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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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V. 9. Der Niedergang des Deutschen Bundes.
ungebärdig gegen den preußischen Nachbarn. Ich empfange keinen katho-
lischen Diplomaten aus Preußen -- so sagte er trotzig, als ihm die Er-
nennung des Grafen Westphalen zum preußischen Gesandten angekündigt
wurde. Der eingefleischte Papistenhaß des alten Orangemannes mochte
dabei wohl mitwirken; entscheidend blieb doch, daß Westphalen der Schwieger-
sohn des verabscheuten Canitz war. Da König Friedrich Wilhelm nach
preußischer Ueberlieferung sich diese grundsätzliche Verschmähung eines
Katholiken nicht bieten lassen durfte, so mußte der Gesandtschaftsposten in
Hannover längere Zeit unbesetzt bleiben.*) Noch hochmüthiger verfuhr
Ernst August gegen die kleinen Nachbarfürsten. Wie tobte er, als der
Cabinetsrath des Großherzogs von Oldenburg Starklof in einem Romane
den Gedanken ausgeführt hatte: ein blinder Bauernsohn dürfe nirgends
den väterlichen Hof erben, noch viel weniger also ein blinder Königssohn
die Krone. Er ließ nicht ab bis Starklof entlassen war.

Dieser Roman verletzte ihn in seinen theuersten Gefühlen; denn das
blieb sein besonderer Stolz, daß er, gegen die Gesetze der Natur, gegen
das Reichsrecht, gegen den alten Hausbrauch der Welfen selbst, seinem
Sohne die Krone gesichert hatte. So oft er verreiste, übertrug er dem
Blinden die Regierungsgeschäfte; die Welt sollte wissen, im Welfenlande
sei auch das Unmögliche möglich. Der Kronprinz zeigte sich jetzt schon
als würdiger Abkomme der Stuarts, er sprach mit unheimlicher Selbst-
überhebung von dem Lehen Gottes, das ihm dereinst zufallen würde, von
der ewigen Dauer des Welfenreichs. Mit derselben lästerlichen Zuver-
sicht, nur ohne Salbung redete der Vater. Im April 1847 wagten ihn
seine getreuen Stände um Oeffentlichkeit der Landtagsverhandlungen an-
zugehen; sogar die erste Kammer hatte beinahe einstimmig beigepflichtet,
so weit war der Wind schon umgeschlagen. Da erschien am 21. April
eine von Falcke gegengezeichnete königliche Antwort. Der alte Minister
Scheele war mittlerweile gestorben, aber der allen welfischen Schriftstücken
eigenthümliche brutale Ton hatte sich nicht verändert. Mit einem Schwall
ungnädiger Worte hielt der König seinen Ständen vor: die Oeffentlichkeit
des Landtags würde nur unerreichbare Wünsche erwecken, eine erkünstelte
öffentliche Meinung bilden, die Massen aufregen und verblenden. Dann
schloß er: "Wir haben demnach unabänderlich beschlossen, eine Oeffent-
lichkeit der Sitzungen der Kammern niemals zu gestatten." So sprach
der Welfe sein Niemals -- wenige Tage nachdem König Friedrich Wilhelm
dem Vereinigten Landtage sein Nie und nimmermehr! zugerufen hatte. Nur
ein Jahr, und der Oheim wie der Neffe sollte erfahren, daß auch Könige
dem lebendigen Gott seine Wege nicht vorschreiben können.

Selbst das stille Mecklenburg blieb von der liberalen Zeitströmung
nicht mehr unberührt. Die bürgerlichen Grundherren verlangten, mit

*) Knyphausen's Bericht, 7. Oct. 1847.

V. 9. Der Niedergang des Deutſchen Bundes.
ungebärdig gegen den preußiſchen Nachbarn. Ich empfange keinen katho-
liſchen Diplomaten aus Preußen — ſo ſagte er trotzig, als ihm die Er-
nennung des Grafen Weſtphalen zum preußiſchen Geſandten angekündigt
wurde. Der eingefleiſchte Papiſtenhaß des alten Orangemannes mochte
dabei wohl mitwirken; entſcheidend blieb doch, daß Weſtphalen der Schwieger-
ſohn des verabſcheuten Canitz war. Da König Friedrich Wilhelm nach
preußiſcher Ueberlieferung ſich dieſe grundſätzliche Verſchmähung eines
Katholiken nicht bieten laſſen durfte, ſo mußte der Geſandtſchaftspoſten in
Hannover längere Zeit unbeſetzt bleiben.*) Noch hochmüthiger verfuhr
Ernſt Auguſt gegen die kleinen Nachbarfürſten. Wie tobte er, als der
Cabinetsrath des Großherzogs von Oldenburg Starklof in einem Romane
den Gedanken ausgeführt hatte: ein blinder Bauernſohn dürfe nirgends
den väterlichen Hof erben, noch viel weniger alſo ein blinder Königsſohn
die Krone. Er ließ nicht ab bis Starklof entlaſſen war.

Dieſer Roman verletzte ihn in ſeinen theuerſten Gefühlen; denn das
blieb ſein beſonderer Stolz, daß er, gegen die Geſetze der Natur, gegen
das Reichsrecht, gegen den alten Hausbrauch der Welfen ſelbſt, ſeinem
Sohne die Krone geſichert hatte. So oft er verreiſte, übertrug er dem
Blinden die Regierungsgeſchäfte; die Welt ſollte wiſſen, im Welfenlande
ſei auch das Unmögliche möglich. Der Kronprinz zeigte ſich jetzt ſchon
als würdiger Abkomme der Stuarts, er ſprach mit unheimlicher Selbſt-
überhebung von dem Lehen Gottes, das ihm dereinſt zufallen würde, von
der ewigen Dauer des Welfenreichs. Mit derſelben läſterlichen Zuver-
ſicht, nur ohne Salbung redete der Vater. Im April 1847 wagten ihn
ſeine getreuen Stände um Oeffentlichkeit der Landtagsverhandlungen an-
zugehen; ſogar die erſte Kammer hatte beinahe einſtimmig beigepflichtet,
ſo weit war der Wind ſchon umgeſchlagen. Da erſchien am 21. April
eine von Falcke gegengezeichnete königliche Antwort. Der alte Miniſter
Scheele war mittlerweile geſtorben, aber der allen welfiſchen Schriftſtücken
eigenthümliche brutale Ton hatte ſich nicht verändert. Mit einem Schwall
ungnädiger Worte hielt der König ſeinen Ständen vor: die Oeffentlichkeit
des Landtags würde nur unerreichbare Wünſche erwecken, eine erkünſtelte
öffentliche Meinung bilden, die Maſſen aufregen und verblenden. Dann
ſchloß er: „Wir haben demnach unabänderlich beſchloſſen, eine Oeffent-
lichkeit der Sitzungen der Kammern niemals zu geſtatten.“ So ſprach
der Welfe ſein Niemals — wenige Tage nachdem König Friedrich Wilhelm
dem Vereinigten Landtage ſein Nie und nimmermehr! zugerufen hatte. Nur
ein Jahr, und der Oheim wie der Neffe ſollte erfahren, daß auch Könige
dem lebendigen Gott ſeine Wege nicht vorſchreiben können.

Selbſt das ſtille Mecklenburg blieb von der liberalen Zeitſtrömung
nicht mehr unberührt. Die bürgerlichen Grundherren verlangten, mit

*) Knyphauſen’s Bericht, 7. Oct. 1847.
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[670/0684] V. 9. Der Niedergang des Deutſchen Bundes. ungebärdig gegen den preußiſchen Nachbarn. Ich empfange keinen katho- liſchen Diplomaten aus Preußen — ſo ſagte er trotzig, als ihm die Er- nennung des Grafen Weſtphalen zum preußiſchen Geſandten angekündigt wurde. Der eingefleiſchte Papiſtenhaß des alten Orangemannes mochte dabei wohl mitwirken; entſcheidend blieb doch, daß Weſtphalen der Schwieger- ſohn des verabſcheuten Canitz war. Da König Friedrich Wilhelm nach preußiſcher Ueberlieferung ſich dieſe grundſätzliche Verſchmähung eines Katholiken nicht bieten laſſen durfte, ſo mußte der Geſandtſchaftspoſten in Hannover längere Zeit unbeſetzt bleiben. *) Noch hochmüthiger verfuhr Ernſt Auguſt gegen die kleinen Nachbarfürſten. Wie tobte er, als der Cabinetsrath des Großherzogs von Oldenburg Starklof in einem Romane den Gedanken ausgeführt hatte: ein blinder Bauernſohn dürfe nirgends den väterlichen Hof erben, noch viel weniger alſo ein blinder Königsſohn die Krone. Er ließ nicht ab bis Starklof entlaſſen war. Dieſer Roman verletzte ihn in ſeinen theuerſten Gefühlen; denn das blieb ſein beſonderer Stolz, daß er, gegen die Geſetze der Natur, gegen das Reichsrecht, gegen den alten Hausbrauch der Welfen ſelbſt, ſeinem Sohne die Krone geſichert hatte. So oft er verreiſte, übertrug er dem Blinden die Regierungsgeſchäfte; die Welt ſollte wiſſen, im Welfenlande ſei auch das Unmögliche möglich. Der Kronprinz zeigte ſich jetzt ſchon als würdiger Abkomme der Stuarts, er ſprach mit unheimlicher Selbſt- überhebung von dem Lehen Gottes, das ihm dereinſt zufallen würde, von der ewigen Dauer des Welfenreichs. Mit derſelben läſterlichen Zuver- ſicht, nur ohne Salbung redete der Vater. Im April 1847 wagten ihn ſeine getreuen Stände um Oeffentlichkeit der Landtagsverhandlungen an- zugehen; ſogar die erſte Kammer hatte beinahe einſtimmig beigepflichtet, ſo weit war der Wind ſchon umgeſchlagen. Da erſchien am 21. April eine von Falcke gegengezeichnete königliche Antwort. Der alte Miniſter Scheele war mittlerweile geſtorben, aber der allen welfiſchen Schriftſtücken eigenthümliche brutale Ton hatte ſich nicht verändert. Mit einem Schwall ungnädiger Worte hielt der König ſeinen Ständen vor: die Oeffentlichkeit des Landtags würde nur unerreichbare Wünſche erwecken, eine erkünſtelte öffentliche Meinung bilden, die Maſſen aufregen und verblenden. Dann ſchloß er: „Wir haben demnach unabänderlich beſchloſſen, eine Oeffent- lichkeit der Sitzungen der Kammern niemals zu geſtatten.“ So ſprach der Welfe ſein Niemals — wenige Tage nachdem König Friedrich Wilhelm dem Vereinigten Landtage ſein Nie und nimmermehr! zugerufen hatte. Nur ein Jahr, und der Oheim wie der Neffe ſollte erfahren, daß auch Könige dem lebendigen Gott ſeine Wege nicht vorſchreiben können. Selbſt das ſtille Mecklenburg blieb von der liberalen Zeitſtrömung nicht mehr unberührt. Die bürgerlichen Grundherren verlangten, mit *) Knyphauſen’s Bericht, 7. Oct. 1847.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 670. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/684>, abgerufen am 22.11.2024.