Liebe; aber Liebe zu erweisen verstand der ewig Ungnädige wenig. Auf die Dauer ging es nicht an, also außerhalb Preußens preußische Politik zu predigen, und es war doch nur menschlich, daß König Friedrich Wil- helm, der ohnehin den liberalen Ideen so fern stand, die allezeit tadelnden "Mannheimer und Heppenheimer" als seine geschworenen Feinde betrachtete. Preußen ist ein ganz deutscher Staat geworden -- in diesem beständig wiederholten Satze lag das bleibende Verdienst der Deutschen Zeitung, jedoch außerhalb der Gelehrtenwelt fand die neue Erkenntniß vorerst nur wenig Anklang.
Die Nichtigkeit des Bundestags erschien so hoffnungslos, daß selbst Blittersdorff jetzt auf Reformgedanken gerieth. Reiner Particularist war er ja nie gewesen, er wünschte eine starke Bundespolitik. In seinem unge- duldigen Ehrgeiz unternahm er einmal sogar mit dem Grafen Dönhoff anzuknüpfen und gab ihm zu verstehen, bei der vollendeten Gleichgiltigkeit Oesterreichs bleibe nichts mehr übrig als der Anschluß der kleinen Staaten an Preußen. Diese Schwenkung des alten Gegners war doch zu ver- dächtig; selbst der allezeit arglose König warnte seinen Gesandten: "das kann eine Falle sein, deren H. v. B. wohl fähig ist."*) Also von Preußen abgewiesen, wandte sich Blittersdorff wieder dem geliebten Oesterreich zu und bestürmte seit dem Herbst 1847 den Grafen Münch mit einer langen Reihe von Denkschriften, die allesammt unfreiwillig und eben deßhalb un- widerleglich erwiesen, daß die Hofburg ihre Herrschaft in Deutschland nur noch durch Betrug und Rechtsverdrehung zu erweitern vermochte. Mit dürren Worten gestand Blittersdorff ein, Oesterreich könne weder "ein nationales Deutschland mit centraler Action" dulden, noch selber in den Zollverein eintreten; folglich, so schloß er, müsse der Wiener Hof, mit gewandter Benutzung des nichtssagenden Art. 64 der Wiener Schlußacte, alle die zwischen den Bundesstaaten abgeschlossenen Sonderverträge über Zoll- Münz- Postwesen u. s. w. "unter den Schutz des Bundestags" stellen und dergestalt "die politische Leitung" aller gemeinnützigen deutschen Bestre- bungen, insbesondere des Zollvereins selber in die Hand nehmen. Welch ein naives Geständniß! Von den Pflichten des deutschen Zollverbandes sollte die Hofburg frei bleiben, aber das Recht der Herrschaft gebührte ihr, damit nur ja niemals "ein nationales Deutschland" entstände! An- schaulicher ließ sich der Löwenvertrag, der zwischen Oesterreich und Deutsch- land bestand, nicht schildern. Zum Glück blieb das Alles verlorene Ar- beit. Zu irgend einem kräftigen Entschlusse konnten sich weder Metternich selbst noch seine ebenso altersmüden Genossen aufraffen. Als du Thil dem Grafen Münch Bundesreformen oder mindestens strengere Hand- habung der bestehenden Bundesgesetze empfahl, da erwiderte der Oester- reicher: "Warum soll ich mich, nachdem ich mich so lange abgeplagt habe,
*) Dönhoff's Bericht, 8. April 1845 mit Randbemerkung.
V. 9. Der Niedergang des Deutſchen Bundes.
Liebe; aber Liebe zu erweiſen verſtand der ewig Ungnädige wenig. Auf die Dauer ging es nicht an, alſo außerhalb Preußens preußiſche Politik zu predigen, und es war doch nur menſchlich, daß König Friedrich Wil- helm, der ohnehin den liberalen Ideen ſo fern ſtand, die allezeit tadelnden „Mannheimer und Heppenheimer“ als ſeine geſchworenen Feinde betrachtete. Preußen iſt ein ganz deutſcher Staat geworden — in dieſem beſtändig wiederholten Satze lag das bleibende Verdienſt der Deutſchen Zeitung, jedoch außerhalb der Gelehrtenwelt fand die neue Erkenntniß vorerſt nur wenig Anklang.
Die Nichtigkeit des Bundestags erſchien ſo hoffnungslos, daß ſelbſt Blittersdorff jetzt auf Reformgedanken gerieth. Reiner Particulariſt war er ja nie geweſen, er wünſchte eine ſtarke Bundespolitik. In ſeinem unge- duldigen Ehrgeiz unternahm er einmal ſogar mit dem Grafen Dönhoff anzuknüpfen und gab ihm zu verſtehen, bei der vollendeten Gleichgiltigkeit Oeſterreichs bleibe nichts mehr übrig als der Anſchluß der kleinen Staaten an Preußen. Dieſe Schwenkung des alten Gegners war doch zu ver- dächtig; ſelbſt der allezeit argloſe König warnte ſeinen Geſandten: „das kann eine Falle ſein, deren H. v. B. wohl fähig iſt.“*) Alſo von Preußen abgewieſen, wandte ſich Blittersdorff wieder dem geliebten Oeſterreich zu und beſtürmte ſeit dem Herbſt 1847 den Grafen Münch mit einer langen Reihe von Denkſchriften, die alleſammt unfreiwillig und eben deßhalb un- widerleglich erwieſen, daß die Hofburg ihre Herrſchaft in Deutſchland nur noch durch Betrug und Rechtsverdrehung zu erweitern vermochte. Mit dürren Worten geſtand Blittersdorff ein, Oeſterreich könne weder „ein nationales Deutſchland mit centraler Action“ dulden, noch ſelber in den Zollverein eintreten; folglich, ſo ſchloß er, müſſe der Wiener Hof, mit gewandter Benutzung des nichtsſagenden Art. 64 der Wiener Schlußacte, alle die zwiſchen den Bundesſtaaten abgeſchloſſenen Sonderverträge über Zoll- Münz- Poſtweſen u. ſ. w. „unter den Schutz des Bundestags“ ſtellen und dergeſtalt „die politiſche Leitung“ aller gemeinnützigen deutſchen Beſtre- bungen, insbeſondere des Zollvereins ſelber in die Hand nehmen. Welch ein naives Geſtändniß! Von den Pflichten des deutſchen Zollverbandes ſollte die Hofburg frei bleiben, aber das Recht der Herrſchaft gebührte ihr, damit nur ja niemals „ein nationales Deutſchland“ entſtände! An- ſchaulicher ließ ſich der Löwenvertrag, der zwiſchen Oeſterreich und Deutſch- land beſtand, nicht ſchildern. Zum Glück blieb das Alles verlorene Ar- beit. Zu irgend einem kräftigen Entſchluſſe konnten ſich weder Metternich ſelbſt noch ſeine ebenſo altersmüden Genoſſen aufraffen. Als du Thil dem Grafen Münch Bundesreformen oder mindeſtens ſtrengere Hand- habung der beſtehenden Bundesgeſetze empfahl, da erwiderte der Oeſter- reicher: „Warum ſoll ich mich, nachdem ich mich ſo lange abgeplagt habe,
*) Dönhoff’s Bericht, 8. April 1845 mit Randbemerkung.
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Liebe; aber Liebe zu erweiſen verſtand der ewig Ungnädige wenig. Auf
die Dauer ging es nicht an, alſo außerhalb Preußens preußiſche Politik
zu predigen, und es war doch nur menſchlich, daß König Friedrich Wil-
helm, der ohnehin den liberalen Ideen ſo fern ſtand, die allezeit tadelnden
„Mannheimer und Heppenheimer“ als ſeine geſchworenen Feinde betrachtete.
Preußen iſt ein ganz deutſcher Staat geworden — in dieſem beſtändig
wiederholten Satze lag das bleibende Verdienſt der Deutſchen Zeitung,
jedoch außerhalb der Gelehrtenwelt fand die neue Erkenntniß vorerſt nur
wenig Anklang.
Die Nichtigkeit des Bundestags erſchien ſo hoffnungslos, daß ſelbſt
Blittersdorff jetzt auf Reformgedanken gerieth. Reiner Particulariſt war er
ja nie geweſen, er wünſchte eine ſtarke Bundespolitik. In ſeinem unge-
duldigen Ehrgeiz unternahm er einmal ſogar mit dem Grafen Dönhoff
anzuknüpfen und gab ihm zu verſtehen, bei der vollendeten Gleichgiltigkeit
Oeſterreichs bleibe nichts mehr übrig als der Anſchluß der kleinen Staaten
an Preußen. Dieſe Schwenkung des alten Gegners war doch zu ver-
dächtig; ſelbſt der allezeit argloſe König warnte ſeinen Geſandten: „das
kann eine Falle ſein, deren H. v. B. wohl fähig iſt.“ *) Alſo von Preußen
abgewieſen, wandte ſich Blittersdorff wieder dem geliebten Oeſterreich zu
und beſtürmte ſeit dem Herbſt 1847 den Grafen Münch mit einer langen
Reihe von Denkſchriften, die alleſammt unfreiwillig und eben deßhalb un-
widerleglich erwieſen, daß die Hofburg ihre Herrſchaft in Deutſchland
nur noch durch Betrug und Rechtsverdrehung zu erweitern vermochte.
Mit dürren Worten geſtand Blittersdorff ein, Oeſterreich könne weder „ein
nationales Deutſchland mit centraler Action“ dulden, noch ſelber in den
Zollverein eintreten; folglich, ſo ſchloß er, müſſe der Wiener Hof, mit
gewandter Benutzung des nichtsſagenden Art. 64 der Wiener Schlußacte,
alle die zwiſchen den Bundesſtaaten abgeſchloſſenen Sonderverträge über
Zoll- Münz- Poſtweſen u. ſ. w. „unter den Schutz des Bundestags“ ſtellen
und dergeſtalt „die politiſche Leitung“ aller gemeinnützigen deutſchen Beſtre-
bungen, insbeſondere des Zollvereins ſelber in die Hand nehmen. Welch
ein naives Geſtändniß! Von den Pflichten des deutſchen Zollverbandes
ſollte die Hofburg frei bleiben, aber das Recht der Herrſchaft gebührte
ihr, damit nur ja niemals „ein nationales Deutſchland“ entſtände! An-
ſchaulicher ließ ſich der Löwenvertrag, der zwiſchen Oeſterreich und Deutſch-
land beſtand, nicht ſchildern. Zum Glück blieb das Alles verlorene Ar-
beit. Zu irgend einem kräftigen Entſchluſſe konnten ſich weder Metternich
ſelbſt noch ſeine ebenſo altersmüden Genoſſen aufraffen. Als du Thil
dem Grafen Münch Bundesreformen oder mindeſtens ſtrengere Hand-
habung der beſtehenden Bundesgeſetze empfahl, da erwiderte der Oeſter-
reicher: „Warum ſoll ich mich, nachdem ich mich ſo lange abgeplagt habe,
*) Dönhoff’s Bericht, 8. April 1845 mit Randbemerkung.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 690. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/704>, abgerufen am 22.11.2024.
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