nach dem Vorbilde des Zollvereins abschließen, Verträge, welche späterhin dem gesammten Vaterlande zu gute kommen müßten. Also schien der König endlich zu begreifen, daß die Erfüllung der nationalen Einheits- wünsche jetzt die erste Pflicht conservativer Politik war; er schien sich den kühnen Gedanken zu nähern, welche zur selben Zeit Mathy in Heppen- heim aussprach. Aber es schien auch nur so. Friedrich Wilhelm wußte nichts, er wollte nichts wissen von der radicalen Schärfe der großen Gegensätze deutscher Politik, er wollte in tiefem Frieden, ohne mit Oester- reich zu brechen, sein Ziel erreichen; er ahnte nicht, daß der Zollverein dem particularistischen Grundgedanken der Bundesakte ebenso vollständig widersprach, wie einst der Schmalkaldener Bund dem Wesen des heiligen römischen Reichs, und die Hofburg folglich ein System preußisch-deutscher Sonderverträge unmöglich gelassen hinnehmen konnte. Die Schlacht von Pharsalus, die einst König Friedrich den Deutschen geweissagt hatte, mußte geschlagen werden, und Niemand glaubte an diese Nothwendigkeit weniger als Friedrich's Erbe.
Mit solchen Aufträgen ging Radowitz nach Wien, wo man ihn mit der gewohnten nichtssagenden Höflichkeit aufnahm. Kaum begonnen wurden die Verhandlungen schon abgebrochen, da die italienischen Unruhen die Hofburg in Verlegenheit brachten. Als abgesagter Feind der fridericianischen Politik verabscheute Friedrich Wilhelm den "heidnischen" Grundsatz des großen Königs, daß man die Bedrängniß des Gegners zum entscheidenden Schlage benutzen müsse; auch hielt er das Haus Oesterreich nicht für einen Gegner, sondern für einen treuen, nur leider etwas schwerfälligen Freund. Metternich's peinliche Lage zu mißbrauchen, schien ihm unchrist- lich. Außerdem hatte er Radowitz beauftragt, sich mit dem Staatskanzler über die gemeinsame Bekämpfung des schweizerischen Radicalismus zu verständigen; und diesen unseligen Interventionsgedanken hielten beide Mächte für so wichtig, daß die deutsche Politik dahinter zurückstehen mußte. Um die Schweizer Frage zuerst in's Reine zu bringen mußte der General im December nach Berlin heimkehren und nachher noch nach Paris reisen. So ging für die deutsche Bundesreform wieder eine unschätzbare Zeit verloren. Erst im Februar 1848 nahm der König seine Bundespläne wieder auf. Am 1. März erhielt Radowitz die Weisung, nochmals nach Wien zu gehen und dort die sofortige Einberufung eines deutschen Fürsten- congresses zu beantragen, der über die Bundesreform so wie über die Kriegsgefahr des Augenblicks berathen sollte. Da inzwischen die Nach- richten von der Pariser Revolution eingetroffen waren, so genehmigte Metternich am 10. März den preußischen Vorschlag. Aber schon nach wenigen Tagen stürzte das alte System in Wien wie in Berlin zusammen. Die letzte Möglichkeit einer friedlichen Bundesreform war versäumt, und da die Welt von den tiefgeheimen Verhandlungen dieses Winters kein Wort erfahren hatte, so erschien der längst geplante Fürstencongreß wieder
V. 9. Der Niedergang des Deutſchen Bundes.
nach dem Vorbilde des Zollvereins abſchließen, Verträge, welche ſpäterhin dem geſammten Vaterlande zu gute kommen müßten. Alſo ſchien der König endlich zu begreifen, daß die Erfüllung der nationalen Einheits- wünſche jetzt die erſte Pflicht conſervativer Politik war; er ſchien ſich den kühnen Gedanken zu nähern, welche zur ſelben Zeit Mathy in Heppen- heim ausſprach. Aber es ſchien auch nur ſo. Friedrich Wilhelm wußte nichts, er wollte nichts wiſſen von der radicalen Schärfe der großen Gegenſätze deutſcher Politik, er wollte in tiefem Frieden, ohne mit Oeſter- reich zu brechen, ſein Ziel erreichen; er ahnte nicht, daß der Zollverein dem particulariſtiſchen Grundgedanken der Bundesakte ebenſo vollſtändig widerſprach, wie einſt der Schmalkaldener Bund dem Weſen des heiligen römiſchen Reichs, und die Hofburg folglich ein Syſtem preußiſch-deutſcher Sonderverträge unmöglich gelaſſen hinnehmen konnte. Die Schlacht von Pharſalus, die einſt König Friedrich den Deutſchen geweiſſagt hatte, mußte geſchlagen werden, und Niemand glaubte an dieſe Nothwendigkeit weniger als Friedrich’s Erbe.
Mit ſolchen Aufträgen ging Radowitz nach Wien, wo man ihn mit der gewohnten nichtsſagenden Höflichkeit aufnahm. Kaum begonnen wurden die Verhandlungen ſchon abgebrochen, da die italieniſchen Unruhen die Hofburg in Verlegenheit brachten. Als abgeſagter Feind der fridericianiſchen Politik verabſcheute Friedrich Wilhelm den „heidniſchen“ Grundſatz des großen Königs, daß man die Bedrängniß des Gegners zum entſcheidenden Schlage benutzen müſſe; auch hielt er das Haus Oeſterreich nicht für einen Gegner, ſondern für einen treuen, nur leider etwas ſchwerfälligen Freund. Metternich’s peinliche Lage zu mißbrauchen, ſchien ihm unchriſt- lich. Außerdem hatte er Radowitz beauftragt, ſich mit dem Staatskanzler über die gemeinſame Bekämpfung des ſchweizeriſchen Radicalismus zu verſtändigen; und dieſen unſeligen Interventionsgedanken hielten beide Mächte für ſo wichtig, daß die deutſche Politik dahinter zurückſtehen mußte. Um die Schweizer Frage zuerſt in’s Reine zu bringen mußte der General im December nach Berlin heimkehren und nachher noch nach Paris reiſen. So ging für die deutſche Bundesreform wieder eine unſchätzbare Zeit verloren. Erſt im Februar 1848 nahm der König ſeine Bundespläne wieder auf. Am 1. März erhielt Radowitz die Weiſung, nochmals nach Wien zu gehen und dort die ſofortige Einberufung eines deutſchen Fürſten- congreſſes zu beantragen, der über die Bundesreform ſo wie über die Kriegsgefahr des Augenblicks berathen ſollte. Da inzwiſchen die Nach- richten von der Pariſer Revolution eingetroffen waren, ſo genehmigte Metternich am 10. März den preußiſchen Vorſchlag. Aber ſchon nach wenigen Tagen ſtürzte das alte Syſtem in Wien wie in Berlin zuſammen. Die letzte Möglichkeit einer friedlichen Bundesreform war verſäumt, und da die Welt von den tiefgeheimen Verhandlungen dieſes Winters kein Wort erfahren hatte, ſo erſchien der längſt geplante Fürſtencongreß wieder
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nach dem Vorbilde des Zollvereins abſchließen, Verträge, welche ſpäterhin
dem geſammten Vaterlande zu gute kommen müßten. Alſo ſchien der
König endlich zu begreifen, daß die Erfüllung der nationalen Einheits-
wünſche jetzt die erſte Pflicht conſervativer Politik war; er ſchien ſich
den kühnen Gedanken zu nähern, welche zur ſelben Zeit Mathy in Heppen-
heim ausſprach. Aber es ſchien auch nur ſo. Friedrich Wilhelm wußte
nichts, er wollte nichts wiſſen von der radicalen Schärfe der großen
Gegenſätze deutſcher Politik, er wollte in tiefem Frieden, ohne mit Oeſter-
reich zu brechen, ſein Ziel erreichen; er ahnte nicht, daß der Zollverein
dem particulariſtiſchen Grundgedanken der Bundesakte ebenſo vollſtändig
widerſprach, wie einſt der Schmalkaldener Bund dem Weſen des heiligen
römiſchen Reichs, und die Hofburg folglich ein Syſtem preußiſch-deutſcher
Sonderverträge unmöglich gelaſſen hinnehmen konnte. Die Schlacht von
Pharſalus, die einſt König Friedrich den Deutſchen geweiſſagt hatte, mußte
geſchlagen werden, und Niemand glaubte an dieſe Nothwendigkeit weniger
als Friedrich’s Erbe.
Mit ſolchen Aufträgen ging Radowitz nach Wien, wo man ihn mit
der gewohnten nichtsſagenden Höflichkeit aufnahm. Kaum begonnen wurden
die Verhandlungen ſchon abgebrochen, da die italieniſchen Unruhen die
Hofburg in Verlegenheit brachten. Als abgeſagter Feind der fridericianiſchen
Politik verabſcheute Friedrich Wilhelm den „heidniſchen“ Grundſatz des
großen Königs, daß man die Bedrängniß des Gegners zum entſcheidenden
Schlage benutzen müſſe; auch hielt er das Haus Oeſterreich nicht für
einen Gegner, ſondern für einen treuen, nur leider etwas ſchwerfälligen
Freund. Metternich’s peinliche Lage zu mißbrauchen, ſchien ihm unchriſt-
lich. Außerdem hatte er Radowitz beauftragt, ſich mit dem Staatskanzler
über die gemeinſame Bekämpfung des ſchweizeriſchen Radicalismus zu
verſtändigen; und dieſen unſeligen Interventionsgedanken hielten beide
Mächte für ſo wichtig, daß die deutſche Politik dahinter zurückſtehen mußte.
Um die Schweizer Frage zuerſt in’s Reine zu bringen mußte der General
im December nach Berlin heimkehren und nachher noch nach Paris reiſen.
So ging für die deutſche Bundesreform wieder eine unſchätzbare Zeit
verloren. Erſt im Februar 1848 nahm der König ſeine Bundespläne
wieder auf. Am 1. März erhielt Radowitz die Weiſung, nochmals nach
Wien zu gehen und dort die ſofortige Einberufung eines deutſchen Fürſten-
congreſſes zu beantragen, der über die Bundesreform ſo wie über die
Kriegsgefahr des Augenblicks berathen ſollte. Da inzwiſchen die Nach-
richten von der Pariſer Revolution eingetroffen waren, ſo genehmigte
Metternich am 10. März den preußiſchen Vorſchlag. Aber ſchon nach
wenigen Tagen ſtürzte das alte Syſtem in Wien wie in Berlin zuſammen.
Die letzte Möglichkeit einer friedlichen Bundesreform war verſäumt, und
da die Welt von den tiefgeheimen Verhandlungen dieſes Winters kein
Wort erfahren hatte, ſo erſchien der längſt geplante Fürſtencongreß wieder
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 700. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/714>, abgerufen am 22.11.2024.
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