zelnen Cantonen feindlichen Bünde ausdrücklich verbot, und noch mehr der durch so viele bürgerliche Kriege theuer errungenen kirchlichen Parität. Dieselben Cantone, welche einst den Kampf gegen Zwingli geführt und nach- her unter Oesterreichs Schutze den Borromäischen Bund gestiftet hatten, bildeten den Kern des neuen Sonderbundes, und an ihrer Spitze standen die fanatischen Luzerner Clericalen Siegwart Müller und Bernhard Meyer. Es zeigte sich wieder, daß die Schweiz in manchem Sinne das conservativste Land Europas ist; der Eidgenossenschaft drohte ein Religionskrieg, wie er bei anderen Völkern des Welttheils längst nicht mehr möglich war. Wider den Sonderbund bot nun die radicale Partei jedes Mittel auf; Bluntschli und seine Züricher Conservativ-Liberalen unterlagen, für Vermittler war kein Raum mehr, Ochsenbein und die radicalen Berner behaupteten die Führung, und nach einer Staatsumwälzung im Canton St. Gallen ward endlich die knappe Mehrheit der Tagsatzung für die Gegner des Sonder- bundes gewonnen. Douze voix font loi, jubelten die Radicalen.
Die zwölf Stimmen der Mehrheit waren entschlossen, die Jesuiten als Störer des confessionellen Friedens aus der Eidgenossenschaft zu vertreiben, den Sonderbund aufzulösen, die Bundesgewalt zu verstärken. Zu so durch- greifenden Beschlüssen verlangte aber das Bundesrecht Einstimmigkeit oder Dreiviertelmehrheit der Tagsatzung; hier wie im Deutschen Bunde ward jede ernste gesetzliche Reform durch ein unvernünftiges Grundgesetz ver- hindert. Auf den Buchstaben des Bundesrechts konnte sich mithin keine der beiden Parteien berufen; die Radicalen kämpften jedoch, was sie auch durch Parteihaß gesündigt haben mochten, für den berechtigten, conservativen Gedanken der schweizerischen Bundeseinheit, die durch den Sonderbund unfehlbar zerstört werden mußte. Darum boten auch, als der Bürger- krieg nahte, der conservative General Dufour von Genf und die gleich- gesinnten Obersten Burckhardt, Ziegler, Donats der radicalen Zwölfer- mehrheit sofort ihre Dienste an; und zu den erklärten Radicalen, Ochsen- bein von Bern, Druey vom Waadtlande gesellten sich republikanische Staatsmänner von gemäßigter bürgerlich-demokratischer Gesinnung, wie Munzinger von Solothurn, Furrer von Zürich, Näff von St. Gallen, Kern und Andere. Einheit oder Zerfall? -- so stand die Frage. Der Ausgang des Krieges konnte kaum zweifelhaft sei, da die Cantone der Zwölfermehrheit den Sonderbund von allen Seiten her umklammert hielten, an Geldmitteln und Kopfzahl ihn fast um das Vierfache übertrafen; die Zeit war auch längst dahin, da die vier Waldstädte in den Schaaren ihrer kampferfahrenen alten Reisläufer die beste kriegerische Kraft der Schweiz besessen hatten.
Mit einer blinden Gehässigkeit, die an die Tage der Karlsbader Beschlüsse erinnerte, beurtheilten die Höfe von Wien, Berlin und Paris diese für Ausländer wahrlich schwer verständlichen schweizerischen Wirren. Der Czar hielt sich etwas zurück, er wollte mit England nicht brechen,
V. 10. Vorboten der europäiſchen Revolution.
zelnen Cantonen feindlichen Bünde ausdrücklich verbot, und noch mehr der durch ſo viele bürgerliche Kriege theuer errungenen kirchlichen Parität. Dieſelben Cantone, welche einſt den Kampf gegen Zwingli geführt und nach- her unter Oeſterreichs Schutze den Borromäiſchen Bund geſtiftet hatten, bildeten den Kern des neuen Sonderbundes, und an ihrer Spitze ſtanden die fanatiſchen Luzerner Clericalen Siegwart Müller und Bernhard Meyer. Es zeigte ſich wieder, daß die Schweiz in manchem Sinne das conſervativſte Land Europas iſt; der Eidgenoſſenſchaft drohte ein Religionskrieg, wie er bei anderen Völkern des Welttheils längſt nicht mehr möglich war. Wider den Sonderbund bot nun die radicale Partei jedes Mittel auf; Bluntſchli und ſeine Züricher Conſervativ-Liberalen unterlagen, für Vermittler war kein Raum mehr, Ochſenbein und die radicalen Berner behaupteten die Führung, und nach einer Staatsumwälzung im Canton St. Gallen ward endlich die knappe Mehrheit der Tagſatzung für die Gegner des Sonder- bundes gewonnen. Douze voix font loi, jubelten die Radicalen.
Die zwölf Stimmen der Mehrheit waren entſchloſſen, die Jeſuiten als Störer des confeſſionellen Friedens aus der Eidgenoſſenſchaft zu vertreiben, den Sonderbund aufzulöſen, die Bundesgewalt zu verſtärken. Zu ſo durch- greifenden Beſchlüſſen verlangte aber das Bundesrecht Einſtimmigkeit oder Dreiviertelmehrheit der Tagſatzung; hier wie im Deutſchen Bunde ward jede ernſte geſetzliche Reform durch ein unvernünftiges Grundgeſetz ver- hindert. Auf den Buchſtaben des Bundesrechts konnte ſich mithin keine der beiden Parteien berufen; die Radicalen kämpften jedoch, was ſie auch durch Parteihaß geſündigt haben mochten, für den berechtigten, conſervativen Gedanken der ſchweizeriſchen Bundeseinheit, die durch den Sonderbund unfehlbar zerſtört werden mußte. Darum boten auch, als der Bürger- krieg nahte, der conſervative General Dufour von Genf und die gleich- geſinnten Oberſten Burckhardt, Ziegler, Donats der radicalen Zwölfer- mehrheit ſofort ihre Dienſte an; und zu den erklärten Radicalen, Ochſen- bein von Bern, Druey vom Waadtlande geſellten ſich republikaniſche Staatsmänner von gemäßigter bürgerlich-demokratiſcher Geſinnung, wie Munzinger von Solothurn, Furrer von Zürich, Näff von St. Gallen, Kern und Andere. Einheit oder Zerfall? — ſo ſtand die Frage. Der Ausgang des Krieges konnte kaum zweifelhaft ſei, da die Cantone der Zwölfermehrheit den Sonderbund von allen Seiten her umklammert hielten, an Geldmitteln und Kopfzahl ihn faſt um das Vierfache übertrafen; die Zeit war auch längſt dahin, da die vier Waldſtädte in den Schaaren ihrer kampferfahrenen alten Reisläufer die beſte kriegeriſche Kraft der Schweiz beſeſſen hatten.
Mit einer blinden Gehäſſigkeit, die an die Tage der Karlsbader Beſchlüſſe erinnerte, beurtheilten die Höfe von Wien, Berlin und Paris dieſe für Ausländer wahrlich ſchwer verſtändlichen ſchweizeriſchen Wirren. Der Czar hielt ſich etwas zurück, er wollte mit England nicht brechen,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0742"n="728"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">V.</hi> 10. Vorboten der europäiſchen Revolution.</fw><lb/>
zelnen Cantonen feindlichen Bünde ausdrücklich verbot, und noch mehr<lb/>
der durch ſo viele bürgerliche Kriege theuer errungenen kirchlichen Parität.<lb/>
Dieſelben Cantone, welche einſt den Kampf gegen Zwingli geführt und nach-<lb/>
her unter Oeſterreichs Schutze den Borromäiſchen Bund geſtiftet hatten,<lb/>
bildeten den Kern des neuen Sonderbundes, und an ihrer Spitze ſtanden<lb/>
die fanatiſchen Luzerner Clericalen Siegwart Müller und Bernhard Meyer.<lb/>
Es zeigte ſich wieder, daß die Schweiz in manchem Sinne das conſervativſte<lb/>
Land Europas iſt; der Eidgenoſſenſchaft drohte ein Religionskrieg, wie er<lb/>
bei anderen Völkern des Welttheils längſt nicht mehr möglich war. Wider<lb/>
den Sonderbund bot nun die radicale Partei jedes Mittel auf; Bluntſchli<lb/>
und ſeine Züricher Conſervativ-Liberalen unterlagen, für Vermittler war<lb/>
kein Raum mehr, Ochſenbein und die radicalen Berner behaupteten die<lb/>
Führung, und nach einer Staatsumwälzung im Canton St. Gallen ward<lb/>
endlich die knappe Mehrheit der Tagſatzung für die Gegner des Sonder-<lb/>
bundes gewonnen. <hirendition="#aq">Douze voix font loi,</hi> jubelten die Radicalen.</p><lb/><p>Die zwölf Stimmen der Mehrheit waren entſchloſſen, die Jeſuiten als<lb/>
Störer des confeſſionellen Friedens aus der Eidgenoſſenſchaft zu vertreiben,<lb/>
den Sonderbund aufzulöſen, die Bundesgewalt zu verſtärken. Zu ſo durch-<lb/>
greifenden Beſchlüſſen verlangte aber das Bundesrecht Einſtimmigkeit oder<lb/>
Dreiviertelmehrheit der Tagſatzung; hier wie im Deutſchen Bunde ward<lb/>
jede ernſte geſetzliche Reform durch ein unvernünftiges Grundgeſetz ver-<lb/>
hindert. Auf den Buchſtaben des Bundesrechts konnte ſich mithin keine<lb/>
der beiden Parteien berufen; die Radicalen kämpften jedoch, was ſie auch<lb/>
durch Parteihaß geſündigt haben mochten, für den berechtigten, conſervativen<lb/>
Gedanken der ſchweizeriſchen Bundeseinheit, die durch den Sonderbund<lb/>
unfehlbar zerſtört werden mußte. Darum boten auch, als der Bürger-<lb/>
krieg nahte, der conſervative General Dufour von Genf und die gleich-<lb/>
geſinnten Oberſten Burckhardt, Ziegler, Donats der radicalen Zwölfer-<lb/>
mehrheit ſofort ihre Dienſte an; und zu den erklärten Radicalen, Ochſen-<lb/>
bein von Bern, Druey vom Waadtlande geſellten ſich republikaniſche<lb/>
Staatsmänner von gemäßigter bürgerlich-demokratiſcher Geſinnung, wie<lb/>
Munzinger von Solothurn, Furrer von Zürich, Näff von St. Gallen,<lb/>
Kern und Andere. Einheit oder Zerfall? —ſo ſtand die Frage. Der<lb/>
Ausgang des Krieges konnte kaum zweifelhaft ſei, da die Cantone der<lb/>
Zwölfermehrheit den Sonderbund von allen Seiten her umklammert hielten,<lb/>
an Geldmitteln und Kopfzahl ihn faſt um das Vierfache übertrafen; die<lb/>
Zeit war auch längſt dahin, da die vier Waldſtädte in den Schaaren ihrer<lb/>
kampferfahrenen alten Reisläufer die beſte kriegeriſche Kraft der Schweiz<lb/>
beſeſſen hatten.</p><lb/><p>Mit einer blinden Gehäſſigkeit, die an die Tage der Karlsbader<lb/>
Beſchlüſſe erinnerte, beurtheilten die Höfe von Wien, Berlin und Paris<lb/>
dieſe für Ausländer wahrlich ſchwer verſtändlichen ſchweizeriſchen Wirren.<lb/>
Der Czar hielt ſich etwas zurück, er wollte mit England nicht brechen,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[728/0742]
V. 10. Vorboten der europäiſchen Revolution.
zelnen Cantonen feindlichen Bünde ausdrücklich verbot, und noch mehr
der durch ſo viele bürgerliche Kriege theuer errungenen kirchlichen Parität.
Dieſelben Cantone, welche einſt den Kampf gegen Zwingli geführt und nach-
her unter Oeſterreichs Schutze den Borromäiſchen Bund geſtiftet hatten,
bildeten den Kern des neuen Sonderbundes, und an ihrer Spitze ſtanden
die fanatiſchen Luzerner Clericalen Siegwart Müller und Bernhard Meyer.
Es zeigte ſich wieder, daß die Schweiz in manchem Sinne das conſervativſte
Land Europas iſt; der Eidgenoſſenſchaft drohte ein Religionskrieg, wie er
bei anderen Völkern des Welttheils längſt nicht mehr möglich war. Wider
den Sonderbund bot nun die radicale Partei jedes Mittel auf; Bluntſchli
und ſeine Züricher Conſervativ-Liberalen unterlagen, für Vermittler war
kein Raum mehr, Ochſenbein und die radicalen Berner behaupteten die
Führung, und nach einer Staatsumwälzung im Canton St. Gallen ward
endlich die knappe Mehrheit der Tagſatzung für die Gegner des Sonder-
bundes gewonnen. Douze voix font loi, jubelten die Radicalen.
Die zwölf Stimmen der Mehrheit waren entſchloſſen, die Jeſuiten als
Störer des confeſſionellen Friedens aus der Eidgenoſſenſchaft zu vertreiben,
den Sonderbund aufzulöſen, die Bundesgewalt zu verſtärken. Zu ſo durch-
greifenden Beſchlüſſen verlangte aber das Bundesrecht Einſtimmigkeit oder
Dreiviertelmehrheit der Tagſatzung; hier wie im Deutſchen Bunde ward
jede ernſte geſetzliche Reform durch ein unvernünftiges Grundgeſetz ver-
hindert. Auf den Buchſtaben des Bundesrechts konnte ſich mithin keine
der beiden Parteien berufen; die Radicalen kämpften jedoch, was ſie auch
durch Parteihaß geſündigt haben mochten, für den berechtigten, conſervativen
Gedanken der ſchweizeriſchen Bundeseinheit, die durch den Sonderbund
unfehlbar zerſtört werden mußte. Darum boten auch, als der Bürger-
krieg nahte, der conſervative General Dufour von Genf und die gleich-
geſinnten Oberſten Burckhardt, Ziegler, Donats der radicalen Zwölfer-
mehrheit ſofort ihre Dienſte an; und zu den erklärten Radicalen, Ochſen-
bein von Bern, Druey vom Waadtlande geſellten ſich republikaniſche
Staatsmänner von gemäßigter bürgerlich-demokratiſcher Geſinnung, wie
Munzinger von Solothurn, Furrer von Zürich, Näff von St. Gallen,
Kern und Andere. Einheit oder Zerfall? — ſo ſtand die Frage. Der
Ausgang des Krieges konnte kaum zweifelhaft ſei, da die Cantone der
Zwölfermehrheit den Sonderbund von allen Seiten her umklammert hielten,
an Geldmitteln und Kopfzahl ihn faſt um das Vierfache übertrafen; die
Zeit war auch längſt dahin, da die vier Waldſtädte in den Schaaren ihrer
kampferfahrenen alten Reisläufer die beſte kriegeriſche Kraft der Schweiz
beſeſſen hatten.
Mit einer blinden Gehäſſigkeit, die an die Tage der Karlsbader
Beſchlüſſe erinnerte, beurtheilten die Höfe von Wien, Berlin und Paris
dieſe für Ausländer wahrlich ſchwer verſtändlichen ſchweizeriſchen Wirren.
Der Czar hielt ſich etwas zurück, er wollte mit England nicht brechen,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 728. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/742>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.