fachheit seiner Erscheinung, für einen argen Demagogen, obgleich seine Wünsche nicht über die Grenzen eines sehr bescheidenen Liberalismus hinaus- gingen, und es gelang, den Gefürchteten jahrelang der Kammer fern zu halten. Als er im Jahre 1847 doch gewählt wurde, da verweigerte die Regierung dem längst Verabschiedeten den Urlaub, und er sah sich vom Landtage wiederum ausgeschlossen. "Herr Jaup", so sagte der Großher- zog einst zu du Thil, "wird mir nie als Minister aufgedrungen werden; kommt es dahin, so habe ich vorher abgedankt."*) Er ahnte nicht, wie bald sich diese Weissagung buchstäblich erfüllen sollte. Durch die deutsch- katholische Bewegung kam der geheime höfische Parteikampf an den Tag. Prinz Emil und Linde verlangten scharfe Unterdrückung, Linde bekämpfte die neue Sekte auch in geharnischten Schriften. du Thil aber verfuhr milder, nach Preußens Vorbilde. Infolge dieser Zerwürfnisse nahm Linde endlich, im December 1847 seinen Abschied -- um bald nachher den Kampf gegen Preußen auf einer größeren Bühne von Neuem zu beginnen.
In dem stillen Landtage ward es erst wieder lebendiger, als die Re- gierung ein neues bürgerliches Gesetzbuch vorlegte, das großentheils, aber nicht vollständig dem Code Napoleon nachgebildet war. Grundes genug für die Rheinhessen, um den alten Haß gegen die rechtsrheinischen Starken- burger wieder einmal zu bekunden; nicht einen Buchstaben von dem hei- ligen Codex des fremden Eroberers wollten sie missen. Gefördert durch den neuen Rheinischen Verein, begann eine starke politische Bewegung auf dem linken Ufer. Der Mainzer Gemeinderath schämte sich nicht, dem Groß- herzog in einer Petition zu sagen: der Code Napoleon verbinde die Rhein- hessen mit 50 Mill. Belgiern und Franzosen und müsse also auch auf dem rechten Ufer eingeführt werden. Da der Landtag gleichwohl den Ge- setzentwurf annahm, so fühlten sich die Rheinhessen tief beleidigt. Mainz zeigte sich wieder einmal als die Stadt der Clubisten, in allen Weinhäusern erklangen Hochrufe auf die Franzosen, und mit den Preußen der Bundes- garnison, die man als Feinde Frankreichs verabscheute, suchten die radi- calen Schoppenstecher beständig Händel. Durch diesen rheinhessischen Streit wurde auch Heinrich v. Gagern in das öffentliche Leben zurückgeführt. Seit jenem Tage, da er die feierliche Frage gestellt hatte: "wo ist bei uns was der Freiheit gleicht?" -- seit vollen zehn Jahren war er den Kammern fern geblieben. Jetzt trat er zunächst mit einer Druckschrift für "die Rechtsverfassung Rheinhessens" ein. Es war doch ein Zeichen grundverderbter Zustände, daß dieser redliche deutsche Patriot das fremde Recht vertheidigte. War die französische Rechtseinheit des linken Rhein- ufers vorzuziehen oder die halbfranzösische Rechtseinheit des hessen-darm- städtischen Reichs? -- über diese Frage konnte man wohl streiten; in dem Chaos unserer Kleinstaaterei ward Alles unklar. Nachher ließ sich Gagern
*) Nach du Thil's Aufzeichnungen.
Heſſiſche Ultramontane. Linde. Gagern.
fachheit ſeiner Erſcheinung, für einen argen Demagogen, obgleich ſeine Wünſche nicht über die Grenzen eines ſehr beſcheidenen Liberalismus hinaus- gingen, und es gelang, den Gefürchteten jahrelang der Kammer fern zu halten. Als er im Jahre 1847 doch gewählt wurde, da verweigerte die Regierung dem längſt Verabſchiedeten den Urlaub, und er ſah ſich vom Landtage wiederum ausgeſchloſſen. „Herr Jaup“, ſo ſagte der Großher- zog einſt zu du Thil, „wird mir nie als Miniſter aufgedrungen werden; kommt es dahin, ſo habe ich vorher abgedankt.“*) Er ahnte nicht, wie bald ſich dieſe Weiſſagung buchſtäblich erfüllen ſollte. Durch die deutſch- katholiſche Bewegung kam der geheime höfiſche Parteikampf an den Tag. Prinz Emil und Linde verlangten ſcharfe Unterdrückung, Linde bekämpfte die neue Sekte auch in geharniſchten Schriften. du Thil aber verfuhr milder, nach Preußens Vorbilde. Infolge dieſer Zerwürfniſſe nahm Linde endlich, im December 1847 ſeinen Abſchied — um bald nachher den Kampf gegen Preußen auf einer größeren Bühne von Neuem zu beginnen.
In dem ſtillen Landtage ward es erſt wieder lebendiger, als die Re- gierung ein neues bürgerliches Geſetzbuch vorlegte, das großentheils, aber nicht vollſtändig dem Code Napoleon nachgebildet war. Grundes genug für die Rheinheſſen, um den alten Haß gegen die rechtsrheiniſchen Starken- burger wieder einmal zu bekunden; nicht einen Buchſtaben von dem hei- ligen Codex des fremden Eroberers wollten ſie miſſen. Gefördert durch den neuen Rheiniſchen Verein, begann eine ſtarke politiſche Bewegung auf dem linken Ufer. Der Mainzer Gemeinderath ſchämte ſich nicht, dem Groß- herzog in einer Petition zu ſagen: der Code Napoleon verbinde die Rhein- heſſen mit 50 Mill. Belgiern und Franzoſen und müſſe alſo auch auf dem rechten Ufer eingeführt werden. Da der Landtag gleichwohl den Ge- ſetzentwurf annahm, ſo fühlten ſich die Rheinheſſen tief beleidigt. Mainz zeigte ſich wieder einmal als die Stadt der Clubiſten, in allen Weinhäuſern erklangen Hochrufe auf die Franzoſen, und mit den Preußen der Bundes- garniſon, die man als Feinde Frankreichs verabſcheute, ſuchten die radi- calen Schoppenſtecher beſtändig Händel. Durch dieſen rheinheſſiſchen Streit wurde auch Heinrich v. Gagern in das öffentliche Leben zurückgeführt. Seit jenem Tage, da er die feierliche Frage geſtellt hatte: „wo iſt bei uns was der Freiheit gleicht?“ — ſeit vollen zehn Jahren war er den Kammern fern geblieben. Jetzt trat er zunächſt mit einer Druckſchrift für „die Rechtsverfaſſung Rheinheſſens“ ein. Es war doch ein Zeichen grundverderbter Zuſtände, daß dieſer redliche deutſche Patriot das fremde Recht vertheidigte. War die franzöſiſche Rechtseinheit des linken Rhein- ufers vorzuziehen oder die halbfranzöſiſche Rechtseinheit des heſſen-darm- ſtädtiſchen Reichs? — über dieſe Frage konnte man wohl ſtreiten; in dem Chaos unſerer Kleinſtaaterei ward Alles unklar. Nachher ließ ſich Gagern
*) Nach du Thil’s Aufzeichnungen.
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Heſſiſche Ultramontane. Linde. Gagern.
fachheit ſeiner Erſcheinung, für einen argen Demagogen, obgleich ſeine
Wünſche nicht über die Grenzen eines ſehr beſcheidenen Liberalismus hinaus-
gingen, und es gelang, den Gefürchteten jahrelang der Kammer fern zu
halten. Als er im Jahre 1847 doch gewählt wurde, da verweigerte die
Regierung dem längſt Verabſchiedeten den Urlaub, und er ſah ſich vom
Landtage wiederum ausgeſchloſſen. „Herr Jaup“, ſo ſagte der Großher-
zog einſt zu du Thil, „wird mir nie als Miniſter aufgedrungen werden;
kommt es dahin, ſo habe ich vorher abgedankt.“ *) Er ahnte nicht, wie
bald ſich dieſe Weiſſagung buchſtäblich erfüllen ſollte. Durch die deutſch-
katholiſche Bewegung kam der geheime höfiſche Parteikampf an den Tag.
Prinz Emil und Linde verlangten ſcharfe Unterdrückung, Linde bekämpfte
die neue Sekte auch in geharniſchten Schriften. du Thil aber verfuhr
milder, nach Preußens Vorbilde. Infolge dieſer Zerwürfniſſe nahm Linde
endlich, im December 1847 ſeinen Abſchied — um bald nachher den Kampf
gegen Preußen auf einer größeren Bühne von Neuem zu beginnen.
In dem ſtillen Landtage ward es erſt wieder lebendiger, als die Re-
gierung ein neues bürgerliches Geſetzbuch vorlegte, das großentheils, aber
nicht vollſtändig dem Code Napoleon nachgebildet war. Grundes genug
für die Rheinheſſen, um den alten Haß gegen die rechtsrheiniſchen Starken-
burger wieder einmal zu bekunden; nicht einen Buchſtaben von dem hei-
ligen Codex des fremden Eroberers wollten ſie miſſen. Gefördert durch den
neuen Rheiniſchen Verein, begann eine ſtarke politiſche Bewegung auf dem
linken Ufer. Der Mainzer Gemeinderath ſchämte ſich nicht, dem Groß-
herzog in einer Petition zu ſagen: der Code Napoleon verbinde die Rhein-
heſſen mit 50 Mill. Belgiern und Franzoſen und müſſe alſo auch auf
dem rechten Ufer eingeführt werden. Da der Landtag gleichwohl den Ge-
ſetzentwurf annahm, ſo fühlten ſich die Rheinheſſen tief beleidigt. Mainz
zeigte ſich wieder einmal als die Stadt der Clubiſten, in allen Weinhäuſern
erklangen Hochrufe auf die Franzoſen, und mit den Preußen der Bundes-
garniſon, die man als Feinde Frankreichs verabſcheute, ſuchten die radi-
calen Schoppenſtecher beſtändig Händel. Durch dieſen rheinheſſiſchen Streit
wurde auch Heinrich v. Gagern in das öffentliche Leben zurückgeführt.
Seit jenem Tage, da er die feierliche Frage geſtellt hatte: „wo iſt bei
uns was der Freiheit gleicht?“ — ſeit vollen zehn Jahren war er den
Kammern fern geblieben. Jetzt trat er zunächſt mit einer Druckſchrift
für „die Rechtsverfaſſung Rheinheſſens“ ein. Es war doch ein Zeichen
grundverderbter Zuſtände, daß dieſer redliche deutſche Patriot das fremde
Recht vertheidigte. War die franzöſiſche Rechtseinheit des linken Rhein-
ufers vorzuziehen oder die halbfranzöſiſche Rechtseinheit des heſſen-darm-
ſtädtiſchen Reichs? — über dieſe Frage konnte man wohl ſtreiten; in dem
Chaos unſerer Kleinſtaaterei ward Alles unklar. Nachher ließ ſich Gagern
*) Nach du Thil’s Aufzeichnungen.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 683. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/697>, abgerufen am 22.11.2024.
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