und nachträglich auch England zuziehen sollten. Keine Zugeständnisse! -- so lautete auch jetzt noch sein letztes Wort.*) Doch fast im selben Augen- blicke siegten die Constitutionellen auch in Neapel, in Florenz, und wenige Tage bevor sie in Frankreich ruhmlos unterging, wurde die Charte des Juli-Königthums in Turin als Statut des Königreichs Sardinien ausge- rufen. Die Fremdherrschaft auf der Halbinsel war der Vernichtung nahe. --
In Italien mußte Oesterreich jede nationale und liberale Regung niederdrücken um seinen alten, längst schon unhaltbaren Besitzstand zu vertheidigen. Wenn die Hofburg und die anderen Großmächte des Fest- lands aber auch in der Schweiz dieselben Gedanken nationaler Reform mit der äußersten Heftigkeit bekämpften, so konnten sie sich nicht mehr auf irgend eine Rücksicht politischer Zweckmäßigkeit berufen, sondern lediglich auf die starre Doctrin eines unbelehrbaren Legitimismus. Die inneren Verhältnisse des kleinen republikanischen Staatenbundes, der seit Jahr- hunderten eine Anomalie in dem monarchischen Europa bildete, bedeuteten für den Welttheil sehr wenig; eine nüchterne Politik durfte der Klugheits- regel nicht vergessen, die sich die Monsignoren des Vaticans nach so manchen Proben eidgenössischen Trotzes gebildet hatten: man muß die Schweizer bei ihren Bräuchen und Mißbräuchen lassen. In der Wiener Congreßacte (Art. 74) war ausdrücklich nur "die Integrität" der verbün- deten Cantone "als Grundlage des helvetischen Systems anerkannt" und der Eidgenossenschaft die Neutralität verbürgt worden. Die Mächte hatten damals die noch widerstrebenden Cantone aufgefordert, um des gemeinen Wohles willen sich der Bundesverfassung anzuschließen, und dafür den Dank "der schweizerischen Nation" entgegengenommen. Folglich konnte dieser schweizerischen Nation auch nicht verwehrt werden, ihre Bundes- verfassung umzugestalten und die Grenzen zwischen Bundesgewalt und Cantonalgewalt gesetzlich zu verändern, wenn nur die Integrität der Can- tone, die in Wahrheit Niemand anzutasten dachte, gewahrt blieb. Die Frage, wie weit die Souveränität der Cantone durch die Bundesgewalt beschränkt werden solle, war eine rein schweizerische Angelegenheit, und die Mächte hatten dabei ebenso wenig mitzusprechen, wie bei der deutschen Bundesreform, die ja auch nur durch Einschränkung der Territorial- gewalten möglich war. Gleichwohl bestand an den großen Höfen der Glaubenssatz, daß die traurige schweizerische Bundesverfassung mit ihrer schrankenlosen Cantönli-Souveränität eine unabänderliche Ordnung sei, so unzerstörbar wie der Contrat social der radicalen Doctrinäre.
Unverkennbar waltete über den scheinbar so verworrenen Parteikämpfen
*) Arnim's Bericht, Paris, 8. Febr. 1848.
Revolution in Italien.
und nachträglich auch England zuziehen ſollten. Keine Zugeſtändniſſe! — ſo lautete auch jetzt noch ſein letztes Wort.*) Doch faſt im ſelben Augen- blicke ſiegten die Conſtitutionellen auch in Neapel, in Florenz, und wenige Tage bevor ſie in Frankreich ruhmlos unterging, wurde die Charte des Juli-Königthums in Turin als Statut des Königreichs Sardinien ausge- rufen. Die Fremdherrſchaft auf der Halbinſel war der Vernichtung nahe. —
In Italien mußte Oeſterreich jede nationale und liberale Regung niederdrücken um ſeinen alten, längſt ſchon unhaltbaren Beſitzſtand zu vertheidigen. Wenn die Hofburg und die anderen Großmächte des Feſt- lands aber auch in der Schweiz dieſelben Gedanken nationaler Reform mit der äußerſten Heftigkeit bekämpften, ſo konnten ſie ſich nicht mehr auf irgend eine Rückſicht politiſcher Zweckmäßigkeit berufen, ſondern lediglich auf die ſtarre Doctrin eines unbelehrbaren Legitimismus. Die inneren Verhältniſſe des kleinen republikaniſchen Staatenbundes, der ſeit Jahr- hunderten eine Anomalie in dem monarchiſchen Europa bildete, bedeuteten für den Welttheil ſehr wenig; eine nüchterne Politik durfte der Klugheits- regel nicht vergeſſen, die ſich die Monſignoren des Vaticans nach ſo manchen Proben eidgenöſſiſchen Trotzes gebildet hatten: man muß die Schweizer bei ihren Bräuchen und Mißbräuchen laſſen. In der Wiener Congreßacte (Art. 74) war ausdrücklich nur „die Integrität“ der verbün- deten Cantone „als Grundlage des helvetiſchen Syſtems anerkannt“ und der Eidgenoſſenſchaft die Neutralität verbürgt worden. Die Mächte hatten damals die noch widerſtrebenden Cantone aufgefordert, um des gemeinen Wohles willen ſich der Bundesverfaſſung anzuſchließen, und dafür den Dank „der ſchweizeriſchen Nation“ entgegengenommen. Folglich konnte dieſer ſchweizeriſchen Nation auch nicht verwehrt werden, ihre Bundes- verfaſſung umzugeſtalten und die Grenzen zwiſchen Bundesgewalt und Cantonalgewalt geſetzlich zu verändern, wenn nur die Integrität der Can- tone, die in Wahrheit Niemand anzutaſten dachte, gewahrt blieb. Die Frage, wie weit die Souveränität der Cantone durch die Bundesgewalt beſchränkt werden ſolle, war eine rein ſchweizeriſche Angelegenheit, und die Mächte hatten dabei ebenſo wenig mitzuſprechen, wie bei der deutſchen Bundesreform, die ja auch nur durch Einſchränkung der Territorial- gewalten möglich war. Gleichwohl beſtand an den großen Höfen der Glaubensſatz, daß die traurige ſchweizeriſche Bundesverfaſſung mit ihrer ſchrankenloſen Cantönli-Souveränität eine unabänderliche Ordnung ſei, ſo unzerſtörbar wie der Contrat ſocial der radicalen Doctrinäre.
Unverkennbar waltete über den ſcheinbar ſo verworrenen Parteikämpfen
*) Arnim’s Bericht, Paris, 8. Febr. 1848.
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Revolution in Italien.
und nachträglich auch England zuziehen ſollten. Keine Zugeſtändniſſe! —
ſo lautete auch jetzt noch ſein letztes Wort. *) Doch faſt im ſelben Augen-
blicke ſiegten die Conſtitutionellen auch in Neapel, in Florenz, und wenige
Tage bevor ſie in Frankreich ruhmlos unterging, wurde die Charte des
Juli-Königthums in Turin als Statut des Königreichs Sardinien ausge-
rufen. Die Fremdherrſchaft auf der Halbinſel war der Vernichtung nahe. —
In Italien mußte Oeſterreich jede nationale und liberale Regung
niederdrücken um ſeinen alten, längſt ſchon unhaltbaren Beſitzſtand zu
vertheidigen. Wenn die Hofburg und die anderen Großmächte des Feſt-
lands aber auch in der Schweiz dieſelben Gedanken nationaler Reform
mit der äußerſten Heftigkeit bekämpften, ſo konnten ſie ſich nicht mehr auf
irgend eine Rückſicht politiſcher Zweckmäßigkeit berufen, ſondern lediglich
auf die ſtarre Doctrin eines unbelehrbaren Legitimismus. Die inneren
Verhältniſſe des kleinen republikaniſchen Staatenbundes, der ſeit Jahr-
hunderten eine Anomalie in dem monarchiſchen Europa bildete, bedeuteten
für den Welttheil ſehr wenig; eine nüchterne Politik durfte der Klugheits-
regel nicht vergeſſen, die ſich die Monſignoren des Vaticans nach ſo
manchen Proben eidgenöſſiſchen Trotzes gebildet hatten: man muß die
Schweizer bei ihren Bräuchen und Mißbräuchen laſſen. In der Wiener
Congreßacte (Art. 74) war ausdrücklich nur „die Integrität“ der verbün-
deten Cantone „als Grundlage des helvetiſchen Syſtems anerkannt“ und
der Eidgenoſſenſchaft die Neutralität verbürgt worden. Die Mächte hatten
damals die noch widerſtrebenden Cantone aufgefordert, um des gemeinen
Wohles willen ſich der Bundesverfaſſung anzuſchließen, und dafür den
Dank „der ſchweizeriſchen Nation“ entgegengenommen. Folglich konnte
dieſer ſchweizeriſchen Nation auch nicht verwehrt werden, ihre Bundes-
verfaſſung umzugeſtalten und die Grenzen zwiſchen Bundesgewalt und
Cantonalgewalt geſetzlich zu verändern, wenn nur die Integrität der Can-
tone, die in Wahrheit Niemand anzutaſten dachte, gewahrt blieb. Die
Frage, wie weit die Souveränität der Cantone durch die Bundesgewalt
beſchränkt werden ſolle, war eine rein ſchweizeriſche Angelegenheit, und
die Mächte hatten dabei ebenſo wenig mitzuſprechen, wie bei der deutſchen
Bundesreform, die ja auch nur durch Einſchränkung der Territorial-
gewalten möglich war. Gleichwohl beſtand an den großen Höfen der
Glaubensſatz, daß die traurige ſchweizeriſche Bundesverfaſſung mit ihrer
ſchrankenloſen Cantönli-Souveränität eine unabänderliche Ordnung ſei,
ſo unzerſtörbar wie der Contrat ſocial der radicalen Doctrinäre.
Unverkennbar waltete über den ſcheinbar ſo verworrenen Parteikämpfen
*) Arnim’s Bericht, Paris, 8. Febr. 1848.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 725. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/739>, abgerufen am 22.11.2024.
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