andererseits die Tagsatzung vor der Propaganda des europäischen Radi- calismus zu warnen. Er erhielt den geheimen Befehl, die von Palmer- ston mit unterzeichnete Vermittlungsnote nicht zu überreichen, falls der Sonderbund unterdessen vernichtet wäre. So blieb England fern, und Palmerston erlebte die Freude, daß die vier anderen Mächte allein durch eine höflich ablehnende Note der Tagsatzung dahin belehrt wurden: eine Vermittlung sei überflüssig, da die zwei Parteien der Eidgenossenschaft nicht mehr beständen. Mit lautem Hohne begrüßte der Liberalismus überall diese Abfertigung der großen Mächte; sie hatten es durch ihre Parteilichkeit dahin gebracht, daß der Untergang des Sonderbundes wie eine Niederlage der alten europäischen Ordnung erschien. Thiers sagte in der Kammer, die Haltung Guizot's sei die lebendige Contrerevolution. Aus Frankreich, aus Süddeutschland, aus Sachsen erhielt die Tagsatzung Glückwunsch-Adressen; auch Jacoby mit seinen Königsbergern sprach den Schweizern feierlich seinen Dank aus; und Freiligrath sang:
Im Hochland fiel der erste Schuß, Im Hochland wider die Pfaffen. Da kam, die fallen wird und muß, Ja die Lawine kam in Schuß. Drei Länder in den Waffen! Die Freiheit dort, die Freiheit hier, Die Freiheit jetzt und für und für, Die Freiheit rings auf Erden! --
Spott und Hohn brachten die schweizerischen Händel allen Mächten des Festlands, dem Könige von Preußen aber auch noch eine schwere persönliche und politische Demüthigung. An geheimen Waffen- und Geldsendungen sich zu betheiligen war Friedrich Wilhelm zu stolz und zu ehrlich. Um so eifriger verlangte er das offene Eintreten des gesammten Europas für das bedrohte Bundesrecht der Eidgenossenschaft. Der schweizerische Radicalis- mus, der im Grunde den Anschlägen der weltbürgerlichen Propaganda wenig geneigt war, erschien ihm wie der unheilschwangere Mutterschooß der euro- päischen Anarchie. Schon im Sommer 1846 ließ er nach London schreiben: "Die Cantonalsouveränität, wie sie die bestehenden Verträge schützen, auf- recht zu halten ist für Preußen wegen Neuenburgs durchaus nothwendig." Als sich sodann die zweizüngige englische Politik enthüllte, da beschwerte er sich bitter, daß Großbritannien seinen besten und treuesten Alliirten, Preußen preisgäbe, und Canitz klagte: "Theils leidenschaftlicher Haß gegen Guizot und Metternich, theils grundsätzliches Interesse für jeden Kampf gegen die bestehende Ordnung unter dem Vorwande des Fortschritts ist das Princip des britischen Cabinets, und Bankrott der Legitimität seine Firma."*) Wunderbar wie der geistreiche König sich selber in's Gesicht schlug. In Wien und Frankfurt vertrat er ehrenhaft die deutsche Bun-
*) Canitz an Bunsen, 27. Juli 1846, 25. Sept. 1847.
Verſpätete Vermittlung der Großmächte.
andererſeits die Tagſatzung vor der Propaganda des europäiſchen Radi- calismus zu warnen. Er erhielt den geheimen Befehl, die von Palmer- ſton mit unterzeichnete Vermittlungsnote nicht zu überreichen, falls der Sonderbund unterdeſſen vernichtet wäre. So blieb England fern, und Palmerſton erlebte die Freude, daß die vier anderen Mächte allein durch eine höflich ablehnende Note der Tagſatzung dahin belehrt wurden: eine Vermittlung ſei überflüſſig, da die zwei Parteien der Eidgenoſſenſchaft nicht mehr beſtänden. Mit lautem Hohne begrüßte der Liberalismus überall dieſe Abfertigung der großen Mächte; ſie hatten es durch ihre Parteilichkeit dahin gebracht, daß der Untergang des Sonderbundes wie eine Niederlage der alten europäiſchen Ordnung erſchien. Thiers ſagte in der Kammer, die Haltung Guizot’s ſei die lebendige Contrerevolution. Aus Frankreich, aus Süddeutſchland, aus Sachſen erhielt die Tagſatzung Glückwunſch-Adreſſen; auch Jacoby mit ſeinen Königsbergern ſprach den Schweizern feierlich ſeinen Dank aus; und Freiligrath ſang:
Im Hochland fiel der erſte Schuß, Im Hochland wider die Pfaffen. Da kam, die fallen wird und muß, Ja die Lawine kam in Schuß. Drei Länder in den Waffen! Die Freiheit dort, die Freiheit hier, Die Freiheit jetzt und für und für, Die Freiheit rings auf Erden! —
Spott und Hohn brachten die ſchweizeriſchen Händel allen Mächten des Feſtlands, dem Könige von Preußen aber auch noch eine ſchwere perſönliche und politiſche Demüthigung. An geheimen Waffen- und Geldſendungen ſich zu betheiligen war Friedrich Wilhelm zu ſtolz und zu ehrlich. Um ſo eifriger verlangte er das offene Eintreten des geſammten Europas für das bedrohte Bundesrecht der Eidgenoſſenſchaft. Der ſchweizeriſche Radicalis- mus, der im Grunde den Anſchlägen der weltbürgerlichen Propaganda wenig geneigt war, erſchien ihm wie der unheilſchwangere Mutterſchooß der euro- päiſchen Anarchie. Schon im Sommer 1846 ließ er nach London ſchreiben: „Die Cantonalſouveränität, wie ſie die beſtehenden Verträge ſchützen, auf- recht zu halten iſt für Preußen wegen Neuenburgs durchaus nothwendig.“ Als ſich ſodann die zweizüngige engliſche Politik enthüllte, da beſchwerte er ſich bitter, daß Großbritannien ſeinen beſten und treueſten Alliirten, Preußen preisgäbe, und Canitz klagte: „Theils leidenſchaftlicher Haß gegen Guizot und Metternich, theils grundſätzliches Intereſſe für jeden Kampf gegen die beſtehende Ordnung unter dem Vorwande des Fortſchritts iſt das Princip des britiſchen Cabinets, und Bankrott der Legitimität ſeine Firma.“*) Wunderbar wie der geiſtreiche König ſich ſelber in’s Geſicht ſchlug. In Wien und Frankfurt vertrat er ehrenhaft die deutſche Bun-
*) Canitz an Bunſen, 27. Juli 1846, 25. Sept. 1847.
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Verſpätete Vermittlung der Großmächte.
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calismus zu warnen. Er erhielt den geheimen Befehl, die von Palmer-
ſton mit unterzeichnete Vermittlungsnote nicht zu überreichen, falls der
Sonderbund unterdeſſen vernichtet wäre. So blieb England fern, und
Palmerſton erlebte die Freude, daß die vier anderen Mächte allein durch
eine höflich ablehnende Note der Tagſatzung dahin belehrt wurden: eine
Vermittlung ſei überflüſſig, da die zwei Parteien der Eidgenoſſenſchaft
nicht mehr beſtänden. Mit lautem Hohne begrüßte der Liberalismus
überall dieſe Abfertigung der großen Mächte; ſie hatten es durch ihre
Parteilichkeit dahin gebracht, daß der Untergang des Sonderbundes wie
eine Niederlage der alten europäiſchen Ordnung erſchien. Thiers ſagte
in der Kammer, die Haltung Guizot’s ſei die lebendige Contrerevolution.
Aus Frankreich, aus Süddeutſchland, aus Sachſen erhielt die Tagſatzung
Glückwunſch-Adreſſen; auch Jacoby mit ſeinen Königsbergern ſprach den
Schweizern feierlich ſeinen Dank aus; und Freiligrath ſang:
Im Hochland fiel der erſte Schuß,
Im Hochland wider die Pfaffen.
Da kam, die fallen wird und muß,
Ja die Lawine kam in Schuß.
Drei Länder in den Waffen!
Die Freiheit dort, die Freiheit hier,
Die Freiheit jetzt und für und für,
Die Freiheit rings auf Erden! —
Spott und Hohn brachten die ſchweizeriſchen Händel allen Mächten des
Feſtlands, dem Könige von Preußen aber auch noch eine ſchwere perſönliche
und politiſche Demüthigung. An geheimen Waffen- und Geldſendungen
ſich zu betheiligen war Friedrich Wilhelm zu ſtolz und zu ehrlich. Um ſo
eifriger verlangte er das offene Eintreten des geſammten Europas für das
bedrohte Bundesrecht der Eidgenoſſenſchaft. Der ſchweizeriſche Radicalis-
mus, der im Grunde den Anſchlägen der weltbürgerlichen Propaganda wenig
geneigt war, erſchien ihm wie der unheilſchwangere Mutterſchooß der euro-
päiſchen Anarchie. Schon im Sommer 1846 ließ er nach London ſchreiben:
„Die Cantonalſouveränität, wie ſie die beſtehenden Verträge ſchützen, auf-
recht zu halten iſt für Preußen wegen Neuenburgs durchaus nothwendig.“
Als ſich ſodann die zweizüngige engliſche Politik enthüllte, da beſchwerte
er ſich bitter, daß Großbritannien ſeinen beſten und treueſten Alliirten,
Preußen preisgäbe, und Canitz klagte: „Theils leidenſchaftlicher Haß gegen
Guizot und Metternich, theils grundſätzliches Intereſſe für jeden Kampf
gegen die beſtehende Ordnung unter dem Vorwande des Fortſchritts iſt
das Princip des britiſchen Cabinets, und Bankrott der Legitimität ſeine
Firma.“ *) Wunderbar wie der geiſtreiche König ſich ſelber in’s Geſicht
ſchlug. In Wien und Frankfurt vertrat er ehrenhaft die deutſche Bun-
*) Canitz an Bunſen, 27. Juli 1846, 25. Sept. 1847.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 733. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/747>, abgerufen am 23.07.2024.
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