Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.Niederlage des Sonderbunds. Entscheidung, die bei der weiten Entfernung der fünf Höfe ohnehin vielZeit erforderte, noch ein wenig hinzuhalten, bis der Sonderbund durch die Waffen der Zwölfermehrheit vernichtet war. Schon im September hatte sein getreuer Lord Minto, auf der Reise nach Turin, sich mit Ochsenbein besprochen und mit Freuden erfahren, daß der radicale Frei- schaarenführer zu raschen Schlägen entschlossen war.*) Auch der preußi- sche Gesandte Sydow beurtheilte die Lage richtig; er berichtete heim: jeder Tag Zeitverlust beschleunige nur den Untergang des Sonderbundes. Als nun der Herzog von Broglie den Notenentwurf Guizot's vorlegte, da vermochte Palmerston im ersten Augenblicke seine Schadenfreude nicht mehr zu bemeistern, und in einem höhnischen Brieflein gab er zur Antwort: er be- wundere die Fassung des Aktenstückes; er sehe wohl, es handle sich um eine zweite Auflage der Krakauer Sache, und könne nie seine Hand dazu bieten, daß die Schweiz polonisirt würde. Darob allgemeine Entrüstung an den großen Höfen; König Friedrich Wilhelm schrieb an Bunsen: "Dieser Witz Ihres whiggistischen Freundes schmeckt nach Uebergenuß von Austern und Champagner. Er ist das Kind des Guizot-Metternich-Hasses, d. h. der schlechtesten Erscheinung auf dem diplomatischen Horizonte seit den Julitagen."**) Indeß lenkte der schlaue Lord alsbald scheinbar ein und erklärte sich bereit über eine gemeinsame Note zu verhandeln. Darüber mußten wieder viele Tage vergehen, und währenddem ließ der englische Gesandte in der Schweiz, der junge mit Ochsenbein persönlich befreundete Sohn Robert Peel's, den General Dufour vertraulich auffordern, er möge so schnell wie möglich losschlagen. Abermals hohe Entrüstung an den großen Höfen, als diese neue Treulosigkeit ruchbar wurde; Friedrich Wilhelm wollte gar nicht begreifen, daß dieser "Peelbube" der Sohn des Mannes sei, der den Sinn eines Herzogs und das Herz eines Bürgers habe.***) Aber hatten Oesterreich und Frankreich redlicher gehandelt als sie den Sonderbund mit Geld und Waffen unterstützten? Das alte System der bevormundenden Congresse zeigte sich noch einmal in seiner ganzen Unwahrheit. Die Staaten Europas waren durch zu mannichfache Interessen mit einander verkettet, der hohe Gerichtshof der Pentarchie konnte in irgend ernsten Streitfällen niemals ganz unparteiisch verfahren. General Dufour bedurfte der englischen Mahnungen nicht. Er sah *) Bunsen's Bericht, 28. Sept. 1847. **) Graf Arnim's Bericht, 22. Nov.; König Friedrich Wilhelm an Bunsen, 8. Dec. 1847. ***) König Friedrich Wilhelm an Bunsen, 4. Dec. 1847.
Niederlage des Sonderbunds. Entſcheidung, die bei der weiten Entfernung der fünf Höfe ohnehin vielZeit erforderte, noch ein wenig hinzuhalten, bis der Sonderbund durch die Waffen der Zwölfermehrheit vernichtet war. Schon im September hatte ſein getreuer Lord Minto, auf der Reiſe nach Turin, ſich mit Ochſenbein beſprochen und mit Freuden erfahren, daß der radicale Frei- ſchaarenführer zu raſchen Schlägen entſchloſſen war.*) Auch der preußi- ſche Geſandte Sydow beurtheilte die Lage richtig; er berichtete heim: jeder Tag Zeitverluſt beſchleunige nur den Untergang des Sonderbundes. Als nun der Herzog von Broglie den Notenentwurf Guizot’s vorlegte, da vermochte Palmerſton im erſten Augenblicke ſeine Schadenfreude nicht mehr zu bemeiſtern, und in einem höhniſchen Brieflein gab er zur Antwort: er be- wundere die Faſſung des Aktenſtückes; er ſehe wohl, es handle ſich um eine zweite Auflage der Krakauer Sache, und könne nie ſeine Hand dazu bieten, daß die Schweiz poloniſirt würde. Darob allgemeine Entrüſtung an den großen Höfen; König Friedrich Wilhelm ſchrieb an Bunſen: „Dieſer Witz Ihres whiggiſtiſchen Freundes ſchmeckt nach Uebergenuß von Auſtern und Champagner. Er iſt das Kind des Guizot-Metternich-Haſſes, d. h. der ſchlechteſten Erſcheinung auf dem diplomatiſchen Horizonte ſeit den Julitagen.“**) Indeß lenkte der ſchlaue Lord alsbald ſcheinbar ein und erklärte ſich bereit über eine gemeinſame Note zu verhandeln. Darüber mußten wieder viele Tage vergehen, und währenddem ließ der engliſche Geſandte in der Schweiz, der junge mit Ochſenbein perſönlich befreundete Sohn Robert Peel’s, den General Dufour vertraulich auffordern, er möge ſo ſchnell wie möglich losſchlagen. Abermals hohe Entrüſtung an den großen Höfen, als dieſe neue Treuloſigkeit ruchbar wurde; Friedrich Wilhelm wollte gar nicht begreifen, daß dieſer „Peelbube“ der Sohn des Mannes ſei, der den Sinn eines Herzogs und das Herz eines Bürgers habe.***) Aber hatten Oeſterreich und Frankreich redlicher gehandelt als ſie den Sonderbund mit Geld und Waffen unterſtützten? Das alte Syſtem der bevormundenden Congreſſe zeigte ſich noch einmal in ſeiner ganzen Unwahrheit. Die Staaten Europas waren durch zu mannichfache Intereſſen mit einander verkettet, der hohe Gerichtshof der Pentarchie konnte in irgend ernſten Streitfällen niemals ganz unparteiiſch verfahren. General Dufour bedurfte der engliſchen Mahnungen nicht. Er ſah *) Bunſen’s Bericht, 28. Sept. 1847. **) Graf Arnim’s Bericht, 22. Nov.; König Friedrich Wilhelm an Bunſen, 8. Dec. 1847. ***) König Friedrich Wilhelm an Bunſen, 4. Dec. 1847.
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Niederlage des Sonderbunds.
Entſcheidung, die bei der weiten Entfernung der fünf Höfe ohnehin viel
Zeit erforderte, noch ein wenig hinzuhalten, bis der Sonderbund durch
die Waffen der Zwölfermehrheit vernichtet war. Schon im September
hatte ſein getreuer Lord Minto, auf der Reiſe nach Turin, ſich mit
Ochſenbein beſprochen und mit Freuden erfahren, daß der radicale Frei-
ſchaarenführer zu raſchen Schlägen entſchloſſen war. *) Auch der preußi-
ſche Geſandte Sydow beurtheilte die Lage richtig; er berichtete heim: jeder
Tag Zeitverluſt beſchleunige nur den Untergang des Sonderbundes. Als
nun der Herzog von Broglie den Notenentwurf Guizot’s vorlegte, da
vermochte Palmerſton im erſten Augenblicke ſeine Schadenfreude nicht mehr
zu bemeiſtern, und in einem höhniſchen Brieflein gab er zur Antwort: er be-
wundere die Faſſung des Aktenſtückes; er ſehe wohl, es handle ſich um eine
zweite Auflage der Krakauer Sache, und könne nie ſeine Hand dazu bieten,
daß die Schweiz poloniſirt würde. Darob allgemeine Entrüſtung an den
großen Höfen; König Friedrich Wilhelm ſchrieb an Bunſen: „Dieſer
Witz Ihres whiggiſtiſchen Freundes ſchmeckt nach Uebergenuß von Auſtern
und Champagner. Er iſt das Kind des Guizot-Metternich-Haſſes, d. h.
der ſchlechteſten Erſcheinung auf dem diplomatiſchen Horizonte ſeit den
Julitagen.“ **) Indeß lenkte der ſchlaue Lord alsbald ſcheinbar ein und
erklärte ſich bereit über eine gemeinſame Note zu verhandeln. Darüber
mußten wieder viele Tage vergehen, und währenddem ließ der engliſche
Geſandte in der Schweiz, der junge mit Ochſenbein perſönlich befreundete
Sohn Robert Peel’s, den General Dufour vertraulich auffordern, er
möge ſo ſchnell wie möglich losſchlagen. Abermals hohe Entrüſtung an
den großen Höfen, als dieſe neue Treuloſigkeit ruchbar wurde; Friedrich
Wilhelm wollte gar nicht begreifen, daß dieſer „Peelbube“ der Sohn des
Mannes ſei, der den Sinn eines Herzogs und das Herz eines Bürgers
habe. ***) Aber hatten Oeſterreich und Frankreich redlicher gehandelt
als ſie den Sonderbund mit Geld und Waffen unterſtützten? Das
alte Syſtem der bevormundenden Congreſſe zeigte ſich noch einmal in ſeiner
ganzen Unwahrheit. Die Staaten Europas waren durch zu mannichfache
Intereſſen mit einander verkettet, der hohe Gerichtshof der Pentarchie
konnte in irgend ernſten Streitfällen niemals ganz unparteiiſch verfahren.
General Dufour bedurfte der engliſchen Mahnungen nicht. Er ſah
mit ſicherem Soldatenblick, daß er ſeine große Uebermacht ſofort ganz
einſetzen mußte um den Sonderbund in raſchem Anlaufe niederzurennen.
So ward der Sieg geſichert, eidgenöſſiſches Blut geſpart, die Einmiſchung
der Fremden abgewendet. Die Truppen der Tagſatzung entwaffneten zu-
nächſt den Canton Freiburg, ſie zogen ſodann gegen die Hauptſtadt des
*) Bunſen’s Bericht, 28. Sept. 1847.
**) Graf Arnim’s Bericht, 22. Nov.; König Friedrich Wilhelm an Bunſen, 8. Dec.
1847.
***) König Friedrich Wilhelm an Bunſen, 4. Dec. 1847.
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