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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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V. 9. Der Niedergang des Deutschen Bundes.
blühte die republikanische Phrase, ohne die dynastische Gesinnung im
Mindesten zu beeinträchtigen. In Weimar führten der wenig begabte,
aber rechtschaffene Großherzog Karl Friedrich und seine edle wohlthätige
Gemahlin, die einst von Schiller besungene Maria Paulowna eine harm-
lose patriarchalische Herrschaft, desgleichen in Meiningen Herzog Bern-
hard Erich Freund, und in Gotha begann der junge Herzog Ernst II. mit
großem Geräusch ein liberales Regiment, das dem Landadel schon viel zu
weit ging. Wildschäden gab es freilich in Menge, und der Unterhalt so vieler
Höfe verschlang ganz unverhältnißmäßige Summen, doch dafür war auch
das ganze Waldgebirge ein wohlgepflegter schöner Wildpark zur Freude des
Volks, und von den Ausgaben der Höfe wurde doch ein großer Theil
väterlich zum Wohle des Landes verwendet. Die Lächerlichkeit ihrer macht-
losen Scheinstaaten empfanden die Thüringer durchaus nicht; was die Ge-
müther erregte war ein unbestimmter, durch die Eintönigkeit der langen
Friedenszeit genährter Thatendrang und eine vorlaute Zuchtlosigkeit, welche
die schwachen Regierungen nicht zu bemeistern verstanden. --

Weit reicher erschien das öffentliche Leben im Südwesten; dieser
Winkel Deutschlands wurde für einige Jahre zum Heerde der nationalen
Idee. In Württemberg feierte König Wilhelm (1841) den fünfund-
zwanzigsten Jahrestag seiner Thronbesteigung, und als er am Festtage
allein durch die Straßen seiner Hauptstadt ritt, da umringte ihn das
Volk mit donnerndem Jubel. Das ganze Land wetteiferte in freudigen
Huldigungen, fast in jeder größeren Ortschaft ward eine Wilhelms-
linde, eine Königseiche gepflanzt, in Stuttgart sollte zur Erinnerung eine
hohe Trajanssäule vor dem Schlosse errichtet werden. Seitdem rechnete
Wilhelm sicher auf die Dankbarkeit seines Volkes, die er sich auch durch
die Wohlthaten einer geordneten, sorgsamen Verwaltung verdient hatte;
er wußte jetzt Alles am besten, da kein anderer Fürst eine so reiche consti-
tutionelle Erfahrung besaß, und nannte seine Minister selbst zuweilen gering-
schätzig "meine Doctrinäre". Die deutschen Höfe schätzten ihn als einen
klugen, der Herrschaft kundigen Fürsten, Vertrauen und Liebe fand er
wenig. Mit dem preußischen Gesandten General Rochow, der hier im
Süden weit nützlicher wirkte als späterhin in Rußland, verkehrte er sehr
viel; er freute sich, daß sein Neffe Prinz August in der Berliner Garde
so ganz zum Preußen geworden war, und wünschte lebhaft, Preußen möge
statt des morschen Oesterreichs die Führung des Deutschen Bundes über-
nehmen. Rochow wußte jedoch, daß der Schwabenkönig dem österreichischen
Gesandten gegenüber ganz ebenso gehässig über Preußen sprach, und be-
richtete freimüthig: "in seinem Wesen ist die bekannte württembergische
Hausphysiognomie stets ausgeprägt."*)

Preßfreiheit, Volksbewaffnung, öffentliche Rechtspflege -- so lautete

*) Rochow's Berichte, 12. Jan. 1840, 25. Sept. 1843 ff.

V. 9. Der Niedergang des Deutſchen Bundes.
blühte die republikaniſche Phraſe, ohne die dynaſtiſche Geſinnung im
Mindeſten zu beeinträchtigen. In Weimar führten der wenig begabte,
aber rechtſchaffene Großherzog Karl Friedrich und ſeine edle wohlthätige
Gemahlin, die einſt von Schiller beſungene Maria Paulowna eine harm-
loſe patriarchaliſche Herrſchaft, desgleichen in Meiningen Herzog Bern-
hard Erich Freund, und in Gotha begann der junge Herzog Ernſt II. mit
großem Geräuſch ein liberales Regiment, das dem Landadel ſchon viel zu
weit ging. Wildſchäden gab es freilich in Menge, und der Unterhalt ſo vieler
Höfe verſchlang ganz unverhältnißmäßige Summen, doch dafür war auch
das ganze Waldgebirge ein wohlgepflegter ſchöner Wildpark zur Freude des
Volks, und von den Ausgaben der Höfe wurde doch ein großer Theil
väterlich zum Wohle des Landes verwendet. Die Lächerlichkeit ihrer macht-
loſen Scheinſtaaten empfanden die Thüringer durchaus nicht; was die Ge-
müther erregte war ein unbeſtimmter, durch die Eintönigkeit der langen
Friedenszeit genährter Thatendrang und eine vorlaute Zuchtloſigkeit, welche
die ſchwachen Regierungen nicht zu bemeiſtern verſtanden. —

Weit reicher erſchien das öffentliche Leben im Südweſten; dieſer
Winkel Deutſchlands wurde für einige Jahre zum Heerde der nationalen
Idee. In Württemberg feierte König Wilhelm (1841) den fünfund-
zwanzigſten Jahrestag ſeiner Thronbeſteigung, und als er am Feſttage
allein durch die Straßen ſeiner Hauptſtadt ritt, da umringte ihn das
Volk mit donnerndem Jubel. Das ganze Land wetteiferte in freudigen
Huldigungen, faſt in jeder größeren Ortſchaft ward eine Wilhelms-
linde, eine Königseiche gepflanzt, in Stuttgart ſollte zur Erinnerung eine
hohe Trajansſäule vor dem Schloſſe errichtet werden. Seitdem rechnete
Wilhelm ſicher auf die Dankbarkeit ſeines Volkes, die er ſich auch durch
die Wohlthaten einer geordneten, ſorgſamen Verwaltung verdient hatte;
er wußte jetzt Alles am beſten, da kein anderer Fürſt eine ſo reiche conſti-
tutionelle Erfahrung beſaß, und nannte ſeine Miniſter ſelbſt zuweilen gering-
ſchätzig „meine Doctrinäre“. Die deutſchen Höfe ſchätzten ihn als einen
klugen, der Herrſchaft kundigen Fürſten, Vertrauen und Liebe fand er
wenig. Mit dem preußiſchen Geſandten General Rochow, der hier im
Süden weit nützlicher wirkte als ſpäterhin in Rußland, verkehrte er ſehr
viel; er freute ſich, daß ſein Neffe Prinz Auguſt in der Berliner Garde
ſo ganz zum Preußen geworden war, und wünſchte lebhaft, Preußen möge
ſtatt des morſchen Oeſterreichs die Führung des Deutſchen Bundes über-
nehmen. Rochow wußte jedoch, daß der Schwabenkönig dem öſterreichiſchen
Geſandten gegenüber ganz ebenſo gehäſſig über Preußen ſprach, und be-
richtete freimüthig: „in ſeinem Weſen iſt die bekannte württembergiſche
Hausphyſiognomie ſtets ausgeprägt.“*)

Preßfreiheit, Volksbewaffnung, öffentliche Rechtspflege — ſo lautete

*) Rochow’s Berichte, 12. Jan. 1840, 25. Sept. 1843 ff.
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[672/0686] V. 9. Der Niedergang des Deutſchen Bundes. blühte die republikaniſche Phraſe, ohne die dynaſtiſche Geſinnung im Mindeſten zu beeinträchtigen. In Weimar führten der wenig begabte, aber rechtſchaffene Großherzog Karl Friedrich und ſeine edle wohlthätige Gemahlin, die einſt von Schiller beſungene Maria Paulowna eine harm- loſe patriarchaliſche Herrſchaft, desgleichen in Meiningen Herzog Bern- hard Erich Freund, und in Gotha begann der junge Herzog Ernſt II. mit großem Geräuſch ein liberales Regiment, das dem Landadel ſchon viel zu weit ging. Wildſchäden gab es freilich in Menge, und der Unterhalt ſo vieler Höfe verſchlang ganz unverhältnißmäßige Summen, doch dafür war auch das ganze Waldgebirge ein wohlgepflegter ſchöner Wildpark zur Freude des Volks, und von den Ausgaben der Höfe wurde doch ein großer Theil väterlich zum Wohle des Landes verwendet. Die Lächerlichkeit ihrer macht- loſen Scheinſtaaten empfanden die Thüringer durchaus nicht; was die Ge- müther erregte war ein unbeſtimmter, durch die Eintönigkeit der langen Friedenszeit genährter Thatendrang und eine vorlaute Zuchtloſigkeit, welche die ſchwachen Regierungen nicht zu bemeiſtern verſtanden. — Weit reicher erſchien das öffentliche Leben im Südweſten; dieſer Winkel Deutſchlands wurde für einige Jahre zum Heerde der nationalen Idee. In Württemberg feierte König Wilhelm (1841) den fünfund- zwanzigſten Jahrestag ſeiner Thronbeſteigung, und als er am Feſttage allein durch die Straßen ſeiner Hauptſtadt ritt, da umringte ihn das Volk mit donnerndem Jubel. Das ganze Land wetteiferte in freudigen Huldigungen, faſt in jeder größeren Ortſchaft ward eine Wilhelms- linde, eine Königseiche gepflanzt, in Stuttgart ſollte zur Erinnerung eine hohe Trajansſäule vor dem Schloſſe errichtet werden. Seitdem rechnete Wilhelm ſicher auf die Dankbarkeit ſeines Volkes, die er ſich auch durch die Wohlthaten einer geordneten, ſorgſamen Verwaltung verdient hatte; er wußte jetzt Alles am beſten, da kein anderer Fürſt eine ſo reiche conſti- tutionelle Erfahrung beſaß, und nannte ſeine Miniſter ſelbſt zuweilen gering- ſchätzig „meine Doctrinäre“. Die deutſchen Höfe ſchätzten ihn als einen klugen, der Herrſchaft kundigen Fürſten, Vertrauen und Liebe fand er wenig. Mit dem preußiſchen Geſandten General Rochow, der hier im Süden weit nützlicher wirkte als ſpäterhin in Rußland, verkehrte er ſehr viel; er freute ſich, daß ſein Neffe Prinz Auguſt in der Berliner Garde ſo ganz zum Preußen geworden war, und wünſchte lebhaft, Preußen möge ſtatt des morſchen Oeſterreichs die Führung des Deutſchen Bundes über- nehmen. Rochow wußte jedoch, daß der Schwabenkönig dem öſterreichiſchen Geſandten gegenüber ganz ebenſo gehäſſig über Preußen ſprach, und be- richtete freimüthig: „in ſeinem Weſen iſt die bekannte württembergiſche Hausphyſiognomie ſtets ausgeprägt.“ *) Preßfreiheit, Volksbewaffnung, öffentliche Rechtspflege — ſo lautete *) Rochow’s Berichte, 12. Jan. 1840, 25. Sept. 1843 ff.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 672. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/686>, abgerufen am 22.11.2024.