nichts, der Haß ist zu groß; ich werde mich in Stuttgart jedes politischen Rathschlages enthalten, das könnte nur schaden. Er urtheilte richtig. Die von der Presse beständig gebrandmarkte moskowitische Oberherrschaft bestand zur Zeit nur in der Einbildung der Liberalen: weder König Friedrich Wilhelm noch der Bundestag noch die Höfe der Mittelstaaten ließen sich in ihrer inneren Politik durch Petersburger Machtsprüche leiten. Nicolaus tröstete sich über solche unliebsame Wahrnehmungen, indem er drohend sagte: "wenn man mich aber brauchen sollte, dann bin ich da und werde gern helfen!"*) In der That sollte nur zu bald, nach der Revolution, eine Zeit erscheinen, da der von den Liberalen so oft an die Wand gemalte moskowitische Teufel plötzlich lebendig wurde.
Nun kamen die Hungerjahre, sie brachten dem zerstückelten, überschul- deten Kleingrundbesitze Württembergs zahllose Zwangsversteigerungen und entsetzliches Elend. Im Mai 1847 rottete sich der Stuttgarter Pöbel zu einem Hungerkrawall zusammen. Der König ritt hinaus, allein, wie einst an seinem Jubeltage, er dachte durch sein Erscheinen die Tobenden zu be- schwichtigen. Wie ward ihm aber, als ihn die Massen mit Verwünschungen und Steinwürfen empfingen. Rasch entschlossen führte er selbst seine Truppen zum Angriff vor, und der Auflauf wurde nicht ohne Blutver- gießen unterdrückt. Diese Stunde blieb dem Könige unvergeßlich; seit er die Launen der Volksgunst also durch persönlichen Schimpf erfahren hatte, befestigte er sich mehr und mehr in seiner harten Menschenverachtung. Tief empört sagte er nachher zu Radowitz: "Ein solcher Undank nach einer dreißigjährigen Regierung!" Er glaubte fest -- so blind war sein Zorn -- daß Römer, Murschel und andere Liberale einen großen Aufstand beabsichtigt hätten, und bedauerte nur die Verräther nicht überführen zu können.**) Als Römer im Febr. 1848 diese Vorfälle im Landtage zur Sprache brachte und die Frage stellte, wann die Anwendung von Waffen- gewalt erlaubt sei, da wollten selbst viele seiner Freunde dem Führer der Opposition nicht mehr folgen, und Minister Schlayer erwiderte: das heiße sich gleichsam auf die Seite der Umsturzpartei stellen. Alle zitterten vor der Revolution. Nur wenige Tage, und sie brach auch über das Schwaben- land herein. --
In Baden hatte die Regierung seit Blittersdorff's Sturz für längere Zeit allen Halt verloren. Weder Böckh noch der gelehrte Nebenius, der wieder in das Ministerium zurückgerufen wurde, vermochte mit dem Land- tag auszukommen. Hinter und neben ihnen wirkten im hohen Beamten- thum Männer von entschieden reactionärer Gesinnung wie Rüdt v. Collenbach und Rettig; und dazu währten am Hofe die geheimen Zwistigkeiten fort, da Großherzog Leopold in seiner unentschlossenen Schwäche überall um Rath
nichts, der Haß iſt zu groß; ich werde mich in Stuttgart jedes politiſchen Rathſchlages enthalten, das könnte nur ſchaden. Er urtheilte richtig. Die von der Preſſe beſtändig gebrandmarkte moskowitiſche Oberherrſchaft beſtand zur Zeit nur in der Einbildung der Liberalen: weder König Friedrich Wilhelm noch der Bundestag noch die Höfe der Mittelſtaaten ließen ſich in ihrer inneren Politik durch Petersburger Machtſprüche leiten. Nicolaus tröſtete ſich über ſolche unliebſame Wahrnehmungen, indem er drohend ſagte: „wenn man mich aber brauchen ſollte, dann bin ich da und werde gern helfen!“*) In der That ſollte nur zu bald, nach der Revolution, eine Zeit erſcheinen, da der von den Liberalen ſo oft an die Wand gemalte moskowitiſche Teufel plötzlich lebendig wurde.
Nun kamen die Hungerjahre, ſie brachten dem zerſtückelten, überſchul- deten Kleingrundbeſitze Württembergs zahlloſe Zwangsverſteigerungen und entſetzliches Elend. Im Mai 1847 rottete ſich der Stuttgarter Pöbel zu einem Hungerkrawall zuſammen. Der König ritt hinaus, allein, wie einſt an ſeinem Jubeltage, er dachte durch ſein Erſcheinen die Tobenden zu be- ſchwichtigen. Wie ward ihm aber, als ihn die Maſſen mit Verwünſchungen und Steinwürfen empfingen. Raſch entſchloſſen führte er ſelbſt ſeine Truppen zum Angriff vor, und der Auflauf wurde nicht ohne Blutver- gießen unterdrückt. Dieſe Stunde blieb dem Könige unvergeßlich; ſeit er die Launen der Volksgunſt alſo durch perſönlichen Schimpf erfahren hatte, befeſtigte er ſich mehr und mehr in ſeiner harten Menſchenverachtung. Tief empört ſagte er nachher zu Radowitz: „Ein ſolcher Undank nach einer dreißigjährigen Regierung!“ Er glaubte feſt — ſo blind war ſein Zorn — daß Römer, Murſchel und andere Liberale einen großen Aufſtand beabſichtigt hätten, und bedauerte nur die Verräther nicht überführen zu können.**) Als Römer im Febr. 1848 dieſe Vorfälle im Landtage zur Sprache brachte und die Frage ſtellte, wann die Anwendung von Waffen- gewalt erlaubt ſei, da wollten ſelbſt viele ſeiner Freunde dem Führer der Oppoſition nicht mehr folgen, und Miniſter Schlayer erwiderte: das heiße ſich gleichſam auf die Seite der Umſturzpartei ſtellen. Alle zitterten vor der Revolution. Nur wenige Tage, und ſie brach auch über das Schwaben- land herein. —
In Baden hatte die Regierung ſeit Blittersdorff’s Sturz für längere Zeit allen Halt verloren. Weder Böckh noch der gelehrte Nebenius, der wieder in das Miniſterium zurückgerufen wurde, vermochte mit dem Land- tag auszukommen. Hinter und neben ihnen wirkten im hohen Beamten- thum Männer von entſchieden reactionärer Geſinnung wie Rüdt v. Collenbach und Rettig; und dazu währten am Hofe die geheimen Zwiſtigkeiten fort, da Großherzog Leopold in ſeiner unentſchloſſenen Schwäche überall um Rath
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Römer. Stuttgarter Hungerkrawall.
nichts, der Haß iſt zu groß; ich werde mich in Stuttgart jedes politiſchen
Rathſchlages enthalten, das könnte nur ſchaden. Er urtheilte richtig.
Die von der Preſſe beſtändig gebrandmarkte moskowitiſche Oberherrſchaft
beſtand zur Zeit nur in der Einbildung der Liberalen: weder König
Friedrich Wilhelm noch der Bundestag noch die Höfe der Mittelſtaaten
ließen ſich in ihrer inneren Politik durch Petersburger Machtſprüche leiten.
Nicolaus tröſtete ſich über ſolche unliebſame Wahrnehmungen, indem er
drohend ſagte: „wenn man mich aber brauchen ſollte, dann bin ich da
und werde gern helfen!“ *) In der That ſollte nur zu bald, nach der
Revolution, eine Zeit erſcheinen, da der von den Liberalen ſo oft an
die Wand gemalte moskowitiſche Teufel plötzlich lebendig wurde.
Nun kamen die Hungerjahre, ſie brachten dem zerſtückelten, überſchul-
deten Kleingrundbeſitze Württembergs zahlloſe Zwangsverſteigerungen und
entſetzliches Elend. Im Mai 1847 rottete ſich der Stuttgarter Pöbel zu
einem Hungerkrawall zuſammen. Der König ritt hinaus, allein, wie einſt
an ſeinem Jubeltage, er dachte durch ſein Erſcheinen die Tobenden zu be-
ſchwichtigen. Wie ward ihm aber, als ihn die Maſſen mit Verwünſchungen
und Steinwürfen empfingen. Raſch entſchloſſen führte er ſelbſt ſeine
Truppen zum Angriff vor, und der Auflauf wurde nicht ohne Blutver-
gießen unterdrückt. Dieſe Stunde blieb dem Könige unvergeßlich; ſeit er
die Launen der Volksgunſt alſo durch perſönlichen Schimpf erfahren hatte,
befeſtigte er ſich mehr und mehr in ſeiner harten Menſchenverachtung. Tief
empört ſagte er nachher zu Radowitz: „Ein ſolcher Undank nach einer
dreißigjährigen Regierung!“ Er glaubte feſt — ſo blind war ſein Zorn
— daß Römer, Murſchel und andere Liberale einen großen Aufſtand
beabſichtigt hätten, und bedauerte nur die Verräther nicht überführen zu
können. **) Als Römer im Febr. 1848 dieſe Vorfälle im Landtage zur
Sprache brachte und die Frage ſtellte, wann die Anwendung von Waffen-
gewalt erlaubt ſei, da wollten ſelbſt viele ſeiner Freunde dem Führer der
Oppoſition nicht mehr folgen, und Miniſter Schlayer erwiderte: das heiße
ſich gleichſam auf die Seite der Umſturzpartei ſtellen. Alle zitterten vor
der Revolution. Nur wenige Tage, und ſie brach auch über das Schwaben-
land herein. —
In Baden hatte die Regierung ſeit Blittersdorff’s Sturz für längere
Zeit allen Halt verloren. Weder Böckh noch der gelehrte Nebenius, der
wieder in das Miniſterium zurückgerufen wurde, vermochte mit dem Land-
tag auszukommen. Hinter und neben ihnen wirkten im hohen Beamten-
thum Männer von entſchieden reactionärer Geſinnung wie Rüdt v. Collenbach
und Rettig; und dazu währten am Hofe die geheimen Zwiſtigkeiten fort, da
Großherzog Leopold in ſeiner unentſchloſſenen Schwäche überall um Rath
*) Rochow’s Berichte, Petersburg, 28. Jan., 4. Febr., 12. Aug., 14. Sept. 1846.
**) Radowitz’s Bericht, 27. Mai 1847.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 675. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/689>, abgerufen am 21.11.2024.
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