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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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V. 9. Der Niedergang des Deutschen Bundes.
welches Wespennest er gestochen hatte. Nassau wollte wohl die kleinen
Spielhöllen in Schlangenbad und Schwalbach preisgeben, die große in
Ems aber sollte fortbestehen so lange die Homburger dauere. Baden
und Homburg wiesen das Ansinnen entrüstet zurück; vorher müßten erst
alle Lottos und Staatslotterien vom deutschen Boden getilgt werden.*)
Das Ende des mehrjährigen Zankes war, daß eine einzige der größeren
deutschen Spielbanken unterging, die Köthener; und sie starb eines na-
türlichen Todes, da das Land nach dem Erlöschen der Köthener Linie
(1847) mit Dessau vereinigt wurde. Also verschwand das historisch merk-
würdigste der deutschen Fürstenthümer, das in seltener Vollständigkeit sämmt-
liche Reize germanischer Kleinstaaterei entfaltet hatte. Was war hier nicht
Alles binnen vierzig Jahren geleistet worden: erst der Moniteur de l'Em-
pire Anhaltin-Coethien,
dann der große Schmuggelkrieg gegen Preußen,
dann die Jesuitenstation mitten im altprotestantischen Lande, dann endlich
die Spielbank; mehr konnten die Lobredner deutscher Vielherrschaft un-
möglich verlangen.

In solcher Nichtigkeit schleppten sich die Frankfurter Dinge dahin.
Der Bundestag ist eine Leiche, ein Gaukelspiel, er ist der Indifferenzpunkt
der deutschen Politik -- so hieß es übereinstimmend in den Berichten der
großen wie der kleiner Gesandten. Metternich aber, dem doch dieser Bund
ganz unschätzbar sein mußte, fuhr fort, die Versammlung in der Eschen-
heimer Gasse mit der äußersten Geringschätzung zu behandeln. Dem
Grafen Münch rechneten seine Amtsgenossen nach, daß er von den 23
Jahren seiner Präsidentschaft 13 in Wien, nur 10 in Frankfurt verbracht
hatte, und für die jüngste Zeit stellte sich die Rechnung sogar noch un-
günstiger. Allerorten in Deutschland -- so gestanden die Bundesgesandten
selber -- ward über die Zukunft des Vaterlandes gesprochen, nur nicht
in Frankfurt. Ein Rausch der Feste ging durch das deutsche Land, das
doch zu jubeln so wenig Ursach hatte. Wie zur selben Zeit die schicksals-
verwandten Italiener, so suchten die Deutschen in unzähligen brüderlichen
Zusammenkünften ihrer nationalen Einheit froh zu werden. Den Natur-
forschertagen folgten die Zusammenkünfte der Philologen, der Landwirthe,
der Anwälte, der Sänger, der Schriftsteller. Ueberall wurde die neue Tri-
colore Schleswigholsteins mit Frohlocken begrüßt; und auch die vom Bun-
destage verschmähte schwarzrothgoldene Fahne tauchte trotz der Verbote
immer wieder auf, sie galt schon allgemein als das nationale Banner.

Von lang nachwirkender Bedeutung waren unter diesen Versammlungen
nur die beiden, zuerst durch den Schwaben L. Reyscher angeregten Ger-
manistentage, die in Frankfurt 1846, ein Jahr darauf in Lübeck zusammen-
traten. Sie wurden als "geistiger Landtag des deutschen Volks" gepriesen,
denn hier vereinigte sich die Blüthe des Professorenthums, das neuerdings

*) Dönhoff's Berichte, 7. Jan. 1845 ff.

V. 9. Der Niedergang des Deutſchen Bundes.
welches Wespenneſt er geſtochen hatte. Naſſau wollte wohl die kleinen
Spielhöllen in Schlangenbad und Schwalbach preisgeben, die große in
Ems aber ſollte fortbeſtehen ſo lange die Homburger dauere. Baden
und Homburg wieſen das Anſinnen entrüſtet zurück; vorher müßten erſt
alle Lottos und Staatslotterien vom deutſchen Boden getilgt werden.*)
Das Ende des mehrjährigen Zankes war, daß eine einzige der größeren
deutſchen Spielbanken unterging, die Köthener; und ſie ſtarb eines na-
türlichen Todes, da das Land nach dem Erlöſchen der Köthener Linie
(1847) mit Deſſau vereinigt wurde. Alſo verſchwand das hiſtoriſch merk-
würdigſte der deutſchen Fürſtenthümer, das in ſeltener Vollſtändigkeit ſämmt-
liche Reize germaniſcher Kleinſtaaterei entfaltet hatte. Was war hier nicht
Alles binnen vierzig Jahren geleiſtet worden: erſt der Moniteur de l’Em-
pire Anhaltin-Coethien,
dann der große Schmuggelkrieg gegen Preußen,
dann die Jeſuitenſtation mitten im altproteſtantiſchen Lande, dann endlich
die Spielbank; mehr konnten die Lobredner deutſcher Vielherrſchaft un-
möglich verlangen.

In ſolcher Nichtigkeit ſchleppten ſich die Frankfurter Dinge dahin.
Der Bundestag iſt eine Leiche, ein Gaukelſpiel, er iſt der Indifferenzpunkt
der deutſchen Politik — ſo hieß es übereinſtimmend in den Berichten der
großen wie der kleiner Geſandten. Metternich aber, dem doch dieſer Bund
ganz unſchätzbar ſein mußte, fuhr fort, die Verſammlung in der Eſchen-
heimer Gaſſe mit der äußerſten Geringſchätzung zu behandeln. Dem
Grafen Münch rechneten ſeine Amtsgenoſſen nach, daß er von den 23
Jahren ſeiner Präſidentſchaft 13 in Wien, nur 10 in Frankfurt verbracht
hatte, und für die jüngſte Zeit ſtellte ſich die Rechnung ſogar noch un-
günſtiger. Allerorten in Deutſchland — ſo geſtanden die Bundesgeſandten
ſelber — ward über die Zukunft des Vaterlandes geſprochen, nur nicht
in Frankfurt. Ein Rauſch der Feſte ging durch das deutſche Land, das
doch zu jubeln ſo wenig Urſach hatte. Wie zur ſelben Zeit die ſchickſals-
verwandten Italiener, ſo ſuchten die Deutſchen in unzähligen brüderlichen
Zuſammenkünften ihrer nationalen Einheit froh zu werden. Den Natur-
forſchertagen folgten die Zuſammenkünfte der Philologen, der Landwirthe,
der Anwälte, der Sänger, der Schriftſteller. Ueberall wurde die neue Tri-
colore Schleswigholſteins mit Frohlocken begrüßt; und auch die vom Bun-
destage verſchmähte ſchwarzrothgoldene Fahne tauchte trotz der Verbote
immer wieder auf, ſie galt ſchon allgemein als das nationale Banner.

Von lang nachwirkender Bedeutung waren unter dieſen Verſammlungen
nur die beiden, zuerſt durch den Schwaben L. Reyſcher angeregten Ger-
maniſtentage, die in Frankfurt 1846, ein Jahr darauf in Lübeck zuſammen-
traten. Sie wurden als „geiſtiger Landtag des deutſchen Volks“ geprieſen,
denn hier vereinigte ſich die Blüthe des Profeſſorenthums, das neuerdings

*) Dönhoff’s Berichte, 7. Jan. 1845 ff.
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[686/0700] V. 9. Der Niedergang des Deutſchen Bundes. welches Wespenneſt er geſtochen hatte. Naſſau wollte wohl die kleinen Spielhöllen in Schlangenbad und Schwalbach preisgeben, die große in Ems aber ſollte fortbeſtehen ſo lange die Homburger dauere. Baden und Homburg wieſen das Anſinnen entrüſtet zurück; vorher müßten erſt alle Lottos und Staatslotterien vom deutſchen Boden getilgt werden. *) Das Ende des mehrjährigen Zankes war, daß eine einzige der größeren deutſchen Spielbanken unterging, die Köthener; und ſie ſtarb eines na- türlichen Todes, da das Land nach dem Erlöſchen der Köthener Linie (1847) mit Deſſau vereinigt wurde. Alſo verſchwand das hiſtoriſch merk- würdigſte der deutſchen Fürſtenthümer, das in ſeltener Vollſtändigkeit ſämmt- liche Reize germaniſcher Kleinſtaaterei entfaltet hatte. Was war hier nicht Alles binnen vierzig Jahren geleiſtet worden: erſt der Moniteur de l’Em- pire Anhaltin-Coethien, dann der große Schmuggelkrieg gegen Preußen, dann die Jeſuitenſtation mitten im altproteſtantiſchen Lande, dann endlich die Spielbank; mehr konnten die Lobredner deutſcher Vielherrſchaft un- möglich verlangen. In ſolcher Nichtigkeit ſchleppten ſich die Frankfurter Dinge dahin. Der Bundestag iſt eine Leiche, ein Gaukelſpiel, er iſt der Indifferenzpunkt der deutſchen Politik — ſo hieß es übereinſtimmend in den Berichten der großen wie der kleiner Geſandten. Metternich aber, dem doch dieſer Bund ganz unſchätzbar ſein mußte, fuhr fort, die Verſammlung in der Eſchen- heimer Gaſſe mit der äußerſten Geringſchätzung zu behandeln. Dem Grafen Münch rechneten ſeine Amtsgenoſſen nach, daß er von den 23 Jahren ſeiner Präſidentſchaft 13 in Wien, nur 10 in Frankfurt verbracht hatte, und für die jüngſte Zeit ſtellte ſich die Rechnung ſogar noch un- günſtiger. Allerorten in Deutſchland — ſo geſtanden die Bundesgeſandten ſelber — ward über die Zukunft des Vaterlandes geſprochen, nur nicht in Frankfurt. Ein Rauſch der Feſte ging durch das deutſche Land, das doch zu jubeln ſo wenig Urſach hatte. Wie zur ſelben Zeit die ſchickſals- verwandten Italiener, ſo ſuchten die Deutſchen in unzähligen brüderlichen Zuſammenkünften ihrer nationalen Einheit froh zu werden. Den Natur- forſchertagen folgten die Zuſammenkünfte der Philologen, der Landwirthe, der Anwälte, der Sänger, der Schriftſteller. Ueberall wurde die neue Tri- colore Schleswigholſteins mit Frohlocken begrüßt; und auch die vom Bun- destage verſchmähte ſchwarzrothgoldene Fahne tauchte trotz der Verbote immer wieder auf, ſie galt ſchon allgemein als das nationale Banner. Von lang nachwirkender Bedeutung waren unter dieſen Verſammlungen nur die beiden, zuerſt durch den Schwaben L. Reyſcher angeregten Ger- maniſtentage, die in Frankfurt 1846, ein Jahr darauf in Lübeck zuſammen- traten. Sie wurden als „geiſtiger Landtag des deutſchen Volks“ geprieſen, denn hier vereinigte ſich die Blüthe des Profeſſorenthums, das neuerdings *) Dönhoff’s Berichte, 7. Jan. 1845 ff.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 686. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/700>, abgerufen am 22.11.2024.