nicht sicher, und da der Czar mit dem Papste die Eigenthümlichkeit theilte, daß die Nationen ihn um so mehr verehrten, je weiter sie von ihm entfernt lebten, so wurde Böhmen die Pflanzstätte des Panslavismus. Mit der Begeisterung für die Wenzelskrone und den weißen Löwen verbanden sich unklare Träume von der unermeßlichen Zukunft der großen slavischen Völkerfamilie, die jetzt erst ihren Morgen erlebe, während die Deutschen schon in das Mittagslicht, die Romanen schon in die Abenddämmerung ihrer Geschichte eingetreten seien. Derweil dieser nationale Kampf den Landfrieden bedrohte, fanden sich die beiden feindlichen Völker in den libe- ralen Zeitwünschen doch immer wieder zusammen. Der Prager Landtag forderte Reform des Hypothekenwesens, Ablösung der Roboten, Aufhebung des Lotto's, ja sogar eine sehr bescheidene Preßfreiheit, er wagte mehrmals seine Beschwerden durch Abgesandte dem Kaiser selbst zu überreichen, was seit einem halben Jahrhundert nicht mehr geschehen war. Solche Lebens- zeichen der alten, schon ganz todt geglaubten Postulatenlandtage erschreck- ten den Staatskanzler, und er beschäftigte sich wieder mit der Frage, die er schon vor dreißig Jahren aufgeworfen hatte, ob man nicht den Ständen aller Kronländer in einem kleinen Ausschusse eine unschädliche gemeinsame Vertretung schaffen müsse. Doch auch jetzt wagte er nicht den alten Gedanken zu verwirklichen.
Das Alles bedeutete noch wenig neben dem Sturme der nationalen Leidenschaften, der die Länder der Stephanskrone durchtoste und die waffen- gewaltigere Hälfte der Monarchie von dem Kaiserstaate loszureißen drohte. Obgleich Metternich seit seiner Ehe mit Melanie Zichy den ungarischen Magnaten etwas näher getreten war, so hielt er doch nie für nöthig die Nationalitäten des Kaiserreichs in ihrer Eigenart kennen zu lernen; er urtheilte über die subgermanischen "Bedientenvölker" mit demselben ver- ständnißlosen Hochmuth wie die Wiener Possendichter, die jeden Ungarn als einen Tölpel, jeden Czechen als einen kriechenden Schuft verhöhnten. Dem preußischen Gesandten sagte Metternich oft: eingefleischte Dummheit ist der eigentliche Nationalcharakter der Ungarn. Und doch verstand der in langen Kämpfen parlamentarisch geschulte magyarische Adel sein Ueber- gewicht über die anderen Völker der Stephanskrone mit maßlosem natio- nalem Hochmuthe und zugleich mit der erfahrenen Klugheit eines Herren- volkes zu behaupten. Weder die Südslaven in den Nebenlanden, die schon von einem dreieinigen Königreich Illyrien träumten, noch die Slovaken in den Karpathen noch die Deutschen zeigten sich der magyarischen Herrscherkunst gewachsen. Nur die treuen protestantischen Sachsen Siebenbürgens und die Kolonisten im Banat hielten fest an ihrem deutschen Volksthum, die Schwaben des westlichen Ungarns hatten sich allezeit durch fremdbrüder- lichen Schwachsinn ausgezeichnet. Die Juden aber, die hier im Lande der wirthschaftlichen Sorglosigkeit für unentbehrlich galten, witterten schon woher der Wind wehte und drängten sich an die Magyaren heran.
Die Czechen.
nicht ſicher, und da der Czar mit dem Papſte die Eigenthümlichkeit theilte, daß die Nationen ihn um ſo mehr verehrten, je weiter ſie von ihm entfernt lebten, ſo wurde Böhmen die Pflanzſtätte des Panſlavismus. Mit der Begeiſterung für die Wenzelskrone und den weißen Löwen verbanden ſich unklare Träume von der unermeßlichen Zukunft der großen ſlaviſchen Völkerfamilie, die jetzt erſt ihren Morgen erlebe, während die Deutſchen ſchon in das Mittagslicht, die Romanen ſchon in die Abenddämmerung ihrer Geſchichte eingetreten ſeien. Derweil dieſer nationale Kampf den Landfrieden bedrohte, fanden ſich die beiden feindlichen Völker in den libe- ralen Zeitwünſchen doch immer wieder zuſammen. Der Prager Landtag forderte Reform des Hypothekenweſens, Ablöſung der Roboten, Aufhebung des Lotto’s, ja ſogar eine ſehr beſcheidene Preßfreiheit, er wagte mehrmals ſeine Beſchwerden durch Abgeſandte dem Kaiſer ſelbſt zu überreichen, was ſeit einem halben Jahrhundert nicht mehr geſchehen war. Solche Lebens- zeichen der alten, ſchon ganz todt geglaubten Poſtulatenlandtage erſchreck- ten den Staatskanzler, und er beſchäftigte ſich wieder mit der Frage, die er ſchon vor dreißig Jahren aufgeworfen hatte, ob man nicht den Ständen aller Kronländer in einem kleinen Ausſchuſſe eine unſchädliche gemeinſame Vertretung ſchaffen müſſe. Doch auch jetzt wagte er nicht den alten Gedanken zu verwirklichen.
Das Alles bedeutete noch wenig neben dem Sturme der nationalen Leidenſchaften, der die Länder der Stephanskrone durchtoſte und die waffen- gewaltigere Hälfte der Monarchie von dem Kaiſerſtaate loszureißen drohte. Obgleich Metternich ſeit ſeiner Ehe mit Melanie Zichy den ungariſchen Magnaten etwas näher getreten war, ſo hielt er doch nie für nöthig die Nationalitäten des Kaiſerreichs in ihrer Eigenart kennen zu lernen; er urtheilte über die ſubgermaniſchen „Bedientenvölker“ mit demſelben ver- ſtändnißloſen Hochmuth wie die Wiener Poſſendichter, die jeden Ungarn als einen Tölpel, jeden Czechen als einen kriechenden Schuft verhöhnten. Dem preußiſchen Geſandten ſagte Metternich oft: eingefleiſchte Dummheit iſt der eigentliche Nationalcharakter der Ungarn. Und doch verſtand der in langen Kämpfen parlamentariſch geſchulte magyariſche Adel ſein Ueber- gewicht über die anderen Völker der Stephanskrone mit maßloſem natio- nalem Hochmuthe und zugleich mit der erfahrenen Klugheit eines Herren- volkes zu behaupten. Weder die Südſlaven in den Nebenlanden, die ſchon von einem dreieinigen Königreich Illyrien träumten, noch die Slovaken in den Karpathen noch die Deutſchen zeigten ſich der magyariſchen Herrſcherkunſt gewachſen. Nur die treuen proteſtantiſchen Sachſen Siebenbürgens und die Koloniſten im Banat hielten feſt an ihrem deutſchen Volksthum, die Schwaben des weſtlichen Ungarns hatten ſich allezeit durch fremdbrüder- lichen Schwachſinn ausgezeichnet. Die Juden aber, die hier im Lande der wirthſchaftlichen Sorgloſigkeit für unentbehrlich galten, witterten ſchon woher der Wind wehte und drängten ſich an die Magyaren heran.
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Die Czechen.
nicht ſicher, und da der Czar mit dem Papſte die Eigenthümlichkeit theilte,
daß die Nationen ihn um ſo mehr verehrten, je weiter ſie von ihm entfernt
lebten, ſo wurde Böhmen die Pflanzſtätte des Panſlavismus. Mit der
Begeiſterung für die Wenzelskrone und den weißen Löwen verbanden ſich
unklare Träume von der unermeßlichen Zukunft der großen ſlaviſchen
Völkerfamilie, die jetzt erſt ihren Morgen erlebe, während die Deutſchen
ſchon in das Mittagslicht, die Romanen ſchon in die Abenddämmerung
ihrer Geſchichte eingetreten ſeien. Derweil dieſer nationale Kampf den
Landfrieden bedrohte, fanden ſich die beiden feindlichen Völker in den libe-
ralen Zeitwünſchen doch immer wieder zuſammen. Der Prager Landtag
forderte Reform des Hypothekenweſens, Ablöſung der Roboten, Aufhebung
des Lotto’s, ja ſogar eine ſehr beſcheidene Preßfreiheit, er wagte mehrmals
ſeine Beſchwerden durch Abgeſandte dem Kaiſer ſelbſt zu überreichen, was
ſeit einem halben Jahrhundert nicht mehr geſchehen war. Solche Lebens-
zeichen der alten, ſchon ganz todt geglaubten Poſtulatenlandtage erſchreck-
ten den Staatskanzler, und er beſchäftigte ſich wieder mit der Frage,
die er ſchon vor dreißig Jahren aufgeworfen hatte, ob man nicht den
Ständen aller Kronländer in einem kleinen Ausſchuſſe eine unſchädliche
gemeinſame Vertretung ſchaffen müſſe. Doch auch jetzt wagte er nicht
den alten Gedanken zu verwirklichen.
Das Alles bedeutete noch wenig neben dem Sturme der nationalen
Leidenſchaften, der die Länder der Stephanskrone durchtoſte und die waffen-
gewaltigere Hälfte der Monarchie von dem Kaiſerſtaate loszureißen drohte.
Obgleich Metternich ſeit ſeiner Ehe mit Melanie Zichy den ungariſchen
Magnaten etwas näher getreten war, ſo hielt er doch nie für nöthig die
Nationalitäten des Kaiſerreichs in ihrer Eigenart kennen zu lernen; er
urtheilte über die ſubgermaniſchen „Bedientenvölker“ mit demſelben ver-
ſtändnißloſen Hochmuth wie die Wiener Poſſendichter, die jeden Ungarn
als einen Tölpel, jeden Czechen als einen kriechenden Schuft verhöhnten.
Dem preußiſchen Geſandten ſagte Metternich oft: eingefleiſchte Dummheit
iſt der eigentliche Nationalcharakter der Ungarn. Und doch verſtand der
in langen Kämpfen parlamentariſch geſchulte magyariſche Adel ſein Ueber-
gewicht über die anderen Völker der Stephanskrone mit maßloſem natio-
nalem Hochmuthe und zugleich mit der erfahrenen Klugheit eines Herren-
volkes zu behaupten. Weder die Südſlaven in den Nebenlanden, die ſchon
von einem dreieinigen Königreich Illyrien träumten, noch die Slovaken in
den Karpathen noch die Deutſchen zeigten ſich der magyariſchen Herrſcherkunſt
gewachſen. Nur die treuen proteſtantiſchen Sachſen Siebenbürgens und
die Koloniſten im Banat hielten feſt an ihrem deutſchen Volksthum, die
Schwaben des weſtlichen Ungarns hatten ſich allezeit durch fremdbrüder-
lichen Schwachſinn ausgezeichnet. Die Juden aber, die hier im Lande
der wirthſchaftlichen Sorgloſigkeit für unentbehrlich galten, witterten ſchon
woher der Wind wehte und drängten ſich an die Magyaren heran.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 713. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/727>, abgerufen am 23.07.2024.
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