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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.
Wort: zu meiner Zeit wird sich kein Fürst, kein Bauernknecht, kein
Bauernknabe, kein Landtag und keine Judenschule etwas was dermalen
mit Recht oder Unrecht bei der Krone ist zueignen, wenn ich es nicht
zuvor gegeben habe
... Glanz und List überlasse ich ohne Neid so-
genannten constitutionellen Fürsten, die durch ein Stück Papier dem Volke
gegenüber eine Fiction, ein abstrakter Begriff geworden sind. Ein väter-
liches Regiment ist teutscher Fürsten Art, und weil die Herrschaft mein
väterliches Erbtheil, mein Patrimonium ist, darum hab' ich ein Herz zu
meinem Volke, darum kann ich und will ich unmündige Kinder leiten,
entartete züchtigen, würdigen wohlgerathenen aber an der Verwaltung
meines Gutes Theil geben, ihnen ihr eigenes Patrimonium anweisen und
sie darin vor Diener-Anmaßung schützen." Endlich befahl er dem Freunde,
die Schrift nicht in den nächsten ostpreußischen Landtag hineinzuwerfen,
wo sie nur Unheil stiften könne; nachher möge sie immerhin erscheinen,
doch nur unter Schön's eigenem Namen.*)

Der Brief gereichte dem milden Herzen des Königs zur Ehre, nicht
seinem politischen Verstande; denn verwarf er die Gedanken der Schrift, so
durfte Schön nicht länger mehr an der Spitze einer Provinz bleiben, deren
Stimmung täglich schwieriger ward. Doch im Grunde der Seele wünschte
er ja selbst die von Schön verlangten Reichsstände, nur in anderer Weise,
und da er den theueren Freund nicht kränken wollte, so entschied er end-
lich, obgleich Schön zweimal seine Entlassung anbot, am 1. Jan. 1841,
daß der Oberpräsident als sein Freund und Bevollmächtigter das Amt
des königlichen Commissars bei dem nächsten Landtage übernehmen solle.
Also blieb Schön im Amte, und über ihm stand Rochow. Der konnte
sich das boshafte Vergnügen nicht versagen, dem Oberpräsidenten zu be-
deuten: eine gefährliche Schrift Woher und Wohin? sei im Umlaufe,
gegen den unbekannten Verfasser müsse man einschreiten sobald man ihn
erkundet habe. In einem groben Antwortschreiben bekannte sich Schön
als Verfasser und betheuerte, die Schrift sei nicht für die Oeffentlichkeit
bestimmt.**) Wie sollten diese beiden Todfeinde einträchtig zusammen-
wirken? Die Verfassungsfrage erschien immer räthselhafter und verwor-
rener. Auf den ersten Weckruf des preußischen Landtags war jetzt schon
der zweite gefolgt, das Banner der Reichsstände flatterte in den Lüften,
und wenn die Krone sich nicht rechtzeitig entschloß, so konnte keine Macht
der Welt mehr hindern, daß eine in Preußen unerhörte Bewegung von
unten her anhob.


*) König Friedrich Wilhelm an Schön 26. Dec. 1840. Aus diesem wichtigen
Briefe werden in Schön's Papieren (III. 154) nur einige einleitende Worte mitgetheilt.
Die Hauptsätze hat der Herausgeber unterdrückt. Sie stehen allerdings in gar zu grellem
Widerspruche mit der dreisten Behauptung Schön's (III. 153): der König hätte sich
"im Geiste" von Woher und Wohin? gegen Flottwell geäußert.
**) Rochow an Schön 19. Dec. Antwort, 23. Dec. 1840.

V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.
Wort: zu meiner Zeit wird ſich kein Fürſt, kein Bauernknecht, kein
Bauernknabe, kein Landtag und keine Judenſchule etwas was dermalen
mit Recht oder Unrecht bei der Krone iſt zueignen, wenn ich es nicht
zuvor gegeben habe
… Glanz und Liſt überlaſſe ich ohne Neid ſo-
genannten conſtitutionellen Fürſten, die durch ein Stück Papier dem Volke
gegenüber eine Fiction, ein abſtrakter Begriff geworden ſind. Ein väter-
liches Regiment iſt teutſcher Fürſten Art, und weil die Herrſchaft mein
väterliches Erbtheil, mein Patrimonium iſt, darum hab’ ich ein Herz zu
meinem Volke, darum kann ich und will ich unmündige Kinder leiten,
entartete züchtigen, würdigen wohlgerathenen aber an der Verwaltung
meines Gutes Theil geben, ihnen ihr eigenes Patrimonium anweiſen und
ſie darin vor Diener-Anmaßung ſchützen.“ Endlich befahl er dem Freunde,
die Schrift nicht in den nächſten oſtpreußiſchen Landtag hineinzuwerfen,
wo ſie nur Unheil ſtiften könne; nachher möge ſie immerhin erſcheinen,
doch nur unter Schön’s eigenem Namen.*)

Der Brief gereichte dem milden Herzen des Königs zur Ehre, nicht
ſeinem politiſchen Verſtande; denn verwarf er die Gedanken der Schrift, ſo
durfte Schön nicht länger mehr an der Spitze einer Provinz bleiben, deren
Stimmung täglich ſchwieriger ward. Doch im Grunde der Seele wünſchte
er ja ſelbſt die von Schön verlangten Reichsſtände, nur in anderer Weiſe,
und da er den theueren Freund nicht kränken wollte, ſo entſchied er end-
lich, obgleich Schön zweimal ſeine Entlaſſung anbot, am 1. Jan. 1841,
daß der Oberpräſident als ſein Freund und Bevollmächtigter das Amt
des königlichen Commiſſars bei dem nächſten Landtage übernehmen ſolle.
Alſo blieb Schön im Amte, und über ihm ſtand Rochow. Der konnte
ſich das boshafte Vergnügen nicht verſagen, dem Oberpräſidenten zu be-
deuten: eine gefährliche Schrift Woher und Wohin? ſei im Umlaufe,
gegen den unbekannten Verfaſſer müſſe man einſchreiten ſobald man ihn
erkundet habe. In einem groben Antwortſchreiben bekannte ſich Schön
als Verfaſſer und betheuerte, die Schrift ſei nicht für die Oeffentlichkeit
beſtimmt.**) Wie ſollten dieſe beiden Todfeinde einträchtig zuſammen-
wirken? Die Verfaſſungsfrage erſchien immer räthſelhafter und verwor-
rener. Auf den erſten Weckruf des preußiſchen Landtags war jetzt ſchon
der zweite gefolgt, das Banner der Reichsſtände flatterte in den Lüften,
und wenn die Krone ſich nicht rechtzeitig entſchloß, ſo konnte keine Macht
der Welt mehr hindern, daß eine in Preußen unerhörte Bewegung von
unten her anhob.


*) König Friedrich Wilhelm an Schön 26. Dec. 1840. Aus dieſem wichtigen
Briefe werden in Schön’s Papieren (III. 154) nur einige einleitende Worte mitgetheilt.
Die Hauptſätze hat der Herausgeber unterdrückt. Sie ſtehen allerdings in gar zu grellem
Widerſpruche mit der dreiſten Behauptung Schön’s (III. 153): der König hätte ſich
„im Geiſte“ von Woher und Wohin? gegen Flottwell geäußert.
**) Rochow an Schön 19. Dec. Antwort, 23. Dec. 1840.
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[58/0072] V. 1. Die frohen Tage der Erwartung. Wort: zu meiner Zeit wird ſich kein Fürſt, kein Bauernknecht, kein Bauernknabe, kein Landtag und keine Judenſchule etwas was dermalen mit Recht oder Unrecht bei der Krone iſt zueignen, wenn ich es nicht zuvor gegeben habe … Glanz und Liſt überlaſſe ich ohne Neid ſo- genannten conſtitutionellen Fürſten, die durch ein Stück Papier dem Volke gegenüber eine Fiction, ein abſtrakter Begriff geworden ſind. Ein väter- liches Regiment iſt teutſcher Fürſten Art, und weil die Herrſchaft mein väterliches Erbtheil, mein Patrimonium iſt, darum hab’ ich ein Herz zu meinem Volke, darum kann ich und will ich unmündige Kinder leiten, entartete züchtigen, würdigen wohlgerathenen aber an der Verwaltung meines Gutes Theil geben, ihnen ihr eigenes Patrimonium anweiſen und ſie darin vor Diener-Anmaßung ſchützen.“ Endlich befahl er dem Freunde, die Schrift nicht in den nächſten oſtpreußiſchen Landtag hineinzuwerfen, wo ſie nur Unheil ſtiften könne; nachher möge ſie immerhin erſcheinen, doch nur unter Schön’s eigenem Namen. *) Der Brief gereichte dem milden Herzen des Königs zur Ehre, nicht ſeinem politiſchen Verſtande; denn verwarf er die Gedanken der Schrift, ſo durfte Schön nicht länger mehr an der Spitze einer Provinz bleiben, deren Stimmung täglich ſchwieriger ward. Doch im Grunde der Seele wünſchte er ja ſelbſt die von Schön verlangten Reichsſtände, nur in anderer Weiſe, und da er den theueren Freund nicht kränken wollte, ſo entſchied er end- lich, obgleich Schön zweimal ſeine Entlaſſung anbot, am 1. Jan. 1841, daß der Oberpräſident als ſein Freund und Bevollmächtigter das Amt des königlichen Commiſſars bei dem nächſten Landtage übernehmen ſolle. Alſo blieb Schön im Amte, und über ihm ſtand Rochow. Der konnte ſich das boshafte Vergnügen nicht verſagen, dem Oberpräſidenten zu be- deuten: eine gefährliche Schrift Woher und Wohin? ſei im Umlaufe, gegen den unbekannten Verfaſſer müſſe man einſchreiten ſobald man ihn erkundet habe. In einem groben Antwortſchreiben bekannte ſich Schön als Verfaſſer und betheuerte, die Schrift ſei nicht für die Oeffentlichkeit beſtimmt. **) Wie ſollten dieſe beiden Todfeinde einträchtig zuſammen- wirken? Die Verfaſſungsfrage erſchien immer räthſelhafter und verwor- rener. Auf den erſten Weckruf des preußiſchen Landtags war jetzt ſchon der zweite gefolgt, das Banner der Reichsſtände flatterte in den Lüften, und wenn die Krone ſich nicht rechtzeitig entſchloß, ſo konnte keine Macht der Welt mehr hindern, daß eine in Preußen unerhörte Bewegung von unten her anhob. *) König Friedrich Wilhelm an Schön 26. Dec. 1840. Aus dieſem wichtigen Briefe werden in Schön’s Papieren (III. 154) nur einige einleitende Worte mitgetheilt. Die Hauptſätze hat der Herausgeber unterdrückt. Sie ſtehen allerdings in gar zu grellem Widerſpruche mit der dreiſten Behauptung Schön’s (III. 153): der König hätte ſich „im Geiſte“ von Woher und Wohin? gegen Flottwell geäußert. **) Rochow an Schön 19. Dec. Antwort, 23. Dec. 1840.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/72>, abgerufen am 27.11.2024.