guten Gründen, aber noch ganz vergeblich die vollständige Theilnahme an allen landständischen Rechten, die ihnen vom Adel bestritten wurde; und tief bekümmert klagte der alte Großherzog Georg von Strelitz seinem preußischen Neffen: "Sie wissen, daß unsere bürgerlichen Gutsbesitzer leider -- wenigstens die bedeutende Mehrzahl derselben -- zu der libe- ralen Partei gehören, welche immer mehr und mehr und um so schmerz- licher hervortritt, als die Fortschritte, die wir in wünschenswerthen Dingen machen, keineswegs gleichen Schritt mit diesem sogenannten Fortschritt halten."*) Die Sache der Bürgerlichen führte sehr würdig der Rostocker Germanist Georg Beseler, der Bruder des Schleswigholsteiners, für den Adel schrieb mit gewohnter Derbheit der alte Minister Kamptz, der den mecklen- burgischen Edelmann nie vergessen konnte. Was dieser Adel unter wün- schenswerthem Fortschritt verstand, das zeigte ein Landtagsbeschluß, der die beiden Serenissimi um Preßfreiheit bat, weil die Frechheit der liberalen Zeitungen nicht durch schlaffe Censur, sondern nur durch empfindliche Strafen bekämpft werden könne.
Ein ganz anderes und doch auch ein unheimliches Bild boten die sächsischen Zustände. Der gute König Friedrich August bemühte sich red- lich, den inneren Frieden wiederherzustellen, und von schwerem Druck ließ sich, einige Zeitungsverbote abgerechnet, auch nichts spüren. Aber der unselige Leipziger Straßenkampf hatte im Volke sehr viel Groll zu- rückgelassen. Die Opposition im Landtage, die von der nationalen Ge- sinnung des süddeutschen Liberalismus wenig besaß, bemühte sich was ihr an Talent fehlte durch ungeschliffene Grobheit zu ersetzen; sie hinter- trieb die dringend nöthige, durch das Bundesgesetz gebotene Organisation der Armeereserve, sie verlangte wiederholt, daß die Truppen auf die Ver- fassung vereidigt werden müßten, und suchte durch kleinliche, oft lächerliche Beschwerden die Soldaten gegen ihre Vorgesetzten aufzuwiegeln. Ihrer besonderen Gunst erfreuten sich die Turnvereine, die in Sachsen bald ganz dem Radicalismus anheimfielen und zu einer Pflanzschule des Barrikaden- kampfes wurden. Der Vorschlag, die militärische Volkserziehung durch die Turnerei zu ersetzen -- ein Gedanke, dem der Prinz von Preußen sogar im preußischen Staatsministerium hatte entgegentreten müssen -- war hierzu- lande gäng und gäbe. Einmal ließ der Kriegsminister Nostitz-Wallwitz, ein kurz angebundener Soldat, ein Commisbrod gradeswegs aus der Kaserne in die Kammersitzung bringen und zwang die Liberalen, sich persönlich von der Schmackhaftigkeit dieses unmäßig gescholtenen Leckerbissens zu überzeugen.
Das war ein Lichtblick in dem unerquicklichen Einerlei dieser aufge- regten und doch inhaltlosen Landtagsverhandlungen. Unterdessen wuchs im Volke, gefördert durch Robert Blum und die Unzahl der Advokaten, eine unklare radicale Verstimmung, und auch in dem stillen Thüringen
*) Großherzog Georg v. Strelitz an König Friedrich Wilhelm, 23. Sept. 1844.
Mecklenburg. Sachſen.
guten Gründen, aber noch ganz vergeblich die vollſtändige Theilnahme an allen landſtändiſchen Rechten, die ihnen vom Adel beſtritten wurde; und tief bekümmert klagte der alte Großherzog Georg von Strelitz ſeinem preußiſchen Neffen: „Sie wiſſen, daß unſere bürgerlichen Gutsbeſitzer leider — wenigſtens die bedeutende Mehrzahl derſelben — zu der libe- ralen Partei gehören, welche immer mehr und mehr und um ſo ſchmerz- licher hervortritt, als die Fortſchritte, die wir in wünſchenswerthen Dingen machen, keineswegs gleichen Schritt mit dieſem ſogenannten Fortſchritt halten.“*) Die Sache der Bürgerlichen führte ſehr würdig der Roſtocker Germaniſt Georg Beſeler, der Bruder des Schleswigholſteiners, für den Adel ſchrieb mit gewohnter Derbheit der alte Miniſter Kamptz, der den mecklen- burgiſchen Edelmann nie vergeſſen konnte. Was dieſer Adel unter wün- ſchenswerthem Fortſchritt verſtand, das zeigte ein Landtagsbeſchluß, der die beiden Sereniſſimi um Preßfreiheit bat, weil die Frechheit der liberalen Zeitungen nicht durch ſchlaffe Cenſur, ſondern nur durch empfindliche Strafen bekämpft werden könne.
Ein ganz anderes und doch auch ein unheimliches Bild boten die ſächſiſchen Zuſtände. Der gute König Friedrich Auguſt bemühte ſich red- lich, den inneren Frieden wiederherzuſtellen, und von ſchwerem Druck ließ ſich, einige Zeitungsverbote abgerechnet, auch nichts ſpüren. Aber der unſelige Leipziger Straßenkampf hatte im Volke ſehr viel Groll zu- rückgelaſſen. Die Oppoſition im Landtage, die von der nationalen Ge- ſinnung des ſüddeutſchen Liberalismus wenig beſaß, bemühte ſich was ihr an Talent fehlte durch ungeſchliffene Grobheit zu erſetzen; ſie hinter- trieb die dringend nöthige, durch das Bundesgeſetz gebotene Organiſation der Armeereſerve, ſie verlangte wiederholt, daß die Truppen auf die Ver- faſſung vereidigt werden müßten, und ſuchte durch kleinliche, oft lächerliche Beſchwerden die Soldaten gegen ihre Vorgeſetzten aufzuwiegeln. Ihrer beſonderen Gunſt erfreuten ſich die Turnvereine, die in Sachſen bald ganz dem Radicalismus anheimfielen und zu einer Pflanzſchule des Barrikaden- kampfes wurden. Der Vorſchlag, die militäriſche Volkserziehung durch die Turnerei zu erſetzen — ein Gedanke, dem der Prinz von Preußen ſogar im preußiſchen Staatsminiſterium hatte entgegentreten müſſen — war hierzu- lande gäng und gäbe. Einmal ließ der Kriegsminiſter Noſtitz-Wallwitz, ein kurz angebundener Soldat, ein Commisbrod gradeswegs aus der Kaſerne in die Kammerſitzung bringen und zwang die Liberalen, ſich perſönlich von der Schmackhaftigkeit dieſes unmäßig geſcholtenen Leckerbiſſens zu überzeugen.
Das war ein Lichtblick in dem unerquicklichen Einerlei dieſer aufge- regten und doch inhaltloſen Landtagsverhandlungen. Unterdeſſen wuchs im Volke, gefördert durch Robert Blum und die Unzahl der Advokaten, eine unklare radicale Verſtimmung, und auch in dem ſtillen Thüringen
*) Großherzog Georg v. Strelitz an König Friedrich Wilhelm, 23. Sept. 1844.
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[671/0685]
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guten Gründen, aber noch ganz vergeblich die vollſtändige Theilnahme an
allen landſtändiſchen Rechten, die ihnen vom Adel beſtritten wurde; und
tief bekümmert klagte der alte Großherzog Georg von Strelitz ſeinem
preußiſchen Neffen: „Sie wiſſen, daß unſere bürgerlichen Gutsbeſitzer
leider — wenigſtens die bedeutende Mehrzahl derſelben — zu der libe-
ralen Partei gehören, welche immer mehr und mehr und um ſo ſchmerz-
licher hervortritt, als die Fortſchritte, die wir in wünſchenswerthen Dingen
machen, keineswegs gleichen Schritt mit dieſem ſogenannten Fortſchritt
halten.“ *) Die Sache der Bürgerlichen führte ſehr würdig der Roſtocker
Germaniſt Georg Beſeler, der Bruder des Schleswigholſteiners, für den Adel
ſchrieb mit gewohnter Derbheit der alte Miniſter Kamptz, der den mecklen-
burgiſchen Edelmann nie vergeſſen konnte. Was dieſer Adel unter wün-
ſchenswerthem Fortſchritt verſtand, das zeigte ein Landtagsbeſchluß, der
die beiden Sereniſſimi um Preßfreiheit bat, weil die Frechheit der liberalen
Zeitungen nicht durch ſchlaffe Cenſur, ſondern nur durch empfindliche
Strafen bekämpft werden könne.
Ein ganz anderes und doch auch ein unheimliches Bild boten die
ſächſiſchen Zuſtände. Der gute König Friedrich Auguſt bemühte ſich red-
lich, den inneren Frieden wiederherzuſtellen, und von ſchwerem Druck
ließ ſich, einige Zeitungsverbote abgerechnet, auch nichts ſpüren. Aber
der unſelige Leipziger Straßenkampf hatte im Volke ſehr viel Groll zu-
rückgelaſſen. Die Oppoſition im Landtage, die von der nationalen Ge-
ſinnung des ſüddeutſchen Liberalismus wenig beſaß, bemühte ſich was
ihr an Talent fehlte durch ungeſchliffene Grobheit zu erſetzen; ſie hinter-
trieb die dringend nöthige, durch das Bundesgeſetz gebotene Organiſation
der Armeereſerve, ſie verlangte wiederholt, daß die Truppen auf die Ver-
faſſung vereidigt werden müßten, und ſuchte durch kleinliche, oft lächerliche
Beſchwerden die Soldaten gegen ihre Vorgeſetzten aufzuwiegeln. Ihrer
beſonderen Gunſt erfreuten ſich die Turnvereine, die in Sachſen bald ganz
dem Radicalismus anheimfielen und zu einer Pflanzſchule des Barrikaden-
kampfes wurden. Der Vorſchlag, die militäriſche Volkserziehung durch die
Turnerei zu erſetzen — ein Gedanke, dem der Prinz von Preußen ſogar im
preußiſchen Staatsminiſterium hatte entgegentreten müſſen — war hierzu-
lande gäng und gäbe. Einmal ließ der Kriegsminiſter Noſtitz-Wallwitz, ein
kurz angebundener Soldat, ein Commisbrod gradeswegs aus der Kaſerne
in die Kammerſitzung bringen und zwang die Liberalen, ſich perſönlich von
der Schmackhaftigkeit dieſes unmäßig geſcholtenen Leckerbiſſens zu überzeugen.
Das war ein Lichtblick in dem unerquicklichen Einerlei dieſer aufge-
regten und doch inhaltloſen Landtagsverhandlungen. Unterdeſſen wuchs
im Volke, gefördert durch Robert Blum und die Unzahl der Advokaten,
eine unklare radicale Verſtimmung, und auch in dem ſtillen Thüringen
*) Großherzog Georg v. Strelitz an König Friedrich Wilhelm, 23. Sept. 1844.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 671. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/685>, abgerufen am 23.07.2024.
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