Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

Bild:
<< vorherige Seite
XXVII. Denkwürdigkeiten des Prinzen Emil von Hessen.

-- -- -- Hierbey erneuert sich in mir das Andenken an meinen Aufenthalt zu
Achen, der von nicht unbedeutenden Folgen für mich war. Nach dem Fall Napoleons
war ich in dem delirirenden Teutschland eine von den Personen, welche als bestimmte
Anhänger des Kaisers und Frankreichs angesehen und angefeindet wurden. Es läßt sich
dieses zum Theil durch das Wohlwollen Napoleons gegen mich erklären, welcher gern
sah, daß junge Leute, namentlich Prinzen, mit Eifer ihre Pflichten als Soldat zu er-
füllen suchten, theils aber auch durch die vom Enthusiasmus verworrenen Begriffe. Fast
allgemein nämlich sah man Verrath gegen Napoleon als etwas sehr verdienstvolles an.
Da ich nun vom Großherzog meinem Vater, dem ich, und nicht den Franzosen diente,
keinen Befehl zum Uebergehen in die feindlichen Reihen hatte, so konnte mir natürlich
ein solcher Gedanke nur als verächtlich und meiner Ehre vollkommen unwürdig erscheinen.
Und doch war es wegen dieser Unterlassungssünde, und daß ich vorzog, meine Pflicht
erfüllend, als Soldat mich fechtend in Leipzig gefangen nehmen zu lassen, daß man
mich anfeindete. Nun hatte ich mich späterhin gegen den Kaiser Alexander über mein
Benehmen erklärt und war so glücklich seinen vollkommenen Beyfall deshalb zu erlangen.
Auch der Kaiser von Oestreich und die Oestreicher überhaupt hatten mich mit viel Aus-
zeichnung behandelt. In den zwei mit den Aliirten gegen Frankreich gemachten Feld-
zügen hatte ich das Großkreuz des Leopolds-, das kleine M. Theresien- und das Cor
Kreuz des St. Georgen Ordens erhalten. Demohngeachtet waren noch eine Menge
bedeutende Personen sehr gegen mich eingenommen. Ich hielt daher die Vereinigung zu
Achen für sehr geeignet zu beweisen, daß ich fest auftreten könnte, ohne irgend jemand
scheuen zu müssen. Ich entschloß mich rasch, gegen die Mitte des Congreß nach Achen
zu reisen: -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --

Den andern Morgen machte ich sogleich die nöthigen demarchen, dem Kaiser von
Oestreich und dem König von Preußen aufzuwarten. Ersterer empfing mich mit be-
sonderer Gnade, die sich auch während meinem ganzen Aufenthalt erhielt und selbst
steigerte, so daß ich alle Woche gewiß zweimal zur Tafel geladen wurde und überhaupt
von dem K. sowohl wie von allen seinen Umgebungen mit einer vorzüglichen Aus-
zeichnung und der Herzlichkeit behandelt wurde, die den Oestreichern eigen ist. -- Der
König von Preußen, von Natur wenig demonstrativ, konnte noch immer nicht ganz
von der früher gegen mich gefaßten prevention zurückkommen und blieb ziemlich steif.
Vielleicht gelang es mir während meines Aufenthaltes durch meine Unbefangenheit so-
wohl als durch Erläuterungen, die ich mehrern von seinen Umgebungen über meine
frühern Verhältnisse gab, diesen Einbildungen zu begegnen. Wenigstens war bei jeder
spätern Gelegenheit der Empfang herzlicher und wohlwollender. Es ist unglaublich, wie
Leute von Verstand verbreiteten Gerüchten Glauben beimessen können, welche nur in
Pamphlets Platz greifen können und den Stempel der Unrichtigkeit mit sich tragen.
Dahin gehört die Erzählung, Napoleon habe mir in der Schlacht von Lützen zugerufen:
"En avant, roi de Prusse!" So ungereimt und lächerlich diese Angabe war, fand sie
doch Glauben und wurzelte, wie es scheint, im Gemüth des Königs, welches sich mir,
und vorzüglich nach meiner Gefangennehmung zu Leipzig, stets abgeneigt bewieß. --
Kaum war ich 8 Tage in Achen, als in der Antwerpner Zeitung dieses Mährchen neu
aufgetischt wurde. Ich nahm indeß von diesem unangenehmen, vielleicht durch Bosheit
herbeigeführten Ereigniß Gelegenheit, F. Metternich, Fürst Hardenberg und vielen andern
ganz natürlich über die Wahrheit meiner Verhältnisse zu den Franzosen zu sprechen über
mein eingehaltenes Benehmen und hatte den großen Triumph, nicht nur die Zustimmung
aller dieser Männer zu erlangen, sondern von dieser Zeit eine Art von Geneigtheit zu
beobachten und, was mehr war, eine Achtung, die zu erlangen mein Bestreben von
Anfang an seyn mußte.



XXVII. Denkwürdigkeiten des Prinzen Emil von Heſſen.

— — — Hierbey erneuert ſich in mir das Andenken an meinen Aufenthalt zu
Achen, der von nicht unbedeutenden Folgen für mich war. Nach dem Fall Napoléons
war ich in dem delirirenden Teutſchland eine von den Perſonen, welche als beſtimmte
Anhänger des Kaiſers und Frankreichs angeſehen und angefeindet wurden. Es läßt ſich
dieſes zum Theil durch das Wohlwollen Napoléons gegen mich erklären, welcher gern
ſah, daß junge Leute, namentlich Prinzen, mit Eifer ihre Pflichten als Soldat zu er-
füllen ſuchten, theils aber auch durch die vom Enthuſiasmus verworrenen Begriffe. Faſt
allgemein nämlich ſah man Verrath gegen Napoléon als etwas ſehr verdienſtvolles an.
Da ich nun vom Großherzog meinem Vater, dem ich, und nicht den Franzoſen diente,
keinen Befehl zum Uebergehen in die feindlichen Reihen hatte, ſo konnte mir natürlich
ein ſolcher Gedanke nur als verächtlich und meiner Ehre vollkommen unwürdig erſcheinen.
Und doch war es wegen dieſer Unterlaſſungsſünde, und daß ich vorzog, meine Pflicht
erfüllend, als Soldat mich fechtend in Leipzig gefangen nehmen zu laſſen, daß man
mich anfeindete. Nun hatte ich mich ſpäterhin gegen den Kaiſer Alexander über mein
Benehmen erklärt und war ſo glücklich ſeinen vollkommenen Beyfall deshalb zu erlangen.
Auch der Kaiſer von Oeſtreich und die Oeſtreicher überhaupt hatten mich mit viel Aus-
zeichnung behandelt. In den zwei mit den Aliirten gegen Frankreich gemachten Feld-
zügen hatte ich das Großkreuz des Leopolds-, das kleine M. Thereſien- und das Cor
Kreuz des St. Georgen Ordens erhalten. Demohngeachtet waren noch eine Menge
bedeutende Perſonen ſehr gegen mich eingenommen. Ich hielt daher die Vereinigung zu
Achen für ſehr geeignet zu beweiſen, daß ich feſt auftreten könnte, ohne irgend jemand
ſcheuen zu müſſen. Ich entſchloß mich raſch, gegen die Mitte des Congreß nach Achen
zu reiſen: — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — —

Den andern Morgen machte ich ſogleich die nöthigen demarchen, dem Kaiſer von
Oeſtreich und dem König von Preußen aufzuwarten. Erſterer empfing mich mit be-
ſonderer Gnade, die ſich auch während meinem ganzen Aufenthalt erhielt und ſelbſt
ſteigerte, ſo daß ich alle Woche gewiß zweimal zur Tafel geladen wurde und überhaupt
von dem K. ſowohl wie von allen ſeinen Umgebungen mit einer vorzüglichen Aus-
zeichnung und der Herzlichkeit behandelt wurde, die den Oeſtreichern eigen iſt. — Der
König von Preußen, von Natur wenig demonstrativ, konnte noch immer nicht ganz
von der früher gegen mich gefaßten prevention zurückkommen und blieb ziemlich ſteif.
Vielleicht gelang es mir während meines Aufenthaltes durch meine Unbefangenheit ſo-
wohl als durch Erläuterungen, die ich mehrern von ſeinen Umgebungen über meine
frühern Verhältniſſe gab, dieſen Einbildungen zu begegnen. Wenigſtens war bei jeder
ſpätern Gelegenheit der Empfang herzlicher und wohlwollender. Es iſt unglaublich, wie
Leute von Verſtand verbreiteten Gerüchten Glauben beimeſſen können, welche nur in
Pamphlets Platz greifen können und den Stempel der Unrichtigkeit mit ſich tragen.
Dahin gehört die Erzählung, Napoléon habe mir in der Schlacht von Lützen zugerufen:
„En avant, roi de Prusse!“ So ungereimt und lächerlich dieſe Angabe war, fand ſie
doch Glauben und wurzelte, wie es ſcheint, im Gemüth des Königs, welches ſich mir,
und vorzüglich nach meiner Gefangennehmung zu Leipzig, ſtets abgeneigt bewieß. —
Kaum war ich 8 Tage in Achen, als in der Antwerpner Zeitung dieſes Mährchen neu
aufgetiſcht wurde. Ich nahm indeß von dieſem unangenehmen, vielleicht durch Bosheit
herbeigeführten Ereigniß Gelegenheit, F. Metternich, Fürſt Hardenberg und vielen andern
ganz natürlich über die Wahrheit meiner Verhältniſſe zu den Franzoſen zu ſprechen über
mein eingehaltenes Benehmen und hatte den großen Triumph, nicht nur die Zuſtimmung
aller dieſer Männer zu erlangen, ſondern von dieſer Zeit eine Art von Geneigtheit zu
beobachten und, was mehr war, eine Achtung, die zu erlangen mein Beſtreben von
Anfang an ſeyn mußte.



<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0768" n="754"/>
          <fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">XXVII.</hi> Denkwürdigkeiten des Prinzen Emil von He&#x017F;&#x017F;en.</fw><lb/>
          <p>&#x2014; &#x2014; &#x2014; Hierbey erneuert &#x017F;ich in mir das Andenken an meinen Aufenthalt zu<lb/>
Achen, der von nicht unbedeutenden Folgen für mich war. Nach dem Fall <hi rendition="#aq">Napoléons</hi><lb/>
war ich in dem delirirenden Teut&#x017F;chland eine von den Per&#x017F;onen, welche als be&#x017F;timmte<lb/>
Anhänger des Kai&#x017F;ers und Frankreichs ange&#x017F;ehen und angefeindet wurden. Es läßt &#x017F;ich<lb/>
die&#x017F;es zum Theil durch das Wohlwollen <hi rendition="#aq">Napoléons</hi> gegen mich erklären, welcher gern<lb/>
&#x017F;ah, daß junge Leute, namentlich Prinzen, mit Eifer ihre Pflichten als Soldat zu er-<lb/>
füllen &#x017F;uchten, theils aber auch durch die vom Enthu&#x017F;iasmus verworrenen Begriffe. Fa&#x017F;t<lb/>
allgemein nämlich &#x017F;ah man Verrath gegen <hi rendition="#aq">Napoléon</hi> als etwas &#x017F;ehr verdien&#x017F;tvolles an.<lb/>
Da ich nun vom Großherzog meinem Vater, dem ich, und nicht den Franzo&#x017F;en diente,<lb/>
keinen Befehl zum Uebergehen in die feindlichen Reihen hatte, &#x017F;o konnte mir natürlich<lb/>
ein &#x017F;olcher Gedanke nur als verächtlich und meiner Ehre vollkommen unwürdig er&#x017F;cheinen.<lb/>
Und doch war es wegen die&#x017F;er Unterla&#x017F;&#x017F;ungs&#x017F;ünde, und daß ich vorzog, meine Pflicht<lb/>
erfüllend, als Soldat mich fechtend in Leipzig gefangen nehmen zu la&#x017F;&#x017F;en, daß man<lb/>
mich anfeindete. Nun hatte ich mich &#x017F;päterhin gegen den Kai&#x017F;er Alexander über mein<lb/>
Benehmen erklärt und war &#x017F;o glücklich &#x017F;einen vollkommenen Beyfall deshalb zu erlangen.<lb/>
Auch der Kai&#x017F;er von Oe&#x017F;treich und die Oe&#x017F;treicher überhaupt hatten mich mit viel Aus-<lb/>
zeichnung behandelt. In den zwei mit den Aliirten gegen Frankreich gemachten Feld-<lb/>
zügen hatte ich das Großkreuz des Leopolds-, das kleine M. There&#x017F;ien- und das <hi rendition="#aq">Cor</hi><lb/>
Kreuz des St. Georgen Ordens erhalten. Demohngeachtet waren noch eine Menge<lb/>
bedeutende Per&#x017F;onen &#x017F;ehr gegen mich eingenommen. Ich hielt daher die Vereinigung zu<lb/>
Achen für &#x017F;ehr geeignet zu bewei&#x017F;en, daß ich fe&#x017F;t auftreten könnte, ohne irgend jemand<lb/>
&#x017F;cheuen zu mü&#x017F;&#x017F;en. Ich ent&#x017F;chloß mich ra&#x017F;ch, gegen die Mitte des Congreß nach Achen<lb/>
zu rei&#x017F;en: &#x2014; &#x2014; &#x2014; &#x2014; &#x2014; &#x2014; &#x2014; &#x2014; &#x2014; &#x2014; &#x2014; &#x2014; &#x2014; &#x2014; &#x2014; &#x2014; &#x2014; &#x2014; &#x2014; &#x2014; &#x2014;</p><lb/>
          <p>Den andern Morgen machte ich &#x017F;ogleich die nöthigen <hi rendition="#aq">demarchen</hi>, dem Kai&#x017F;er von<lb/>
Oe&#x017F;treich und dem König von Preußen aufzuwarten. Er&#x017F;terer empfing mich mit be-<lb/>
&#x017F;onderer Gnade, die &#x017F;ich auch während meinem ganzen Aufenthalt erhielt und &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
&#x017F;teigerte, &#x017F;o daß ich alle Woche gewiß zweimal zur Tafel geladen wurde und überhaupt<lb/>
von dem K. &#x017F;owohl wie von allen &#x017F;einen Umgebungen mit einer vorzüglichen Aus-<lb/>
zeichnung und der Herzlichkeit behandelt wurde, die den Oe&#x017F;treichern eigen i&#x017F;t. &#x2014; Der<lb/>
König von Preußen, von Natur wenig <hi rendition="#aq">demonstrativ,</hi> konnte noch immer nicht ganz<lb/>
von der früher gegen mich gefaßten <hi rendition="#aq">prevention</hi> zurückkommen und blieb ziemlich &#x017F;teif.<lb/>
Vielleicht gelang es mir während meines Aufenthaltes durch meine Unbefangenheit &#x017F;o-<lb/>
wohl als durch Erläuterungen, die ich mehrern von &#x017F;einen Umgebungen über meine<lb/>
frühern Verhältni&#x017F;&#x017F;e gab, die&#x017F;en Einbildungen zu begegnen. Wenig&#x017F;tens war bei jeder<lb/>
&#x017F;pätern Gelegenheit der Empfang herzlicher und wohlwollender. Es i&#x017F;t unglaublich, wie<lb/>
Leute von Ver&#x017F;tand verbreiteten Gerüchten Glauben beime&#x017F;&#x017F;en können, welche nur in<lb/>
Pamphlets Platz greifen können und den Stempel der Unrichtigkeit mit &#x017F;ich tragen.<lb/>
Dahin gehört die Erzählung, <hi rendition="#aq">Napoléon</hi> habe mir in der Schlacht von Lützen zugerufen:<lb/><hi rendition="#aq">&#x201E;En avant, roi de Prusse!&#x201C;</hi> So ungereimt und lächerlich die&#x017F;e Angabe war, fand &#x017F;ie<lb/>
doch Glauben und wurzelte, wie es &#x017F;cheint, im Gemüth des Königs, welches &#x017F;ich mir,<lb/>
und vorzüglich nach meiner Gefangennehmung zu Leipzig, &#x017F;tets abgeneigt bewieß. &#x2014;<lb/>
Kaum war ich 8 Tage in Achen, als in der Antwerpner Zeitung die&#x017F;es Mährchen neu<lb/>
aufgeti&#x017F;cht wurde. Ich nahm indeß von die&#x017F;em unangenehmen, vielleicht durch Bosheit<lb/>
herbeigeführten Ereigniß Gelegenheit, F. Metternich, Für&#x017F;t Hardenberg und vielen andern<lb/>
ganz natürlich über die Wahrheit meiner Verhältni&#x017F;&#x017F;e zu den Franzo&#x017F;en zu &#x017F;prechen über<lb/>
mein eingehaltenes Benehmen und hatte den großen Triumph, nicht nur die Zu&#x017F;timmung<lb/>
aller die&#x017F;er Männer zu erlangen, &#x017F;ondern von die&#x017F;er Zeit eine Art von Geneigtheit zu<lb/>
beobachten und, was mehr war, eine Achtung, die zu erlangen mein Be&#x017F;treben von<lb/>
Anfang an &#x017F;eyn mußte.</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[754/0768] XXVII. Denkwürdigkeiten des Prinzen Emil von Heſſen. — — — Hierbey erneuert ſich in mir das Andenken an meinen Aufenthalt zu Achen, der von nicht unbedeutenden Folgen für mich war. Nach dem Fall Napoléons war ich in dem delirirenden Teutſchland eine von den Perſonen, welche als beſtimmte Anhänger des Kaiſers und Frankreichs angeſehen und angefeindet wurden. Es läßt ſich dieſes zum Theil durch das Wohlwollen Napoléons gegen mich erklären, welcher gern ſah, daß junge Leute, namentlich Prinzen, mit Eifer ihre Pflichten als Soldat zu er- füllen ſuchten, theils aber auch durch die vom Enthuſiasmus verworrenen Begriffe. Faſt allgemein nämlich ſah man Verrath gegen Napoléon als etwas ſehr verdienſtvolles an. Da ich nun vom Großherzog meinem Vater, dem ich, und nicht den Franzoſen diente, keinen Befehl zum Uebergehen in die feindlichen Reihen hatte, ſo konnte mir natürlich ein ſolcher Gedanke nur als verächtlich und meiner Ehre vollkommen unwürdig erſcheinen. Und doch war es wegen dieſer Unterlaſſungsſünde, und daß ich vorzog, meine Pflicht erfüllend, als Soldat mich fechtend in Leipzig gefangen nehmen zu laſſen, daß man mich anfeindete. Nun hatte ich mich ſpäterhin gegen den Kaiſer Alexander über mein Benehmen erklärt und war ſo glücklich ſeinen vollkommenen Beyfall deshalb zu erlangen. Auch der Kaiſer von Oeſtreich und die Oeſtreicher überhaupt hatten mich mit viel Aus- zeichnung behandelt. In den zwei mit den Aliirten gegen Frankreich gemachten Feld- zügen hatte ich das Großkreuz des Leopolds-, das kleine M. Thereſien- und das Cor Kreuz des St. Georgen Ordens erhalten. Demohngeachtet waren noch eine Menge bedeutende Perſonen ſehr gegen mich eingenommen. Ich hielt daher die Vereinigung zu Achen für ſehr geeignet zu beweiſen, daß ich feſt auftreten könnte, ohne irgend jemand ſcheuen zu müſſen. Ich entſchloß mich raſch, gegen die Mitte des Congreß nach Achen zu reiſen: — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — Den andern Morgen machte ich ſogleich die nöthigen demarchen, dem Kaiſer von Oeſtreich und dem König von Preußen aufzuwarten. Erſterer empfing mich mit be- ſonderer Gnade, die ſich auch während meinem ganzen Aufenthalt erhielt und ſelbſt ſteigerte, ſo daß ich alle Woche gewiß zweimal zur Tafel geladen wurde und überhaupt von dem K. ſowohl wie von allen ſeinen Umgebungen mit einer vorzüglichen Aus- zeichnung und der Herzlichkeit behandelt wurde, die den Oeſtreichern eigen iſt. — Der König von Preußen, von Natur wenig demonstrativ, konnte noch immer nicht ganz von der früher gegen mich gefaßten prevention zurückkommen und blieb ziemlich ſteif. Vielleicht gelang es mir während meines Aufenthaltes durch meine Unbefangenheit ſo- wohl als durch Erläuterungen, die ich mehrern von ſeinen Umgebungen über meine frühern Verhältniſſe gab, dieſen Einbildungen zu begegnen. Wenigſtens war bei jeder ſpätern Gelegenheit der Empfang herzlicher und wohlwollender. Es iſt unglaublich, wie Leute von Verſtand verbreiteten Gerüchten Glauben beimeſſen können, welche nur in Pamphlets Platz greifen können und den Stempel der Unrichtigkeit mit ſich tragen. Dahin gehört die Erzählung, Napoléon habe mir in der Schlacht von Lützen zugerufen: „En avant, roi de Prusse!“ So ungereimt und lächerlich dieſe Angabe war, fand ſie doch Glauben und wurzelte, wie es ſcheint, im Gemüth des Königs, welches ſich mir, und vorzüglich nach meiner Gefangennehmung zu Leipzig, ſtets abgeneigt bewieß. — Kaum war ich 8 Tage in Achen, als in der Antwerpner Zeitung dieſes Mährchen neu aufgetiſcht wurde. Ich nahm indeß von dieſem unangenehmen, vielleicht durch Bosheit herbeigeführten Ereigniß Gelegenheit, F. Metternich, Fürſt Hardenberg und vielen andern ganz natürlich über die Wahrheit meiner Verhältniſſe zu den Franzoſen zu ſprechen über mein eingehaltenes Benehmen und hatte den großen Triumph, nicht nur die Zuſtimmung aller dieſer Männer zu erlangen, ſondern von dieſer Zeit eine Art von Geneigtheit zu beobachten und, was mehr war, eine Achtung, die zu erlangen mein Beſtreben von Anfang an ſeyn mußte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/768
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 754. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/768>, abgerufen am 23.11.2024.