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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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XXXIII. Graf Christian Bernstorff und Schleswigholstein.

"In diesem Patent wird, meines Dafürhaltens, dem wesentlichen Inhalt nach gesagt
werden müssen: Daß, nachdem durch die Losreißung eines großen Theiles der Stände vom
Reiche und durch die Niederlegung der Kaiserkrone der Reichsverband aufgelöst und die
Verfassung Deutschlands erloschen sei, auch das Band, welches Holstein bisher an das
Reich gebunden habe, gelöst sei, und diese Provinz von allen Beziehungen und Ver-
pflichtungen, welche sie bisher gegen das Reich gehabt, entbunden, dagegen aber auf das
Engste mit dem Staatskörper der der dänischen Königskrone unterworfenen Lande, von
welchem selbige hinfort einen in allen Verhältnissen und Beziehungen völlig unge-
trennten
Theil ausmachen werde, vereinigt werde.

Mich däucht, daß man nicht mehr, als durchaus nöthig ist, weder in der bis-
herigen Verfassung ändern, noch in dem Patente sagen müsse. -- Der Kronprinz wünscht
noch immer das Königsgesetz ausdrücklich eingeführt und dadurch das Erbrecht an Hol-
stein auch der weiblichen Descendenz zugewandt zu sehen. Mir scheint solches nicht nur
bedenklich, sondern auch in Beziehung auf den vorliegenden Zweck völlig überflüssig
zu sein.

Nachschrift. Was die Einführung des Königsgesetzes betrifft, so hat der Kronprinz
seine Meinung darüber aufgegeben."

Bernstorff stimmte mithin vollständig überein mit dem Herzog von Augustenburg,
der sich im Staatsrathe, am 3. Sept. 1806 also aussprach:

"Nach allem bisher angeführten bin ich also des unterthänigen Dafürhaltens, daß
Holstein nach jetzt aufgelöstem Reichsverbande zum souverainen Herzogthum erklärt
werde, dessen politische Verhältnisse und Beziehungen mit denen der Krone Dänemark
aufs genaueste vereinigt und folglich nur von letzterer abhängig wären, jedoch unbeschadet
der in Holstein bestehenden Successionsordnung."

Wenn dem Herzog demnach das Verdienst bleibt, daß er die Erbfolgerechte seines
Hauses rechtzeitig wahrte, so war die Gefahr doch nicht groß, da der leitende Minister
Dänemarks selbst auf seiner Seite stand. Das Patent erhielt nunmehr die von C. Bern-
storff verlangte unverfängliche Fassung, und Joachim Bernstorff schrieb nachher (1. Nov.
1806) dem schwedischen Gesandten Oxenstierna:

Qu'on feroit tort a Sa Majeste en supposant qu'en fixant les rapports futurs
de Holstein avec le Dannemarc Elle ait voulu aller au dela de ce que des evene-
mens imprevus et independans de Sa volonte avaient rendu necessaire.

Demnach leuchtet ein, daß C. Bernstorff ganz schuldlos verleumdet worden ist. --

Beiläufig hier noch ein Wort über eine andere Augustenburgische Legende. In den
Aufzeichnungen des Prinzen von Noer, deren Unzuverlässigkeit freilich von Freund und
Feind anerkannt ist, wird S. 16 f. geschildert, wie sehr der Prinz im Jahre 1842 durch
seine Ernennung zum Statthalter überrascht worden sei. An diese Ueberraschung kann
ich nicht recht glauben. Daß die Augustenburger schon von langeher die Statthalter-
würde für ihr Haus wünschten, versteht sich von selbst und ist auch durch verschiedene
Aktenstücke längst erwiesen. Da der Herzog sich durch seine Opposition im Landtage
unmöglich gemacht hatte, so war der Prinz v. Noer zur Zeit der einzige Candidat des
Hauses. Eine harmlose Erzählung aus den Tagebüchern von Franz Hegewisch beleuchtet
den Sachverhalt genauer. Hegewisch reiste im März 1842 von Kiel nach Kopenhagen,
um von König Christian die Genehmigung der Altona-Kieler Eisenbahn zu erbitten --
ein Unternehmen, das schließlich nur durch eine kleine Kriegslist gelang (s. o. V. 500).
Am Bord des Dampfers traf er den Prinzen v. Noer, mit dem er seit Jahren wohl
bekannt war. Unterwegs erzählte ihm der Prinz vertraulich, er denke den König um
den erledigten Statthalterposten zu bitten. Da fuhr Hegewisch erschrocken zurück und
sagte: "Dann bin ich verloren; wenn der König Ew. Durchlaucht zuerst empfangen hat,
dann wird er verstimmt sein und meine Bitte um die Eisenbahn entweder gar nicht
oder ungnädig anhören." Der Prinz sah das ein und zeigte sich sehr liebenswürdig. Die
Beiden verabredeten, daß Hegewisch zuerst um eine Audienz bitten und der Prinz erst

XXXIII. Graf Chriſtian Bernſtorff und Schleswigholſtein.

„In dieſem Patent wird, meines Dafürhaltens, dem weſentlichen Inhalt nach geſagt
werden müſſen: Daß, nachdem durch die Losreißung eines großen Theiles der Stände vom
Reiche und durch die Niederlegung der Kaiſerkrone der Reichsverband aufgelöſt und die
Verfaſſung Deutſchlands erloſchen ſei, auch das Band, welches Holſtein bisher an das
Reich gebunden habe, gelöſt ſei, und dieſe Provinz von allen Beziehungen und Ver-
pflichtungen, welche ſie bisher gegen das Reich gehabt, entbunden, dagegen aber auf das
Engſte mit dem Staatskörper der der däniſchen Königskrone unterworfenen Lande, von
welchem ſelbige hinfort einen in allen Verhältniſſen und Beziehungen völlig unge-
trennten
Theil ausmachen werde, vereinigt werde.

Mich däucht, daß man nicht mehr, als durchaus nöthig iſt, weder in der bis-
herigen Verfaſſung ändern, noch in dem Patente ſagen müſſe. — Der Kronprinz wünſcht
noch immer das Königsgeſetz ausdrücklich eingeführt und dadurch das Erbrecht an Hol-
ſtein auch der weiblichen Descendenz zugewandt zu ſehen. Mir ſcheint ſolches nicht nur
bedenklich, ſondern auch in Beziehung auf den vorliegenden Zweck völlig überflüſſig
zu ſein.

Nachſchrift. Was die Einführung des Königsgeſetzes betrifft, ſo hat der Kronprinz
ſeine Meinung darüber aufgegeben.“

Bernſtorff ſtimmte mithin vollſtändig überein mit dem Herzog von Auguſtenburg,
der ſich im Staatsrathe, am 3. Sept. 1806 alſo ausſprach:

„Nach allem bisher angeführten bin ich alſo des unterthänigen Dafürhaltens, daß
Holſtein nach jetzt aufgelöſtem Reichsverbande zum ſouverainen Herzogthum erklärt
werde, deſſen politiſche Verhältniſſe und Beziehungen mit denen der Krone Dänemark
aufs genaueſte vereinigt und folglich nur von letzterer abhängig wären, jedoch unbeſchadet
der in Holſtein beſtehenden Succeſſionsordnung.“

Wenn dem Herzog demnach das Verdienſt bleibt, daß er die Erbfolgerechte ſeines
Hauſes rechtzeitig wahrte, ſo war die Gefahr doch nicht groß, da der leitende Miniſter
Dänemarks ſelbſt auf ſeiner Seite ſtand. Das Patent erhielt nunmehr die von C. Bern-
ſtorff verlangte unverfängliche Faſſung, und Joachim Bernſtorff ſchrieb nachher (1. Nov.
1806) dem ſchwediſchen Geſandten Oxenſtierna:

Qu’on feroit tort à Sa Majesté en supposant qu’en fixant les rapports futurs
de Holstein avec le Dannemarc Elle ait voulu aller au delà de ce que des événe-
mens imprévus et indépendans de Sa volonté avaient rendu nécessaire.

Demnach leuchtet ein, daß C. Bernſtorff ganz ſchuldlos verleumdet worden iſt. —

Beiläufig hier noch ein Wort über eine andere Auguſtenburgiſche Legende. In den
Aufzeichnungen des Prinzen von Noer, deren Unzuverläſſigkeit freilich von Freund und
Feind anerkannt iſt, wird S. 16 f. geſchildert, wie ſehr der Prinz im Jahre 1842 durch
ſeine Ernennung zum Statthalter überraſcht worden ſei. An dieſe Ueberraſchung kann
ich nicht recht glauben. Daß die Auguſtenburger ſchon von langeher die Statthalter-
würde für ihr Haus wünſchten, verſteht ſich von ſelbſt und iſt auch durch verſchiedene
Aktenſtücke längſt erwieſen. Da der Herzog ſich durch ſeine Oppoſition im Landtage
unmöglich gemacht hatte, ſo war der Prinz v. Noer zur Zeit der einzige Candidat des
Hauſes. Eine harmloſe Erzählung aus den Tagebüchern von Franz Hegewiſch beleuchtet
den Sachverhalt genauer. Hegewiſch reiſte im März 1842 von Kiel nach Kopenhagen,
um von König Chriſtian die Genehmigung der Altona-Kieler Eiſenbahn zu erbitten —
ein Unternehmen, das ſchließlich nur durch eine kleine Kriegsliſt gelang (ſ. o. V. 500).
Am Bord des Dampfers traf er den Prinzen v. Noer, mit dem er ſeit Jahren wohl
bekannt war. Unterwegs erzählte ihm der Prinz vertraulich, er denke den König um
den erledigten Statthalterpoſten zu bitten. Da fuhr Hegewiſch erſchrocken zurück und
ſagte: „Dann bin ich verloren; wenn der König Ew. Durchlaucht zuerſt empfangen hat,
dann wird er verſtimmt ſein und meine Bitte um die Eiſenbahn entweder gar nicht
oder ungnädig anhören.“ Der Prinz ſah das ein und zeigte ſich ſehr liebenswürdig. Die
Beiden verabredeten, daß Hegewiſch zuerſt um eine Audienz bitten und der Prinz erſt

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[768/0782] XXXIII. Graf Chriſtian Bernſtorff und Schleswigholſtein. „In dieſem Patent wird, meines Dafürhaltens, dem weſentlichen Inhalt nach geſagt werden müſſen: Daß, nachdem durch die Losreißung eines großen Theiles der Stände vom Reiche und durch die Niederlegung der Kaiſerkrone der Reichsverband aufgelöſt und die Verfaſſung Deutſchlands erloſchen ſei, auch das Band, welches Holſtein bisher an das Reich gebunden habe, gelöſt ſei, und dieſe Provinz von allen Beziehungen und Ver- pflichtungen, welche ſie bisher gegen das Reich gehabt, entbunden, dagegen aber auf das Engſte mit dem Staatskörper der der däniſchen Königskrone unterworfenen Lande, von welchem ſelbige hinfort einen in allen Verhältniſſen und Beziehungen völlig unge- trennten Theil ausmachen werde, vereinigt werde. Mich däucht, daß man nicht mehr, als durchaus nöthig iſt, weder in der bis- herigen Verfaſſung ändern, noch in dem Patente ſagen müſſe. — Der Kronprinz wünſcht noch immer das Königsgeſetz ausdrücklich eingeführt und dadurch das Erbrecht an Hol- ſtein auch der weiblichen Descendenz zugewandt zu ſehen. Mir ſcheint ſolches nicht nur bedenklich, ſondern auch in Beziehung auf den vorliegenden Zweck völlig überflüſſig zu ſein. Nachſchrift. Was die Einführung des Königsgeſetzes betrifft, ſo hat der Kronprinz ſeine Meinung darüber aufgegeben.“ Bernſtorff ſtimmte mithin vollſtändig überein mit dem Herzog von Auguſtenburg, der ſich im Staatsrathe, am 3. Sept. 1806 alſo ausſprach: „Nach allem bisher angeführten bin ich alſo des unterthänigen Dafürhaltens, daß Holſtein nach jetzt aufgelöſtem Reichsverbande zum ſouverainen Herzogthum erklärt werde, deſſen politiſche Verhältniſſe und Beziehungen mit denen der Krone Dänemark aufs genaueſte vereinigt und folglich nur von letzterer abhängig wären, jedoch unbeſchadet der in Holſtein beſtehenden Succeſſionsordnung.“ Wenn dem Herzog demnach das Verdienſt bleibt, daß er die Erbfolgerechte ſeines Hauſes rechtzeitig wahrte, ſo war die Gefahr doch nicht groß, da der leitende Miniſter Dänemarks ſelbſt auf ſeiner Seite ſtand. Das Patent erhielt nunmehr die von C. Bern- ſtorff verlangte unverfängliche Faſſung, und Joachim Bernſtorff ſchrieb nachher (1. Nov. 1806) dem ſchwediſchen Geſandten Oxenſtierna: Qu’on feroit tort à Sa Majesté en supposant qu’en fixant les rapports futurs de Holstein avec le Dannemarc Elle ait voulu aller au delà de ce que des événe- mens imprévus et indépendans de Sa volonté avaient rendu nécessaire. Demnach leuchtet ein, daß C. Bernſtorff ganz ſchuldlos verleumdet worden iſt. — Beiläufig hier noch ein Wort über eine andere Auguſtenburgiſche Legende. In den Aufzeichnungen des Prinzen von Noer, deren Unzuverläſſigkeit freilich von Freund und Feind anerkannt iſt, wird S. 16 f. geſchildert, wie ſehr der Prinz im Jahre 1842 durch ſeine Ernennung zum Statthalter überraſcht worden ſei. An dieſe Ueberraſchung kann ich nicht recht glauben. Daß die Auguſtenburger ſchon von langeher die Statthalter- würde für ihr Haus wünſchten, verſteht ſich von ſelbſt und iſt auch durch verſchiedene Aktenſtücke längſt erwieſen. Da der Herzog ſich durch ſeine Oppoſition im Landtage unmöglich gemacht hatte, ſo war der Prinz v. Noer zur Zeit der einzige Candidat des Hauſes. Eine harmloſe Erzählung aus den Tagebüchern von Franz Hegewiſch beleuchtet den Sachverhalt genauer. Hegewiſch reiſte im März 1842 von Kiel nach Kopenhagen, um von König Chriſtian die Genehmigung der Altona-Kieler Eiſenbahn zu erbitten — ein Unternehmen, das ſchließlich nur durch eine kleine Kriegsliſt gelang (ſ. o. V. 500). Am Bord des Dampfers traf er den Prinzen v. Noer, mit dem er ſeit Jahren wohl bekannt war. Unterwegs erzählte ihm der Prinz vertraulich, er denke den König um den erledigten Statthalterpoſten zu bitten. Da fuhr Hegewiſch erſchrocken zurück und ſagte: „Dann bin ich verloren; wenn der König Ew. Durchlaucht zuerſt empfangen hat, dann wird er verſtimmt ſein und meine Bitte um die Eiſenbahn entweder gar nicht oder ungnädig anhören.“ Der Prinz ſah das ein und zeigte ſich ſehr liebenswürdig. Die Beiden verabredeten, daß Hegewiſch zuerſt um eine Audienz bitten und der Prinz erſt

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 768. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/782>, abgerufen am 27.11.2024.