Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.Neuenburgs Unterwerfung. Der alte König hatte nach der Juli-Revolution fast sein ganzes Heer aufKriegsfuß gesetzt um Deutschlands Neutralität zu schützen; der Sohn wagte für die Neuenburger Royalisten nicht einmal eine Brigade aufzubieten und jammerte dann noch über seine Ohnmacht. Daß die große Mehrheit der Neuenburger die schützenden Truppen ihres Fürsten mit offenen Armen aufgenommen hätte verstand sich von selbst; die Tagsatzung aber konnte nimmermehr wagen zugleich gegen den Sonderbund und gegen Preußen zu kämpfen. So lange die Eidgenossen noch nicht wußten, was man diesem Könige bieten durfte, hüteten sie sich sorgfältig seine mächtige Krone zu beleidigen. General Dufour weigerte sich entschieden, das Fürstenthum zu besetzen, obgleich der König es unbeschützt ließ, und selbst der grobe Ochsenbein wagte nicht offen zu widersprechen, als der preußische Gesandte Sydow zu Anfang Novembers mündlich die thatsächliche Schonung der Neutralität Neuenburgs verlangte.*) Die beiden Schweizer wollten er- sichtlich abwarten, was das Kriegsglück bringen würde; vor Waffen konnten aber nur Waffen sichern. Als nun die Eidgenossen siegten, da war der König tief beschämt. *) So erzählte Canitz an Knyphausen (dessen Bericht 12. Nov. 1847). v. Treitschke, Deutsche Geschichte. V. 47
Neuenburgs Unterwerfung. Der alte König hatte nach der Juli-Revolution faſt ſein ganzes Heer aufKriegsfuß geſetzt um Deutſchlands Neutralität zu ſchützen; der Sohn wagte für die Neuenburger Royaliſten nicht einmal eine Brigade aufzubieten und jammerte dann noch über ſeine Ohnmacht. Daß die große Mehrheit der Neuenburger die ſchützenden Truppen ihres Fürſten mit offenen Armen aufgenommen hätte verſtand ſich von ſelbſt; die Tagſatzung aber konnte nimmermehr wagen zugleich gegen den Sonderbund und gegen Preußen zu kämpfen. So lange die Eidgenoſſen noch nicht wußten, was man dieſem Könige bieten durfte, hüteten ſie ſich ſorgfältig ſeine mächtige Krone zu beleidigen. General Dufour weigerte ſich entſchieden, das Fürſtenthum zu beſetzen, obgleich der König es unbeſchützt ließ, und ſelbſt der grobe Ochſenbein wagte nicht offen zu widerſprechen, als der preußiſche Geſandte Sydow zu Anfang Novembers mündlich die thatſächliche Schonung der Neutralität Neuenburgs verlangte.*) Die beiden Schweizer wollten er- ſichtlich abwarten, was das Kriegsglück bringen würde; vor Waffen konnten aber nur Waffen ſichern. Als nun die Eidgenoſſen ſiegten, da war der König tief beſchämt. *) So erzählte Canitz an Knyphauſen (deſſen Bericht 12. Nov. 1847). v. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. V. 47
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Neuenburgs Unterwerfung.
Der alte König hatte nach der Juli-Revolution faſt ſein ganzes Heer auf
Kriegsfuß geſetzt um Deutſchlands Neutralität zu ſchützen; der Sohn wagte
für die Neuenburger Royaliſten nicht einmal eine Brigade aufzubieten
und jammerte dann noch über ſeine Ohnmacht. Daß die große Mehrheit
der Neuenburger die ſchützenden Truppen ihres Fürſten mit offenen Armen
aufgenommen hätte verſtand ſich von ſelbſt; die Tagſatzung aber konnte
nimmermehr wagen zugleich gegen den Sonderbund und gegen Preußen
zu kämpfen. So lange die Eidgenoſſen noch nicht wußten, was man
dieſem Könige bieten durfte, hüteten ſie ſich ſorgfältig ſeine mächtige Krone
zu beleidigen. General Dufour weigerte ſich entſchieden, das Fürſtenthum
zu beſetzen, obgleich der König es unbeſchützt ließ, und ſelbſt der grobe
Ochſenbein wagte nicht offen zu widerſprechen, als der preußiſche Geſandte
Sydow zu Anfang Novembers mündlich die thatſächliche Schonung der
Neutralität Neuenburgs verlangte. *) Die beiden Schweizer wollten er-
ſichtlich abwarten, was das Kriegsglück bringen würde; vor Waffen konnten
aber nur Waffen ſichern.
Als nun die Eidgenoſſen ſiegten, da war der König tief beſchämt.
Nichts, gar nichts hatte er gethan um die Neutralität ſeines Landes zu
beſchirmen — was doch in ähnlichen Fällen ſelbſt ſchwache Staaten wie
Belgien nie verabſäumten. Auch ſeine Diplomatie verfuhr unbegreiflich
langſam. Erſt am 26. Nov. überreichte Sydow eine Note, welche der
Tagſatzung ankündigte, daß der König jede Verletzung der Neutralität als
Friedensbruch und Feindſeligkeit gegen ſich ſelbſt betrachten müſſe; zugleich
erbot ſich Friedrich Wilhelm zur Vermittlung und lud die Eidgenoſſen
ein, auf einem europäiſchen Congreſſe, der in der neutralen Stadt Neuen-
burg abgehalten werden ſollte, ihre Klagen und Gegenklagen vorzulegen.
Was konnte ein ſolcher Vorſchlag fruchten — zwei Tage nachdem Luzern
gefallen und der Sonderbund ſo gut wie vernichtet war? Die Tagſatzung
lehnte die Vermittlung ab und beſtritt dem Könige das Recht in den
inneren Angelegenheiten der Schweiz mitzureden. Nunmehr mußte auch
der Canton für die Schlaffheit ſeines Fürſten büßen; er wurde von der
Tagſatzung verurtheilt, etwa 440,000 Fr. Strafe für die unterlaſſene
Heeresfolge zu zahlen, und ſchutzlos wie er war konnte er ſich den völlig
widerrechtlichen Forderungen der Sieger nicht widerſetzen. Dabei verfuhr
die Tagſatzung noch immer mit einiger Schonung, weil ſie den König nicht
zu ſehr verletzen wollte und weil die rechtſchaffene Haltung der Neuenburger
Royaliſten doch ſelbſt die radicalen Gegner zur Achtung zwang. Der Can-
ton blieb von eidgenöſſiſcher Einquartierung verſchont; die Strafſumme
wurde niedrig bemeſſen, weit niedriger als die ſchweren, den Sonderbunds-
cantonen auferlegten Brandſchatzungen, und überdies, um die Form zu
wahren, nur zur Unterſtützung der Verwundeten und Hinterbliebenen
*) So erzählte Canitz an Knyphauſen (deſſen Bericht 12. Nov. 1847).
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