wurde. Sogar die allezeit ſtreitluſtigen Elſaſſer erſchraken; die Straßburger Zeitungen ſagten kleinmüthig, auf das preußiſche Rheinland müſſe Frankreich wohl für immer verzichten, nur die Pfalz ſei noch zu gewinnen. Sofort ſtand außer Zweifel, daß die Deutſchen dieſen Krieg, wenn er kam, ſogar noch einträchtiger führen würden als den Feldzug von Belle Alliance; denn gerade in den Landſchaften, welche bisher für fran- zöſiſche Ideen eine beſondere Vorliebe gezeigt hatten, flammte das kriege- riſche Feuer am hellſten. Wie oft hatten die preußiſchen Rheinländer beim Schoppen über den Ehrenbreitſtein und die anderen „Zwing-Uris“ ihres Königs geſpottet; jetzt fühlten ſie alle dankbar, daß ſie hinter dieſen Bollwerken deutſcher Freiheit ſo wohlgeborgen ſaßen. Den Süddeutſchen aber fiel es ſchwer auf’s Herz, wie gröblich ihre Regierungen und Land- tage ſich durch falſche Sparſamkeit an dem großen Vaterlande verſündigt hatten; ſie ſahen ſich wehrlos und alle wendeten ihre Blicke hilfeſuchend auf den neuen König von Preußen. Recht aus dem Herzen der verſtän- digen Süddeutſchen heraus ſagte Nebenius in einer anonymen Flugſchrift über „das ſüdweſtliche Deutſchland und ſeine Stimmungen“: unſer Süden bedürfe vor Allem einer Landwehr nach preußiſchem Muſter, damit er ſich endlich aus eigener Kraft zu vertheidigen lerne. Auch die bairiſche Pfalz, vor acht Jahren noch die Heimſtätte des wüſten Radicalismus, hielt ſich ſo muſterhaft, daß der Regierungspräſident Fürſt Wrede den Pfälzern mit vollem Rechte ſagen konnte, ihr Nationalſinn hätte ihn „mit wahrer Bewunderung erfüllt“. *) Die tollen Reden des Hambacher Feſtes waren ja doch nur der unbeſtimmten Sehnſucht nach einem großen Vater- lande entſprungen; ſeitdem hatte die Langeweile des Bourgeois-Regiments die franzöſiſchen Sympathien ſehr abgekühlt, die unwiderſtehliche Intereſſen- gemeinſchaft des Zollvereins das deutſche Nationalgefühl mächtig gefördert; und ſobald Noth an Mann kam zeigte ſich ſogleich, daß der Pfälzer ebenſo gut ein Deutſcher war wie der Märker oder der Pommer. In ſchönem Einmuth hielten alle Stämme zuſammen; höchſtens im Königreich Sachſen und den anderen Kleinſtaaten des Oſtens, die ſich nicht unmittelbar bedroht fühlten, erklang noch zuweilen ſchüchtern eine Stimme philiſterhafter Frie- densſeligkeit. **) Und wie das Volk ſo ſeine Fürſten. Von jener rheinbündiſchen Geſinnung, die noch im Jahre 1815 zu Stuttgart und Karlsruhe ſo dreiſt herausgetreten war, fand ſich nirgends mehr eine Spur. Der geſammte hohe Adel der Nation ſchaarte ſich ehrenhaft um das Banner des Vaterlandes: von dem alten Welfen an, der als grimmiger Reaktionär den Vernichtungs- kampf wider die Revolution erſehnte, bis hinüber zu dem Teutſcheſten der *) Abſchiedsſchreiben des Reg.-Präſ. Fürſt Wrede an die Pfälzer, Speier 30. Apr. 1841. **) Jordan’s Bericht, Dresden 24. Oct. 1840.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/99>, abgerufen am 23.11.2024.