sahen. Die Berliner aber begrüßten fortan jede Niederlage ihres Königs mit lauter Schadenfreude; sie verspotteten sich selbst wegen der Begeisterung der Huldigungstage und übersetzten die damals so oft gehörten Worte: "das gelobe und schwöre ich" mit dem anmuthigen Satze: "dat jlobe ik schwerlich."
Die nächsten Wochen brachten einige wichtige Berufungen. Geh. Rath Eichhorn wurde zum Nachfolger Altenstein's ernannt, und seine Beförderung befriedigte das Publikum; denn obwohl die in der Politik gründlich unwissenden Hauptstädter nie ein Wort davon erfahren hatten, was dieser Mann für die Geschichte des Zollvereins bedeutete, so wußten sie doch durch das Stadtgerede, daß er in Wien als Demagog verrufen war; und überdies besaß er ein Verdienst, das die Stadt der Intelligenz einem Minister sehr hoch anrechnete: er war bürgerlich. Auch die Be- rufung der Gebrüder Grimm an die Berliner Akademie fand allgemeine Zustimmung. Mit Albrecht ward ebenfalls verhandelt; er lehnte jedoch ab, aus Dankbarkeit gegen seine sächsischen Gönner. Man konnte nicht leugnen, daß der König die hochherzige Absicht hegte, die Mißhandlung der Göttinger Sieben zu sühnen. Die Freude währte nicht lange, denn zur selben Zeit ward der Schwager der Grimms, Hassenpflug an das Berliner Obertribunal berufen. Der hatte seit seinen hessischen Mißge- schicken erst in Sigmaringen, dann in Luxemburg als Minister gewirkt und sich in der Westmark redlich bemüht, die Unabhängigkeit des deutschen Großherzogthums gegenüber dem niederländischen Königreiche zu sichern. Niemand rechnete ihm das an; er war und blieb der öffentlichen Mei- nung der kurhessische Reaktionsminister. Obwohl er nur ein seiner großen juristischen Befähigung durchaus entsprechendes Richteramt erhielt und niemals auf den Gang der inneren preußischen Politik irgend eine Ein- wirkung ausübte, so befürchtete man doch sogleich das Aergste, da er mit den Gerlachs befreundet war. Ein Gedicht kam in Umlauf, zu singen nach der Melodie des neuen Rheinliedes:
Wir wollen ihn nicht haben, Den Herrn von Haß und Fluch! Scheinheiliger Gespiele Im frommen Höflingstroß, Der Stolberg, Gerlach, Thile, Der Radowitz und Voß.
In solchem Tone redeten die Berliner schon über die Umgebung ihres Königs als der tolle Jubel des Huldigungsfestes noch kaum verhallt war. Die Verse ließen zugleich errathen, wo der Grund dieser gehässigen Opposition lag. Politische Parteien kannte die Hauptstadt noch kaum, die sich noch immer mit Vorliebe über Ballettänzerinnen, Opern und Klaviervirtuosen unterhielt. Doch sie war die Stadt Nicolai's, und ihre selbstgefällige Aufklärung, die sich nach Umständen mit jedem beliebigen christlichen oder jüdischen Mantel schmücken konnte, trug jetzt die Farben der Junghegelianer. Wer den Epigonen Hegel's widersprach war verfehmt.
V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.
ſahen. Die Berliner aber begrüßten fortan jede Niederlage ihres Königs mit lauter Schadenfreude; ſie verſpotteten ſich ſelbſt wegen der Begeiſterung der Huldigungstage und überſetzten die damals ſo oft gehörten Worte: „das gelobe und ſchwöre ich“ mit dem anmuthigen Satze: „dat jlobe ik ſchwerlich.“
Die nächſten Wochen brachten einige wichtige Berufungen. Geh. Rath Eichhorn wurde zum Nachfolger Altenſtein’s ernannt, und ſeine Beförderung befriedigte das Publikum; denn obwohl die in der Politik gründlich unwiſſenden Hauptſtädter nie ein Wort davon erfahren hatten, was dieſer Mann für die Geſchichte des Zollvereins bedeutete, ſo wußten ſie doch durch das Stadtgerede, daß er in Wien als Demagog verrufen war; und überdies beſaß er ein Verdienſt, das die Stadt der Intelligenz einem Miniſter ſehr hoch anrechnete: er war bürgerlich. Auch die Be- rufung der Gebrüder Grimm an die Berliner Akademie fand allgemeine Zuſtimmung. Mit Albrecht ward ebenfalls verhandelt; er lehnte jedoch ab, aus Dankbarkeit gegen ſeine ſächſiſchen Gönner. Man konnte nicht leugnen, daß der König die hochherzige Abſicht hegte, die Mißhandlung der Göttinger Sieben zu ſühnen. Die Freude währte nicht lange, denn zur ſelben Zeit ward der Schwager der Grimms, Haſſenpflug an das Berliner Obertribunal berufen. Der hatte ſeit ſeinen heſſiſchen Mißge- ſchicken erſt in Sigmaringen, dann in Luxemburg als Miniſter gewirkt und ſich in der Weſtmark redlich bemüht, die Unabhängigkeit des deutſchen Großherzogthums gegenüber dem niederländiſchen Königreiche zu ſichern. Niemand rechnete ihm das an; er war und blieb der öffentlichen Mei- nung der kurheſſiſche Reaktionsminiſter. Obwohl er nur ein ſeiner großen juriſtiſchen Befähigung durchaus entſprechendes Richteramt erhielt und niemals auf den Gang der inneren preußiſchen Politik irgend eine Ein- wirkung ausübte, ſo befürchtete man doch ſogleich das Aergſte, da er mit den Gerlachs befreundet war. Ein Gedicht kam in Umlauf, zu ſingen nach der Melodie des neuen Rheinliedes:
Wir wollen ihn nicht haben, Den Herrn von Haß und Fluch! Scheinheiliger Geſpiele Im frommen Höflingstroß, Der Stolberg, Gerlach, Thile, Der Radowitz und Voß.
In ſolchem Tone redeten die Berliner ſchon über die Umgebung ihres Königs als der tolle Jubel des Huldigungsfeſtes noch kaum verhallt war. Die Verſe ließen zugleich errathen, wo der Grund dieſer gehäſſigen Oppoſition lag. Politiſche Parteien kannte die Hauptſtadt noch kaum, die ſich noch immer mit Vorliebe über Ballettänzerinnen, Opern und Klaviervirtuoſen unterhielt. Doch ſie war die Stadt Nicolai’s, und ihre ſelbſtgefällige Aufklärung, die ſich nach Umſtänden mit jedem beliebigen chriſtlichen oder jüdiſchen Mantel ſchmücken konnte, trug jetzt die Farben der Junghegelianer. Wer den Epigonen Hegel’s widerſprach war verfehmt.
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ſahen. Die Berliner aber begrüßten fortan jede Niederlage ihres Königs
mit lauter Schadenfreude; ſie verſpotteten ſich ſelbſt wegen der Begeiſterung
der Huldigungstage und überſetzten die damals ſo oft gehörten Worte: „das
gelobe und ſchwöre ich“ mit dem anmuthigen Satze: „dat jlobe ik ſchwerlich.“
Die nächſten Wochen brachten einige wichtige Berufungen. Geh.
Rath Eichhorn wurde zum Nachfolger Altenſtein’s ernannt, und ſeine
Beförderung befriedigte das Publikum; denn obwohl die in der Politik
gründlich unwiſſenden Hauptſtädter nie ein Wort davon erfahren hatten,
was dieſer Mann für die Geſchichte des Zollvereins bedeutete, ſo wußten
ſie doch durch das Stadtgerede, daß er in Wien als Demagog verrufen
war; und überdies beſaß er ein Verdienſt, das die Stadt der Intelligenz
einem Miniſter ſehr hoch anrechnete: er war bürgerlich. Auch die Be-
rufung der Gebrüder Grimm an die Berliner Akademie fand allgemeine
Zuſtimmung. Mit Albrecht ward ebenfalls verhandelt; er lehnte jedoch
ab, aus Dankbarkeit gegen ſeine ſächſiſchen Gönner. Man konnte nicht
leugnen, daß der König die hochherzige Abſicht hegte, die Mißhandlung
der Göttinger Sieben zu ſühnen. Die Freude währte nicht lange, denn
zur ſelben Zeit ward der Schwager der Grimms, Haſſenpflug an das
Berliner Obertribunal berufen. Der hatte ſeit ſeinen heſſiſchen Mißge-
ſchicken erſt in Sigmaringen, dann in Luxemburg als Miniſter gewirkt
und ſich in der Weſtmark redlich bemüht, die Unabhängigkeit des deutſchen
Großherzogthums gegenüber dem niederländiſchen Königreiche zu ſichern.
Niemand rechnete ihm das an; er war und blieb der öffentlichen Mei-
nung der kurheſſiſche Reaktionsminiſter. Obwohl er nur ein ſeiner großen
juriſtiſchen Befähigung durchaus entſprechendes Richteramt erhielt und
niemals auf den Gang der inneren preußiſchen Politik irgend eine Ein-
wirkung ausübte, ſo befürchtete man doch ſogleich das Aergſte, da er
mit den Gerlachs befreundet war. Ein Gedicht kam in Umlauf, zu ſingen
nach der Melodie des neuen Rheinliedes:
Wir wollen ihn nicht haben,
Den Herrn von Haß und Fluch!
Scheinheiliger Geſpiele
Im frommen Höflingstroß,
Der Stolberg, Gerlach, Thile,
Der Radowitz und Voß.
In ſolchem Tone redeten die Berliner ſchon über die Umgebung
ihres Königs als der tolle Jubel des Huldigungsfeſtes noch kaum verhallt
war. Die Verſe ließen zugleich errathen, wo der Grund dieſer gehäſſigen
Oppoſition lag. Politiſche Parteien kannte die Hauptſtadt noch kaum,
die ſich noch immer mit Vorliebe über Ballettänzerinnen, Opern und
Klaviervirtuoſen unterhielt. Doch ſie war die Stadt Nicolai’s, und ihre
ſelbſtgefällige Aufklärung, die ſich nach Umſtänden mit jedem beliebigen
chriſtlichen oder jüdiſchen Mantel ſchmücken konnte, trug jetzt die Farben
der Junghegelianer. Wer den Epigonen Hegel’s widerſprach war verfehmt.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/68>, abgerufen am 23.11.2024.
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