legene Schriftstück bekundete nur die Rathlosigkeit des alten Systems. Etwas kräftiger redete nachher eine russische Note vom 13. Febr.; sie schloß sich den Erklärungen der anderen Festlandsmächte an und drohte, bei längerem Widerstande würde der Czar die Neutralität der Eidgenossen nicht mehr anerkennen. Die Tagsatzung antwortete wiederum ablehnend, sie berief sich auf ihr Recht die schweizerischen Angelegenheiten allein zu ordnen. Durch diesen Notenkrieg wurde Friedrich Wilhelm's Lieblingsplan, der europäische Congreß in Neuenburg, rein unmöglich, und nun blieb nichts mehr übrig als die angedrohte Besetzung der Grenzcantone; doch ehe man darüber einig werden konnte, brach die Revolution herein.
Furchtbar mußte König Friedrich Wilhelm für die Fehler dieser thö- richten Interventionspolitik büßen. Seine Neuenburger Royalisten er- warteten das Beste von der Einmischung Europas, sie hofften nunmehr bald friedlich aus der Eidgenossenschaft ausscheiden zu können, weil sie in ritterlicher Begeisterung ihren Monarchen für unüberwindlich hielten. Wie gänzlich verkannten diese Getreuen doch die Lage! Die Tagsatzung selber wünschte freilich den gefährlichen Streit mit dem Könige von Preußen zu vermeiden. Aber hinter ihr standen die siegestrunkenen Radicalen. Sie brannten darauf, die verunglückten Luzerner Freischaarenzüge glücklicher zu erneuern; sie kannten jetzt Friedrich Wilhelm's Muth; sie ersehnten den Augenblick, da sie über den unvertheidigten fürstlichen Canton herfallen und die letzte fremde Gewalt, die noch dazu monarchisch war, aus der Eidgenossen- schaft hinausfegen konnten. Und dieser Augenblick kam, als die Kunde von der Pariser Februarrevolution eintraf. Am 29. Februar bildete sich in La Chaux de Fonds, dem Mittelpunkte der ausländischen Bevölkerung, eine provisorische Regierung. Durch Zuzüge aus den Nachbarcantonen ver- stärkt, rückte ein Haufe von Freischärlern gegen die Hauptstadt heran; der alte Verschwörer Courvoisier, ein Adjutant Ochsenbein's, führte den Haufen. Königliche Truppen, die den Aufruhr mit leichter Mühe niederschlagen konnten, waren nicht zur Stelle, das kleine Schutzbataillon des Cantons vermochte nichts auszurichten und ward aufgelöst. Am 1. März war das Neuenburger Schloß in den Händen der Rebellen. Der radicale Vorort Bern aber trat die alten Verträge der Eidgenossen mit Füßen; er ver- weigerte dem Baron Chambrier den nachgesuchten pflichtschuldigen Beistand, und nahm schamlos Partei für den schlechthin frevelhaften Bundes- bruch. Mit seiner Hilfe wurden die Fürstenherrschaft und ihr Staats- rath gestürzt, die ehrwürdigen vier Bourgeoisien zerstört, die uralte Ge- meindefreiheit vernichtet und durch ein hartes Präfektensystem ersetzt; auch die Akademie mußte fallen, denn sie vertrat die Wissenschaft und war mithin aristokratisch. Eine rohe Demokratie verdrängte das alte etwas steife, aber gerechte, ehrliche, gebildete aristokratische Regiment.
Und diesem häßlichen Rechtsbruche mußte der unglückliche Fürst, der Alles selbst verschuldet hatte, jetzt mit gefalteten Händen zuschauen,
Revolution in Neuenburg.
legene Schriftſtück bekundete nur die Rathloſigkeit des alten Syſtems. Etwas kräftiger redete nachher eine ruſſiſche Note vom 13. Febr.; ſie ſchloß ſich den Erklärungen der anderen Feſtlandsmächte an und drohte, bei längerem Widerſtande würde der Czar die Neutralität der Eidgenoſſen nicht mehr anerkennen. Die Tagſatzung antwortete wiederum ablehnend, ſie berief ſich auf ihr Recht die ſchweizeriſchen Angelegenheiten allein zu ordnen. Durch dieſen Notenkrieg wurde Friedrich Wilhelm’s Lieblingsplan, der europäiſche Congreß in Neuenburg, rein unmöglich, und nun blieb nichts mehr übrig als die angedrohte Beſetzung der Grenzcantone; doch ehe man darüber einig werden konnte, brach die Revolution herein.
Furchtbar mußte König Friedrich Wilhelm für die Fehler dieſer thö- richten Interventionspolitik büßen. Seine Neuenburger Royaliſten er- warteten das Beſte von der Einmiſchung Europas, ſie hofften nunmehr bald friedlich aus der Eidgenoſſenſchaft ausſcheiden zu können, weil ſie in ritterlicher Begeiſterung ihren Monarchen für unüberwindlich hielten. Wie gänzlich verkannten dieſe Getreuen doch die Lage! Die Tagſatzung ſelber wünſchte freilich den gefährlichen Streit mit dem Könige von Preußen zu vermeiden. Aber hinter ihr ſtanden die ſiegestrunkenen Radicalen. Sie brannten darauf, die verunglückten Luzerner Freiſchaarenzüge glücklicher zu erneuern; ſie kannten jetzt Friedrich Wilhelm’s Muth; ſie erſehnten den Augenblick, da ſie über den unvertheidigten fürſtlichen Canton herfallen und die letzte fremde Gewalt, die noch dazu monarchiſch war, aus der Eidgenoſſen- ſchaft hinausfegen konnten. Und dieſer Augenblick kam, als die Kunde von der Pariſer Februarrevolution eintraf. Am 29. Februar bildete ſich in La Chaux de Fonds, dem Mittelpunkte der ausländiſchen Bevölkerung, eine proviſoriſche Regierung. Durch Zuzüge aus den Nachbarcantonen ver- ſtärkt, rückte ein Haufe von Freiſchärlern gegen die Hauptſtadt heran; der alte Verſchwörer Courvoiſier, ein Adjutant Ochſenbein’s, führte den Haufen. Königliche Truppen, die den Aufruhr mit leichter Mühe niederſchlagen konnten, waren nicht zur Stelle, das kleine Schutzbataillon des Cantons vermochte nichts auszurichten und ward aufgelöſt. Am 1. März war das Neuenburger Schloß in den Händen der Rebellen. Der radicale Vorort Bern aber trat die alten Verträge der Eidgenoſſen mit Füßen; er ver- weigerte dem Baron Chambrier den nachgeſuchten pflichtſchuldigen Beiſtand, und nahm ſchamlos Partei für den ſchlechthin frevelhaften Bundes- bruch. Mit ſeiner Hilfe wurden die Fürſtenherrſchaft und ihr Staats- rath geſtürzt, die ehrwürdigen vier Bourgeoiſien zerſtört, die uralte Ge- meindefreiheit vernichtet und durch ein hartes Präfektenſyſtem erſetzt; auch die Akademie mußte fallen, denn ſie vertrat die Wiſſenſchaft und war mithin ariſtokratiſch. Eine rohe Demokratie verdrängte das alte etwas ſteife, aber gerechte, ehrliche, gebildete ariſtokratiſche Regiment.
Und dieſem häßlichen Rechtsbruche mußte der unglückliche Fürſt, der Alles ſelbſt verſchuldet hatte, jetzt mit gefalteten Händen zuſchauen,
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Revolution in Neuenburg.
legene Schriftſtück bekundete nur die Rathloſigkeit des alten Syſtems.
Etwas kräftiger redete nachher eine ruſſiſche Note vom 13. Febr.; ſie ſchloß
ſich den Erklärungen der anderen Feſtlandsmächte an und drohte, bei
längerem Widerſtande würde der Czar die Neutralität der Eidgenoſſen nicht
mehr anerkennen. Die Tagſatzung antwortete wiederum ablehnend, ſie
berief ſich auf ihr Recht die ſchweizeriſchen Angelegenheiten allein zu ordnen.
Durch dieſen Notenkrieg wurde Friedrich Wilhelm’s Lieblingsplan, der
europäiſche Congreß in Neuenburg, rein unmöglich, und nun blieb nichts
mehr übrig als die angedrohte Beſetzung der Grenzcantone; doch ehe
man darüber einig werden konnte, brach die Revolution herein.
Furchtbar mußte König Friedrich Wilhelm für die Fehler dieſer thö-
richten Interventionspolitik büßen. Seine Neuenburger Royaliſten er-
warteten das Beſte von der Einmiſchung Europas, ſie hofften nunmehr
bald friedlich aus der Eidgenoſſenſchaft ausſcheiden zu können, weil ſie in
ritterlicher Begeiſterung ihren Monarchen für unüberwindlich hielten. Wie
gänzlich verkannten dieſe Getreuen doch die Lage! Die Tagſatzung ſelber
wünſchte freilich den gefährlichen Streit mit dem Könige von Preußen zu
vermeiden. Aber hinter ihr ſtanden die ſiegestrunkenen Radicalen. Sie
brannten darauf, die verunglückten Luzerner Freiſchaarenzüge glücklicher zu
erneuern; ſie kannten jetzt Friedrich Wilhelm’s Muth; ſie erſehnten den
Augenblick, da ſie über den unvertheidigten fürſtlichen Canton herfallen und
die letzte fremde Gewalt, die noch dazu monarchiſch war, aus der Eidgenoſſen-
ſchaft hinausfegen konnten. Und dieſer Augenblick kam, als die Kunde
von der Pariſer Februarrevolution eintraf. Am 29. Februar bildete ſich
in La Chaux de Fonds, dem Mittelpunkte der ausländiſchen Bevölkerung,
eine proviſoriſche Regierung. Durch Zuzüge aus den Nachbarcantonen ver-
ſtärkt, rückte ein Haufe von Freiſchärlern gegen die Hauptſtadt heran; der
alte Verſchwörer Courvoiſier, ein Adjutant Ochſenbein’s, führte den Haufen.
Königliche Truppen, die den Aufruhr mit leichter Mühe niederſchlagen
konnten, waren nicht zur Stelle, das kleine Schutzbataillon des Cantons
vermochte nichts auszurichten und ward aufgelöſt. Am 1. März war das
Neuenburger Schloß in den Händen der Rebellen. Der radicale Vorort
Bern aber trat die alten Verträge der Eidgenoſſen mit Füßen; er ver-
weigerte dem Baron Chambrier den nachgeſuchten pflichtſchuldigen Beiſtand,
und nahm ſchamlos Partei für den ſchlechthin frevelhaften Bundes-
bruch. Mit ſeiner Hilfe wurden die Fürſtenherrſchaft und ihr Staats-
rath geſtürzt, die ehrwürdigen vier Bourgeoiſien zerſtört, die uralte Ge-
meindefreiheit vernichtet und durch ein hartes Präfektenſyſtem erſetzt; auch
die Akademie mußte fallen, denn ſie vertrat die Wiſſenſchaft und war
mithin ariſtokratiſch. Eine rohe Demokratie verdrängte das alte etwas
ſteife, aber gerechte, ehrliche, gebildete ariſtokratiſche Regiment.
Und dieſem häßlichen Rechtsbruche mußte der unglückliche Fürſt,
der Alles ſelbſt verſchuldet hatte, jetzt mit gefalteten Händen zuſchauen,
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 741. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/755>, abgerufen am 23.11.2024.
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