römischer Strenge seine Landsleute zu sittlicher Ermannung, zu kriegerischer Abhärtung, Massimo d'Azeglio verlangte angesichts der Unruhen in der päpstlichen Romagna verständige Reformen in Rechtspflege und Polizei- verwaltung.
Nun fügte es ein ironisches Spiel des Schicksals, daß alle die seltsamen Träume der Neoguelfen sich plötzlich zu erfüllen schienen. Nach dem Tode Gregor's XVI., im Sommer 1846 bestieg Cardinal Mastai Ferretti als Pius IX. den römischen Stuhl, ein weichmüthiger, wohlwollender, eitler, ge- dankenarmer Mann von schwachem politischem Verstande, italienisch gesinnt so weit ein Papst es durfte, ehrlich gemeint mit aller Welt in Frieden zu leben. Er begann seine Regierung mit einer hochherzigen Amnestie, und da die Erscheinung eines Papstes, der seine Feinde nicht auf die Galeeren schickte, seit Langem unerhört war, so entwarf sich die ungeduldige Nation als- bald ein Idealbild von dem liberalen und nationalen Papste, ganz so wie die Deutschen sich den alten Erzherzog Johann wegen eines halbmythischen Trinkspruchs idealisirt hatten. Seit jenem Tage, da die Amnestirten mit Palmenzweigen in den Händen den Wagen des "Engels der Freiheit" durch den festlich geschmückten Corso geleiteten, lebte Rom anderthalb Jahre hindurch wie in einem ewigen Rausche. Immer wieder führte der Pöbelkönig, der Vetturin Ciceruacchio mit der dreifarbigen Fahne sein Römervolk dem vergötterten Pontifex vor. Auch die Fremden widerstanden dem allgemeinen Taumel nicht; einmal trug der Sohn des Historikers, Marcus Niebuhr, der bei König Friedrich Wilhelm in besonderer Gnade stand, an der Spitze der deutschen Colonie die schwarzrothgoldene Fahne feierlich auf das Capitol. Der Ruf Evviva Pio Nono wurde bald zum Losungsworte aller Patrioten. Metternich klagte, dieser Hohepriester würfe den Pechkranz in das Gebäude der socialen Ordnung, und nicht lange, so erschien sogar ein Gesandter des liberalen Sultans um dem liberalen Papste die Verehrung des Großtürken auszusprechen.
Bisher hatte Pius nur einmal die Gelegenheit gehabt einen politischen Entschluß zu fassen: vor langen Jahren schon, da er als Bischof in der Ro- magna den Umsturzplänen der jungen Prinzen Napoleon tapfer entgegen- getreten war. Jetzt stand er, obwohl ihm die Kundgebungen der Volksgunst in tiefster Seele schmeichelten, ängstlich und rathlos vor schweren Aufgaben, welche weit über das Maß seiner Begabung hinausgingen. Wer hätte damals geahnt, daß aus diesem guten Manne dereinst noch der hochmüthigste aller Päpste werden sollte? Er ahnte dunkel, daß einige Reformen unvermeidlich waren, etwa im Sinne des Bunsen'schen Memorandums vom Jahre 1831, das die großen Mächte dem römischen Stuhle so oft zur Beherzigung vor- gehalten hatten*); doch er war Papst und durfte den Laien niemals in vollem Ernst die Gleichberechtigung mit den Priestern gewähren. Noch
*) S. o. IV. 68.
Italiens Erhebung. Pius IX.
römiſcher Strenge ſeine Landsleute zu ſittlicher Ermannung, zu kriegeriſcher Abhärtung, Maſſimo d’Azeglio verlangte angeſichts der Unruhen in der päpſtlichen Romagna verſtändige Reformen in Rechtspflege und Polizei- verwaltung.
Nun fügte es ein ironiſches Spiel des Schickſals, daß alle die ſeltſamen Träume der Neoguelfen ſich plötzlich zu erfüllen ſchienen. Nach dem Tode Gregor’s XVI., im Sommer 1846 beſtieg Cardinal Maſtai Ferretti als Pius IX. den römiſchen Stuhl, ein weichmüthiger, wohlwollender, eitler, ge- dankenarmer Mann von ſchwachem politiſchem Verſtande, italieniſch geſinnt ſo weit ein Papſt es durfte, ehrlich gemeint mit aller Welt in Frieden zu leben. Er begann ſeine Regierung mit einer hochherzigen Amneſtie, und da die Erſcheinung eines Papſtes, der ſeine Feinde nicht auf die Galeeren ſchickte, ſeit Langem unerhört war, ſo entwarf ſich die ungeduldige Nation als- bald ein Idealbild von dem liberalen und nationalen Papſte, ganz ſo wie die Deutſchen ſich den alten Erzherzog Johann wegen eines halbmythiſchen Trinkſpruchs idealiſirt hatten. Seit jenem Tage, da die Amneſtirten mit Palmenzweigen in den Händen den Wagen des „Engels der Freiheit“ durch den feſtlich geſchmückten Corſo geleiteten, lebte Rom anderthalb Jahre hindurch wie in einem ewigen Rauſche. Immer wieder führte der Pöbelkönig, der Vetturin Ciceruacchio mit der dreifarbigen Fahne ſein Römervolk dem vergötterten Pontifex vor. Auch die Fremden widerſtanden dem allgemeinen Taumel nicht; einmal trug der Sohn des Hiſtorikers, Marcus Niebuhr, der bei König Friedrich Wilhelm in beſonderer Gnade ſtand, an der Spitze der deutſchen Colonie die ſchwarzrothgoldene Fahne feierlich auf das Capitol. Der Ruf Evviva Pio Nono wurde bald zum Loſungsworte aller Patrioten. Metternich klagte, dieſer Hoheprieſter würfe den Pechkranz in das Gebäude der ſocialen Ordnung, und nicht lange, ſo erſchien ſogar ein Geſandter des liberalen Sultans um dem liberalen Papſte die Verehrung des Großtürken auszuſprechen.
Bisher hatte Pius nur einmal die Gelegenheit gehabt einen politiſchen Entſchluß zu faſſen: vor langen Jahren ſchon, da er als Biſchof in der Ro- magna den Umſturzplänen der jungen Prinzen Napoleon tapfer entgegen- getreten war. Jetzt ſtand er, obwohl ihm die Kundgebungen der Volksgunſt in tiefſter Seele ſchmeichelten, ängſtlich und rathlos vor ſchweren Aufgaben, welche weit über das Maß ſeiner Begabung hinausgingen. Wer hätte damals geahnt, daß aus dieſem guten Manne dereinſt noch der hochmüthigſte aller Päpſte werden ſollte? Er ahnte dunkel, daß einige Reformen unvermeidlich waren, etwa im Sinne des Bunſen’ſchen Memorandums vom Jahre 1831, das die großen Mächte dem römiſchen Stuhle ſo oft zur Beherzigung vor- gehalten hatten*); doch er war Papſt und durfte den Laien niemals in vollem Ernſt die Gleichberechtigung mit den Prieſtern gewähren. Noch
*) S. o. IV. 68.
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Italiens Erhebung. Pius IX.
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Abhärtung, Maſſimo d’Azeglio verlangte angeſichts der Unruhen in der
päpſtlichen Romagna verſtändige Reformen in Rechtspflege und Polizei-
verwaltung.
Nun fügte es ein ironiſches Spiel des Schickſals, daß alle die ſeltſamen
Träume der Neoguelfen ſich plötzlich zu erfüllen ſchienen. Nach dem Tode
Gregor’s XVI., im Sommer 1846 beſtieg Cardinal Maſtai Ferretti als
Pius IX. den römiſchen Stuhl, ein weichmüthiger, wohlwollender, eitler, ge-
dankenarmer Mann von ſchwachem politiſchem Verſtande, italieniſch geſinnt
ſo weit ein Papſt es durfte, ehrlich gemeint mit aller Welt in Frieden zu leben.
Er begann ſeine Regierung mit einer hochherzigen Amneſtie, und da die
Erſcheinung eines Papſtes, der ſeine Feinde nicht auf die Galeeren ſchickte,
ſeit Langem unerhört war, ſo entwarf ſich die ungeduldige Nation als-
bald ein Idealbild von dem liberalen und nationalen Papſte, ganz ſo wie
die Deutſchen ſich den alten Erzherzog Johann wegen eines halbmythiſchen
Trinkſpruchs idealiſirt hatten. Seit jenem Tage, da die Amneſtirten mit
Palmenzweigen in den Händen den Wagen des „Engels der Freiheit“
durch den feſtlich geſchmückten Corſo geleiteten, lebte Rom anderthalb
Jahre hindurch wie in einem ewigen Rauſche. Immer wieder führte der
Pöbelkönig, der Vetturin Ciceruacchio mit der dreifarbigen Fahne ſein
Römervolk dem vergötterten Pontifex vor. Auch die Fremden widerſtanden
dem allgemeinen Taumel nicht; einmal trug der Sohn des Hiſtorikers,
Marcus Niebuhr, der bei König Friedrich Wilhelm in beſonderer Gnade
ſtand, an der Spitze der deutſchen Colonie die ſchwarzrothgoldene Fahne
feierlich auf das Capitol. Der Ruf Evviva Pio Nono wurde bald zum
Loſungsworte aller Patrioten. Metternich klagte, dieſer Hoheprieſter würfe
den Pechkranz in das Gebäude der ſocialen Ordnung, und nicht lange,
ſo erſchien ſogar ein Geſandter des liberalen Sultans um dem liberalen
Papſte die Verehrung des Großtürken auszuſprechen.
Bisher hatte Pius nur einmal die Gelegenheit gehabt einen politiſchen
Entſchluß zu faſſen: vor langen Jahren ſchon, da er als Biſchof in der Ro-
magna den Umſturzplänen der jungen Prinzen Napoleon tapfer entgegen-
getreten war. Jetzt ſtand er, obwohl ihm die Kundgebungen der Volksgunſt
in tiefſter Seele ſchmeichelten, ängſtlich und rathlos vor ſchweren Aufgaben,
welche weit über das Maß ſeiner Begabung hinausgingen. Wer hätte damals
geahnt, daß aus dieſem guten Manne dereinſt noch der hochmüthigſte aller
Päpſte werden ſollte? Er ahnte dunkel, daß einige Reformen unvermeidlich
waren, etwa im Sinne des Bunſen’ſchen Memorandums vom Jahre 1831,
das die großen Mächte dem römiſchen Stuhle ſo oft zur Beherzigung vor-
gehalten hatten *); doch er war Papſt und durfte den Laien niemals in
vollem Ernſt die Gleichberechtigung mit den Prieſtern gewähren. Noch
*) S. o. IV. 68.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 717. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/731>, abgerufen am 22.11.2024.
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