In seinem blinden Zorne verfiel Palmerston sogar auf den unge- heuerlichen Gedanken, die Ostmächte zur Vertheidigung des Utrechter Ver- trages, den er selber einst frevelhaft zerrissen hatte, aufzufordern; sie sollten gemeinsam mit England erklären, das Haus Montpensier dürfe nie die spanische Krone tragen, die sich vielmehr fortan wieder nach dem salischen Gesetze im Mannesstamme des neuen Scheinkönigs vererben müsse!*) Das salische Gesetz erst unter allen Gräueln des Bürgerkrieges aufheben und es dann für die unberechtigte Weiberlinie wieder einführen -- das nannte man im frommen England Recht! Nicht ohne Ironie nahmen die Höfe des Ostens diese wundersame Einladung auf. Sie waren dem Utrechter Frieden nur allzu treu geblieben und hatten das Thronfolgerecht Isabella's noch immer nicht anerkannt. Wenn aber Pal- merston jetzt behauptete, die spanische Doppelheirath sei das Frechste, was Frankreichs Ländergier seit dem ersten Napoleon je gewagt, so konnten solche Uebertreibungen doch nur Lächeln erregen; denn der Herzog von Montpensier war der jüngste von fünf Brüdern, die zum Theil schon Söhne besaßen, also lag die Möglichkeit, daß die Kronen Frankreichs und Spaniens jemals auf einem Haupte vereinigt würden, noch ganz außer- halb aller menschlichen Berechnung.
Der Czar, der von jeher die spanischen Wirren gering schätzte, meinte hochmüthig: dieser Hochzeitszwist biete doch keinen Anlaß, um jetzt die illegitime Isabella anzuerkennen, und sein Nesselrode witterte sogleich heraus, daß der befremdliche Annäherungsversuch des englischen Hofes seinen Grund allein in Palmerston's augenblicklicher Gereiztheit hätte.**) Fast noch kühler hielt sich Metternich. Der wollte, wie Canitz bald errieth, in Krakau als Löwe, in Spanien als Lamm auftreten, um den Bürgerkönig nur desto fester an sich zu ketten und in Italien wie in der Schweiz gemeinsam mit Frankreich zu handeln; er bewahrte also, wie er sich selbst rühmte, eine verständig abwartende Haltung.***)
Etwas bereitwilliger zeigte sich der Berliner Hof, dem der getreue Bunsen andächtig berichtete: in Spanien mächtig, würde Frankreich auch am Po und am Rhein anmaßend auftreten, so versicherten alle englischen Minister.+) Die Hoffnung auf die traumhafte englische Allianz war gerade jetzt in Berlin sehr lebendig; immer wieder sprach Canitz in seinen Weisungen von der Erneuerung des alten Vierbundes.++) Der König er- klärte sehr lebhaft: "Montpensier's Kinder werden Orleans und Mont- pensiers und keine Infanten von Spanien sein; folglich können sie recht- lich nie in Spanien folgen;" er ließ sich sodann noch durch Leopold Ranke
*) Bunsen's Bericht, 26. Oct. 1846.
**) Rochow's Berichte, 22. Sept., 14. Dec. 1846.
***) Canitz an Rochow, 6. Dec. 1846.
+) Bunsen's Bericht, 11. Sept. 1846.
++) Canitz an Rochow, 6. Dec., an H. v. Arnim in Paris, 13. Dec. 1846.
V. 10. Vorboten der europäiſchen Revolution.
In ſeinem blinden Zorne verfiel Palmerſton ſogar auf den unge- heuerlichen Gedanken, die Oſtmächte zur Vertheidigung des Utrechter Ver- trages, den er ſelber einſt frevelhaft zerriſſen hatte, aufzufordern; ſie ſollten gemeinſam mit England erklären, das Haus Montpenſier dürfe nie die ſpaniſche Krone tragen, die ſich vielmehr fortan wieder nach dem ſaliſchen Geſetze im Mannesſtamme des neuen Scheinkönigs vererben müſſe!*) Das ſaliſche Geſetz erſt unter allen Gräueln des Bürgerkrieges aufheben und es dann für die unberechtigte Weiberlinie wieder einführen — das nannte man im frommen England Recht! Nicht ohne Ironie nahmen die Höfe des Oſtens dieſe wunderſame Einladung auf. Sie waren dem Utrechter Frieden nur allzu treu geblieben und hatten das Thronfolgerecht Iſabella’s noch immer nicht anerkannt. Wenn aber Pal- merſton jetzt behauptete, die ſpaniſche Doppelheirath ſei das Frechſte, was Frankreichs Ländergier ſeit dem erſten Napoleon je gewagt, ſo konnten ſolche Uebertreibungen doch nur Lächeln erregen; denn der Herzog von Montpenſier war der jüngſte von fünf Brüdern, die zum Theil ſchon Söhne beſaßen, alſo lag die Möglichkeit, daß die Kronen Frankreichs und Spaniens jemals auf einem Haupte vereinigt würden, noch ganz außer- halb aller menſchlichen Berechnung.
Der Czar, der von jeher die ſpaniſchen Wirren gering ſchätzte, meinte hochmüthig: dieſer Hochzeitszwiſt biete doch keinen Anlaß, um jetzt die illegitime Iſabella anzuerkennen, und ſein Neſſelrode witterte ſogleich heraus, daß der befremdliche Annäherungsverſuch des engliſchen Hofes ſeinen Grund allein in Palmerſton’s augenblicklicher Gereiztheit hätte.**) Faſt noch kühler hielt ſich Metternich. Der wollte, wie Canitz bald errieth, in Krakau als Löwe, in Spanien als Lamm auftreten, um den Bürgerkönig nur deſto feſter an ſich zu ketten und in Italien wie in der Schweiz gemeinſam mit Frankreich zu handeln; er bewahrte alſo, wie er ſich ſelbſt rühmte, eine verſtändig abwartende Haltung.***)
Etwas bereitwilliger zeigte ſich der Berliner Hof, dem der getreue Bunſen andächtig berichtete: in Spanien mächtig, würde Frankreich auch am Po und am Rhein anmaßend auftreten, ſo verſicherten alle engliſchen Miniſter.†) Die Hoffnung auf die traumhafte engliſche Allianz war gerade jetzt in Berlin ſehr lebendig; immer wieder ſprach Canitz in ſeinen Weiſungen von der Erneuerung des alten Vierbundes.††) Der König er- klärte ſehr lebhaft: „Montpenſier’s Kinder werden Orleans und Mont- penſiers und keine Infanten von Spanien ſein; folglich können ſie recht- lich nie in Spanien folgen;“ er ließ ſich ſodann noch durch Leopold Ranke
*) Bunſen’s Bericht, 26. Oct. 1846.
**) Rochow’s Berichte, 22. Sept., 14. Dec. 1846.
***) Canitz an Rochow, 6. Dec. 1846.
†) Bunſen’s Bericht, 11. Sept. 1846.
††) Canitz an Rochow, 6. Dec., an H. v. Arnim in Paris, 13. Dec. 1846.
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In ſeinem blinden Zorne verfiel Palmerſton ſogar auf den unge-
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trages, den er ſelber einſt frevelhaft zerriſſen hatte, aufzufordern; ſie
ſollten gemeinſam mit England erklären, das Haus Montpenſier dürfe
nie die ſpaniſche Krone tragen, die ſich vielmehr fortan wieder nach dem
ſaliſchen Geſetze im Mannesſtamme des neuen Scheinkönigs vererben
müſſe! *) Das ſaliſche Geſetz erſt unter allen Gräueln des Bürgerkrieges
aufheben und es dann für die unberechtigte Weiberlinie wieder einführen
— das nannte man im frommen England Recht! Nicht ohne Ironie
nahmen die Höfe des Oſtens dieſe wunderſame Einladung auf. Sie
waren dem Utrechter Frieden nur allzu treu geblieben und hatten das
Thronfolgerecht Iſabella’s noch immer nicht anerkannt. Wenn aber Pal-
merſton jetzt behauptete, die ſpaniſche Doppelheirath ſei das Frechſte, was
Frankreichs Ländergier ſeit dem erſten Napoleon je gewagt, ſo konnten
ſolche Uebertreibungen doch nur Lächeln erregen; denn der Herzog von
Montpenſier war der jüngſte von fünf Brüdern, die zum Theil ſchon
Söhne beſaßen, alſo lag die Möglichkeit, daß die Kronen Frankreichs und
Spaniens jemals auf einem Haupte vereinigt würden, noch ganz außer-
halb aller menſchlichen Berechnung.
Der Czar, der von jeher die ſpaniſchen Wirren gering ſchätzte, meinte
hochmüthig: dieſer Hochzeitszwiſt biete doch keinen Anlaß, um jetzt die
illegitime Iſabella anzuerkennen, und ſein Neſſelrode witterte ſogleich heraus,
daß der befremdliche Annäherungsverſuch des engliſchen Hofes ſeinen Grund
allein in Palmerſton’s augenblicklicher Gereiztheit hätte. **) Faſt noch kühler
hielt ſich Metternich. Der wollte, wie Canitz bald errieth, in Krakau als
Löwe, in Spanien als Lamm auftreten, um den Bürgerkönig nur deſto
feſter an ſich zu ketten und in Italien wie in der Schweiz gemeinſam
mit Frankreich zu handeln; er bewahrte alſo, wie er ſich ſelbſt rühmte,
eine verſtändig abwartende Haltung. ***)
Etwas bereitwilliger zeigte ſich der Berliner Hof, dem der getreue
Bunſen andächtig berichtete: in Spanien mächtig, würde Frankreich auch
am Po und am Rhein anmaßend auftreten, ſo verſicherten alle engliſchen
Miniſter. †) Die Hoffnung auf die traumhafte engliſche Allianz war
gerade jetzt in Berlin ſehr lebendig; immer wieder ſprach Canitz in ſeinen
Weiſungen von der Erneuerung des alten Vierbundes. ††) Der König er-
klärte ſehr lebhaft: „Montpenſier’s Kinder werden Orleans und Mont-
penſiers und keine Infanten von Spanien ſein; folglich können ſie recht-
lich nie in Spanien folgen;“ er ließ ſich ſodann noch durch Leopold Ranke
*) Bunſen’s Bericht, 26. Oct. 1846.
**) Rochow’s Berichte, 22. Sept., 14. Dec. 1846.
***) Canitz an Rochow, 6. Dec. 1846.
†) Bunſen’s Bericht, 11. Sept. 1846.
††) Canitz an Rochow, 6. Dec., an H. v. Arnim in Paris, 13. Dec. 1846.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 708. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/722>, abgerufen am 22.11.2024.
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