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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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XXVI. Zur Geschichte der Burschenschaft.
der Unbedingten nicht schwer fallen konnte. Ueber die Unbedingten sagte er harmlos,
wie um die Commission zu verhöhnen: "ein Unbedingter ist ein Mensch, der unbedingt
nach Ausbildung strebt und unbedingt nach seiner Ueberzeugung handelt."

Auch der Philosoph Fries wurde verhört (3. Apr. ff.). Er hatte von der radicalen
Partei in der Burschenschaft keine Ahnung und wollte nicht einmal glauben, daß ein
engerer Bund bestanden hätte. Aber seltsam, wie stark die Moral der subjectiven Em-
pfindung, welche die Köpfe der Jugend verwirrte, auch diesen Lehrer bethörte. Er meinte
ganz unbefangen: Sand war von vielen Commilitonen überzeugt, daß sie zu Allem was
sie für ebenso gut und heilsam erkännten, ebenso wie er, stündlich und mit Aufopferung
ihres Lebens bereit seien. Die Verwirrung der Begriffe war allgemein, und nur Wenige
dachten so nüchtern, wie der alte Frommann, der (28. März) seinem Sohne, dem Burschen-
schafter schrieb: "Und nun unsere jungen Solone und Aristarche! Wie sind sie so selig
in einer Reihe von Trugschlüssen und Inconsequenzen; wie verirren sie sich in halb-
und mißverstandenen Collegiensätzen; wie fertig sind sie über alle Verhältnisse des Lebens
und des Staates. Es betrübt mich auf's Innigste, es schmerzt mich tief, denn wahrlich,
so gehen wir einer besseren Zeit nicht entgegen." Der turnfreundliche Mediciner Kieser
wußte auch nichts auszusagen und erging sich schon in jener sinnigen Theorie, welche
seitdem zum medicinischen Sport geworden ist; er vermuthete, Sand wäre wohl geistes-
krank, vielleicht gar erblich belastet. (Kieser an den Akad. Senat, 4. April.) Ebenso
fruchtlos blieb ein mit dem jungen Heinrich Leo angestelltes Verhör (3. April). Auch
der Vorstand der Burschenschaft wurde, auf Befehl Karl August's, vernommen, und da
die Burschenschaft als solche mit den Unbedingten nichts zu schaffen hatte, viele ihrer
Mitglieder nicht einmal das Dasein des Geheimbundes kannten, so berichtete die Com-
mission schon am 28. April dem Großherzog: "Wir können jetzt mit voller Ueberzeugung
aussprechen, daß die Burschenschafts-Verbindung und ihre Grundsätze gewiß auch nicht
den entferntesten Einfluß auf die Sand'sche That gehabt haben, daß die Burschenschaft
noch in ihrer ursprünglichen Reinheit besteht, ja daß dieselbe selbst vielleicht in der letzten
Zeit, wo sie einen größeren Umfang, der Zahl der Mitglieder nach, bekam, einen mehr
heiteren, der Jugend und der Beziehung, in welcher sie zum Staate steht, angemesseneren
Charakter annahm." Diese wohlwollenden Worte standen allerdings nicht recht im
Einklang mit dem Urtheil des edlen Fürsten selbst, der erst fünf Wochen früher öffentlich
ausgesprochen hatte, der Geist der Studirenden nehme in der neuesten Zeit hie und da
eine verderbliche Richtung. Schließlich wurde dem Dr. Follen mit Sicherheit nur das
Eine nachgewiesen, daß er dem Mörder das Reisegeld gegeben hatte; und damit ließ
sich juristisch nichts anfangen. Zur weiteren Kennzeichnung der damaligen Zustände
deutscher Rechtspflege diene dann noch die Thatsache, daß Geh. Rath Conta, nachdem
er von Frankfurt aus die Mannheimer Commission besucht hatte, die dorthin gesendeten
Weimarischen Akten in seinem Wagen wieder heimbrachte, weil man solche Papiere der
Thurn- und Taxis'schen Post doch nicht gut anvertrauen konnte. (Conta's Bericht an
den Großherzog, 4. Mai 1819.) Es kann nicht die Aufgabe des Historikers sein, nach-
träglich die Rolle des Staatsanwalts zu spielen. Das Urtheil aber, das ich früherhin
über Follen's Charakter und politische Wirksamkeit ausgesprochen habe, muß ich bis auf
das letzte Wort noch aufrecht halten, seit ich die Weimarischen Protocolle kenne. -- --

Aus mannichfachen Briefen und Erzählungen ist bekannt, wie früh schon der un-
glückliche Sand sich mit unbestimmten Träumen von einem heroischen Opfertode ge-
tragen hat. Als weiterer Beleg folgt hier ein Stammbuchblatt, dessen Original mir
ein befreundeter Leser mittheilt:

Unser Tod ist Heldenlauf, kurzer Sieg, früher Tod! Thut nichts, wenn wir nur
wirklich Helden sind. Wenn wir nur ringen im steten Aufschwung und Gebet zum
heil'gen Vater und in frischer Begeisterung leben für das was sein Wille ist. Siegen
werden wir immer wenn wir nur selbst tüchtig und frisch sind. Früher Tod bricht nicht
die Siegesbahn, wenn wir nur auf ihr als Helden sterben. So sei denn unser Wahl-

XXVI. Zur Geſchichte der Burſchenſchaft.
der Unbedingten nicht ſchwer fallen konnte. Ueber die Unbedingten ſagte er harmlos,
wie um die Commiſſion zu verhöhnen: „ein Unbedingter iſt ein Menſch, der unbedingt
nach Ausbildung ſtrebt und unbedingt nach ſeiner Ueberzeugung handelt.“

Auch der Philoſoph Fries wurde verhört (3. Apr. ff.). Er hatte von der radicalen
Partei in der Burſchenſchaft keine Ahnung und wollte nicht einmal glauben, daß ein
engerer Bund beſtanden hätte. Aber ſeltſam, wie ſtark die Moral der ſubjectiven Em-
pfindung, welche die Köpfe der Jugend verwirrte, auch dieſen Lehrer bethörte. Er meinte
ganz unbefangen: Sand war von vielen Commilitonen überzeugt, daß ſie zu Allem was
ſie für ebenſo gut und heilſam erkännten, ebenſo wie er, ſtündlich und mit Aufopferung
ihres Lebens bereit ſeien. Die Verwirrung der Begriffe war allgemein, und nur Wenige
dachten ſo nüchtern, wie der alte Frommann, der (28. März) ſeinem Sohne, dem Burſchen-
ſchafter ſchrieb: „Und nun unſere jungen Solone und Ariſtarche! Wie ſind ſie ſo ſelig
in einer Reihe von Trugſchlüſſen und Inconſequenzen; wie verirren ſie ſich in halb-
und mißverſtandenen Collegienſätzen; wie fertig ſind ſie über alle Verhältniſſe des Lebens
und des Staates. Es betrübt mich auf’s Innigſte, es ſchmerzt mich tief, denn wahrlich,
ſo gehen wir einer beſſeren Zeit nicht entgegen.“ Der turnfreundliche Mediciner Kieſer
wußte auch nichts auszuſagen und erging ſich ſchon in jener ſinnigen Theorie, welche
ſeitdem zum mediciniſchen Sport geworden iſt; er vermuthete, Sand wäre wohl geiſtes-
krank, vielleicht gar erblich belaſtet. (Kieſer an den Akad. Senat, 4. April.) Ebenſo
fruchtlos blieb ein mit dem jungen Heinrich Leo angeſtelltes Verhör (3. April). Auch
der Vorſtand der Burſchenſchaft wurde, auf Befehl Karl Auguſt’s, vernommen, und da
die Burſchenſchaft als ſolche mit den Unbedingten nichts zu ſchaffen hatte, viele ihrer
Mitglieder nicht einmal das Daſein des Geheimbundes kannten, ſo berichtete die Com-
miſſion ſchon am 28. April dem Großherzog: „Wir können jetzt mit voller Ueberzeugung
ausſprechen, daß die Burſchenſchafts-Verbindung und ihre Grundſätze gewiß auch nicht
den entfernteſten Einfluß auf die Sand’ſche That gehabt haben, daß die Burſchenſchaft
noch in ihrer urſprünglichen Reinheit beſteht, ja daß dieſelbe ſelbſt vielleicht in der letzten
Zeit, wo ſie einen größeren Umfang, der Zahl der Mitglieder nach, bekam, einen mehr
heiteren, der Jugend und der Beziehung, in welcher ſie zum Staate ſteht, angemeſſeneren
Charakter annahm.“ Dieſe wohlwollenden Worte ſtanden allerdings nicht recht im
Einklang mit dem Urtheil des edlen Fürſten ſelbſt, der erſt fünf Wochen früher öffentlich
ausgeſprochen hatte, der Geiſt der Studirenden nehme in der neueſten Zeit hie und da
eine verderbliche Richtung. Schließlich wurde dem Dr. Follen mit Sicherheit nur das
Eine nachgewieſen, daß er dem Mörder das Reiſegeld gegeben hatte; und damit ließ
ſich juriſtiſch nichts anfangen. Zur weiteren Kennzeichnung der damaligen Zuſtände
deutſcher Rechtspflege diene dann noch die Thatſache, daß Geh. Rath Conta, nachdem
er von Frankfurt aus die Mannheimer Commiſſion beſucht hatte, die dorthin geſendeten
Weimariſchen Akten in ſeinem Wagen wieder heimbrachte, weil man ſolche Papiere der
Thurn- und Taxis’ſchen Poſt doch nicht gut anvertrauen konnte. (Conta’s Bericht an
den Großherzog, 4. Mai 1819.) Es kann nicht die Aufgabe des Hiſtorikers ſein, nach-
träglich die Rolle des Staatsanwalts zu ſpielen. Das Urtheil aber, das ich früherhin
über Follen’s Charakter und politiſche Wirkſamkeit ausgeſprochen habe, muß ich bis auf
das letzte Wort noch aufrecht halten, ſeit ich die Weimariſchen Protocolle kenne. — —

Aus mannichfachen Briefen und Erzählungen iſt bekannt, wie früh ſchon der un-
glückliche Sand ſich mit unbeſtimmten Träumen von einem heroiſchen Opfertode ge-
tragen hat. Als weiterer Beleg folgt hier ein Stammbuchblatt, deſſen Original mir
ein befreundeter Leſer mittheilt:

Unſer Tod iſt Heldenlauf, kurzer Sieg, früher Tod! Thut nichts, wenn wir nur
wirklich Helden ſind. Wenn wir nur ringen im ſteten Aufſchwung und Gebet zum
heil’gen Vater und in friſcher Begeiſterung leben für das was ſein Wille iſt. Siegen
werden wir immer wenn wir nur ſelbſt tüchtig und friſch ſind. Früher Tod bricht nicht
die Siegesbahn, wenn wir nur auf ihr als Helden ſterben. So ſei denn unſer Wahl-

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[748/0762] XXVI. Zur Geſchichte der Burſchenſchaft. der Unbedingten nicht ſchwer fallen konnte. Ueber die Unbedingten ſagte er harmlos, wie um die Commiſſion zu verhöhnen: „ein Unbedingter iſt ein Menſch, der unbedingt nach Ausbildung ſtrebt und unbedingt nach ſeiner Ueberzeugung handelt.“ Auch der Philoſoph Fries wurde verhört (3. Apr. ff.). Er hatte von der radicalen Partei in der Burſchenſchaft keine Ahnung und wollte nicht einmal glauben, daß ein engerer Bund beſtanden hätte. Aber ſeltſam, wie ſtark die Moral der ſubjectiven Em- pfindung, welche die Köpfe der Jugend verwirrte, auch dieſen Lehrer bethörte. Er meinte ganz unbefangen: Sand war von vielen Commilitonen überzeugt, daß ſie zu Allem was ſie für ebenſo gut und heilſam erkännten, ebenſo wie er, ſtündlich und mit Aufopferung ihres Lebens bereit ſeien. Die Verwirrung der Begriffe war allgemein, und nur Wenige dachten ſo nüchtern, wie der alte Frommann, der (28. März) ſeinem Sohne, dem Burſchen- ſchafter ſchrieb: „Und nun unſere jungen Solone und Ariſtarche! Wie ſind ſie ſo ſelig in einer Reihe von Trugſchlüſſen und Inconſequenzen; wie verirren ſie ſich in halb- und mißverſtandenen Collegienſätzen; wie fertig ſind ſie über alle Verhältniſſe des Lebens und des Staates. Es betrübt mich auf’s Innigſte, es ſchmerzt mich tief, denn wahrlich, ſo gehen wir einer beſſeren Zeit nicht entgegen.“ Der turnfreundliche Mediciner Kieſer wußte auch nichts auszuſagen und erging ſich ſchon in jener ſinnigen Theorie, welche ſeitdem zum mediciniſchen Sport geworden iſt; er vermuthete, Sand wäre wohl geiſtes- krank, vielleicht gar erblich belaſtet. (Kieſer an den Akad. Senat, 4. April.) Ebenſo fruchtlos blieb ein mit dem jungen Heinrich Leo angeſtelltes Verhör (3. April). Auch der Vorſtand der Burſchenſchaft wurde, auf Befehl Karl Auguſt’s, vernommen, und da die Burſchenſchaft als ſolche mit den Unbedingten nichts zu ſchaffen hatte, viele ihrer Mitglieder nicht einmal das Daſein des Geheimbundes kannten, ſo berichtete die Com- miſſion ſchon am 28. April dem Großherzog: „Wir können jetzt mit voller Ueberzeugung ausſprechen, daß die Burſchenſchafts-Verbindung und ihre Grundſätze gewiß auch nicht den entfernteſten Einfluß auf die Sand’ſche That gehabt haben, daß die Burſchenſchaft noch in ihrer urſprünglichen Reinheit beſteht, ja daß dieſelbe ſelbſt vielleicht in der letzten Zeit, wo ſie einen größeren Umfang, der Zahl der Mitglieder nach, bekam, einen mehr heiteren, der Jugend und der Beziehung, in welcher ſie zum Staate ſteht, angemeſſeneren Charakter annahm.“ Dieſe wohlwollenden Worte ſtanden allerdings nicht recht im Einklang mit dem Urtheil des edlen Fürſten ſelbſt, der erſt fünf Wochen früher öffentlich ausgeſprochen hatte, der Geiſt der Studirenden nehme in der neueſten Zeit hie und da eine verderbliche Richtung. Schließlich wurde dem Dr. Follen mit Sicherheit nur das Eine nachgewieſen, daß er dem Mörder das Reiſegeld gegeben hatte; und damit ließ ſich juriſtiſch nichts anfangen. Zur weiteren Kennzeichnung der damaligen Zuſtände deutſcher Rechtspflege diene dann noch die Thatſache, daß Geh. Rath Conta, nachdem er von Frankfurt aus die Mannheimer Commiſſion beſucht hatte, die dorthin geſendeten Weimariſchen Akten in ſeinem Wagen wieder heimbrachte, weil man ſolche Papiere der Thurn- und Taxis’ſchen Poſt doch nicht gut anvertrauen konnte. (Conta’s Bericht an den Großherzog, 4. Mai 1819.) Es kann nicht die Aufgabe des Hiſtorikers ſein, nach- träglich die Rolle des Staatsanwalts zu ſpielen. Das Urtheil aber, das ich früherhin über Follen’s Charakter und politiſche Wirkſamkeit ausgeſprochen habe, muß ich bis auf das letzte Wort noch aufrecht halten, ſeit ich die Weimariſchen Protocolle kenne. — — Aus mannichfachen Briefen und Erzählungen iſt bekannt, wie früh ſchon der un- glückliche Sand ſich mit unbeſtimmten Träumen von einem heroiſchen Opfertode ge- tragen hat. Als weiterer Beleg folgt hier ein Stammbuchblatt, deſſen Original mir ein befreundeter Leſer mittheilt: Unſer Tod iſt Heldenlauf, kurzer Sieg, früher Tod! Thut nichts, wenn wir nur wirklich Helden ſind. Wenn wir nur ringen im ſteten Aufſchwung und Gebet zum heil’gen Vater und in friſcher Begeiſterung leben für das was ſein Wille iſt. Siegen werden wir immer wenn wir nur ſelbſt tüchtig und friſch ſind. Früher Tod bricht nicht die Siegesbahn, wenn wir nur auf ihr als Helden ſterben. So ſei denn unſer Wahl-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 748. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/762>, abgerufen am 27.11.2024.