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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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V. 2. Die Kriegsgefahr.
Ostens in seiner Hand zu haben; er nannte mit gewohnter Ruhmredig-
keit diese That einen der größten diplomatischen Erfolge seines Lebens
und schmeichelte sich mit der Hoffnung, nunmehr würde unter seiner
Leitung ein europäischer Congreß in Wien zusammentreten, der die orien-
talischen Händel, natürlich zum Nachtheil Mehemed Ali's, beilegen sollte.*)

Anders dachte der König von Preußen. Er sah klar voraus, daß
diese scheinbare Einigung Europas die Hintergedanken Rußlands, das
Zerwürfniß zwischen den Westmächten sehr bald an den Tag bringen,
vielleicht gar den allgemeinen Krieg hervorrufen mußte. Aergerlich meinte
er, die Mächte hätten besser gethan sich nicht zu übereilen, sondern dem
Sultan die Verständigung mit dem Pascha zu überlassen.**) Weil er auf
seine alten Tage keinenfalls den Frieden brechen, seinem Volke um dieser
entlegenen Händel willen weder Subsidienzahlungen noch Kriegslasten
auflegen wollte, so ließ er den großen Höfen mehrmals auf das Bestimm-
teste erklären: Preußen gewähre den Versuchen zur friedlichen Lösung der
orientalischen Frage nur seinen moralischen Beistand (appui moral) und
behalte sich die strengste Neutralität vor falls die unmittelbar betheiligten
Mächte zu den Waffen greifen sollten.***) Er hatte recht geahnt. Die
Absichten der beiden Westmächte zeigten sich sofort als unvereinbar. Während
Frankreich seinen ägyptischen Schützling schonen wollte, beabsichtigte Pal-
merston den Sieger von Nisib für seinen Sieg zu bestrafen, ihn durch
ein salomonisches Urtheil Europas eines guten Theiles seiner alten Be-
sitzungen zu berauben.

Auch die Pforte blieb, trotz ihrer Schwäche, unversöhnlich und er-
fand jetzt ein neues, sehr wirksames Kampfmittel wider Mehemed Ali.
Der Minister des Auswärtigen Reschid Pascha hatte als Gesandter in
London die Macht der Presse des Abendlandes kennen gelernt und als-
bald begriffen, welchen Vortheil dem Aegypter die brünstigen Lobeser-
hebungen der französischen und vieler anderen liberalen Zeitungen ge-
währten. Er rieth daher dem jungen Sultan, durch ein feierliches
Schauspiel den Europäern zu bekunden, daß der Großherr noch weit
liberaler denke als der aufgeklärte Despot am Nil. Am 2. Nov. versam-
melten sich die Großwürdenträger des Reichs und die Notabeln der Haupt-
stadt in einem Hofe des alten Serails vor dem Kiosk von Gülhane,
nahe jener alten Platane, in deren Schatten einst die meuterischen Janit-
scharen zu berathen pflegten. Sobald der Hofastrolog mit seinem Astro-
labium den günstigen Augenblick erkundet hatte, wurde der Hattischerif
von Gülhane verlesen, eine mit alttürkischem und neufränkischem Wort-

*) Maltzan's Berichte, 1. Jan. 1840 ff.
**) König Friedrich Wilhelm, Randbemerkung zu Maltzan's Bericht v. 23. April 1840.
***) Bericht von Werther d. J., Geschäftsträger in London, 20. Dec. 1839, mit
Randbemerkung des Königs. Minister Werther, Bericht an den König 15. Jan., dessen
Weisung an Werther d. J. 20. Jan. 1840 nebst Randbemerkungen.

V. 2. Die Kriegsgefahr.
Oſtens in ſeiner Hand zu haben; er nannte mit gewohnter Ruhmredig-
keit dieſe That einen der größten diplomatiſchen Erfolge ſeines Lebens
und ſchmeichelte ſich mit der Hoffnung, nunmehr würde unter ſeiner
Leitung ein europäiſcher Congreß in Wien zuſammentreten, der die orien-
taliſchen Händel, natürlich zum Nachtheil Mehemed Ali’s, beilegen ſollte.*)

Anders dachte der König von Preußen. Er ſah klar voraus, daß
dieſe ſcheinbare Einigung Europas die Hintergedanken Rußlands, das
Zerwürfniß zwiſchen den Weſtmächten ſehr bald an den Tag bringen,
vielleicht gar den allgemeinen Krieg hervorrufen mußte. Aergerlich meinte
er, die Mächte hätten beſſer gethan ſich nicht zu übereilen, ſondern dem
Sultan die Verſtändigung mit dem Paſcha zu überlaſſen.**) Weil er auf
ſeine alten Tage keinenfalls den Frieden brechen, ſeinem Volke um dieſer
entlegenen Händel willen weder Subſidienzahlungen noch Kriegslaſten
auflegen wollte, ſo ließ er den großen Höfen mehrmals auf das Beſtimm-
teſte erklären: Preußen gewähre den Verſuchen zur friedlichen Löſung der
orientaliſchen Frage nur ſeinen moraliſchen Beiſtand (appui moral) und
behalte ſich die ſtrengſte Neutralität vor falls die unmittelbar betheiligten
Mächte zu den Waffen greifen ſollten.***) Er hatte recht geahnt. Die
Abſichten der beiden Weſtmächte zeigten ſich ſofort als unvereinbar. Während
Frankreich ſeinen ägyptiſchen Schützling ſchonen wollte, beabſichtigte Pal-
merſton den Sieger von Niſib für ſeinen Sieg zu beſtrafen, ihn durch
ein ſalomoniſches Urtheil Europas eines guten Theiles ſeiner alten Be-
ſitzungen zu berauben.

Auch die Pforte blieb, trotz ihrer Schwäche, unverſöhnlich und er-
fand jetzt ein neues, ſehr wirkſames Kampfmittel wider Mehemed Ali.
Der Miniſter des Auswärtigen Reſchid Paſcha hatte als Geſandter in
London die Macht der Preſſe des Abendlandes kennen gelernt und als-
bald begriffen, welchen Vortheil dem Aegypter die brünſtigen Lobeser-
hebungen der franzöſiſchen und vieler anderen liberalen Zeitungen ge-
währten. Er rieth daher dem jungen Sultan, durch ein feierliches
Schauſpiel den Europäern zu bekunden, daß der Großherr noch weit
liberaler denke als der aufgeklärte Despot am Nil. Am 2. Nov. verſam-
melten ſich die Großwürdenträger des Reichs und die Notabeln der Haupt-
ſtadt in einem Hofe des alten Serails vor dem Kiosk von Gülhane,
nahe jener alten Platane, in deren Schatten einſt die meuteriſchen Janit-
ſcharen zu berathen pflegten. Sobald der Hofaſtrolog mit ſeinem Aſtro-
labium den günſtigen Augenblick erkundet hatte, wurde der Hattiſcherif
von Gülhane verleſen, eine mit alttürkiſchem und neufränkiſchem Wort-

*) Maltzan’s Berichte, 1. Jan. 1840 ff.
**) König Friedrich Wilhelm, Randbemerkung zu Maltzan’s Bericht v. 23. April 1840.
***) Bericht von Werther d. J., Geſchäftsträger in London, 20. Dec. 1839, mit
Randbemerkung des Königs. Miniſter Werther, Bericht an den König 15. Jan., deſſen
Weiſung an Werther d. J. 20. Jan. 1840 nebſt Randbemerkungen.
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[68/0082] V. 2. Die Kriegsgefahr. Oſtens in ſeiner Hand zu haben; er nannte mit gewohnter Ruhmredig- keit dieſe That einen der größten diplomatiſchen Erfolge ſeines Lebens und ſchmeichelte ſich mit der Hoffnung, nunmehr würde unter ſeiner Leitung ein europäiſcher Congreß in Wien zuſammentreten, der die orien- taliſchen Händel, natürlich zum Nachtheil Mehemed Ali’s, beilegen ſollte. *) Anders dachte der König von Preußen. Er ſah klar voraus, daß dieſe ſcheinbare Einigung Europas die Hintergedanken Rußlands, das Zerwürfniß zwiſchen den Weſtmächten ſehr bald an den Tag bringen, vielleicht gar den allgemeinen Krieg hervorrufen mußte. Aergerlich meinte er, die Mächte hätten beſſer gethan ſich nicht zu übereilen, ſondern dem Sultan die Verſtändigung mit dem Paſcha zu überlaſſen. **) Weil er auf ſeine alten Tage keinenfalls den Frieden brechen, ſeinem Volke um dieſer entlegenen Händel willen weder Subſidienzahlungen noch Kriegslaſten auflegen wollte, ſo ließ er den großen Höfen mehrmals auf das Beſtimm- teſte erklären: Preußen gewähre den Verſuchen zur friedlichen Löſung der orientaliſchen Frage nur ſeinen moraliſchen Beiſtand (appui moral) und behalte ſich die ſtrengſte Neutralität vor falls die unmittelbar betheiligten Mächte zu den Waffen greifen ſollten. ***) Er hatte recht geahnt. Die Abſichten der beiden Weſtmächte zeigten ſich ſofort als unvereinbar. Während Frankreich ſeinen ägyptiſchen Schützling ſchonen wollte, beabſichtigte Pal- merſton den Sieger von Niſib für ſeinen Sieg zu beſtrafen, ihn durch ein ſalomoniſches Urtheil Europas eines guten Theiles ſeiner alten Be- ſitzungen zu berauben. Auch die Pforte blieb, trotz ihrer Schwäche, unverſöhnlich und er- fand jetzt ein neues, ſehr wirkſames Kampfmittel wider Mehemed Ali. Der Miniſter des Auswärtigen Reſchid Paſcha hatte als Geſandter in London die Macht der Preſſe des Abendlandes kennen gelernt und als- bald begriffen, welchen Vortheil dem Aegypter die brünſtigen Lobeser- hebungen der franzöſiſchen und vieler anderen liberalen Zeitungen ge- währten. Er rieth daher dem jungen Sultan, durch ein feierliches Schauſpiel den Europäern zu bekunden, daß der Großherr noch weit liberaler denke als der aufgeklärte Despot am Nil. Am 2. Nov. verſam- melten ſich die Großwürdenträger des Reichs und die Notabeln der Haupt- ſtadt in einem Hofe des alten Serails vor dem Kiosk von Gülhane, nahe jener alten Platane, in deren Schatten einſt die meuteriſchen Janit- ſcharen zu berathen pflegten. Sobald der Hofaſtrolog mit ſeinem Aſtro- labium den günſtigen Augenblick erkundet hatte, wurde der Hattiſcherif von Gülhane verleſen, eine mit alttürkiſchem und neufränkiſchem Wort- *) Maltzan’s Berichte, 1. Jan. 1840 ff. **) König Friedrich Wilhelm, Randbemerkung zu Maltzan’s Bericht v. 23. April 1840. ***) Bericht von Werther d. J., Geſchäftsträger in London, 20. Dec. 1839, mit Randbemerkung des Königs. Miniſter Werther, Bericht an den König 15. Jan., deſſen Weiſung an Werther d. J. 20. Jan. 1840 nebſt Randbemerkungen.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/82>, abgerufen am 23.11.2024.