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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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V. 9. Der Niedergang des Deutschen Bundes.
ständen und der meuterischen Hauptstadt wieder leidlich aus. Unterdessen
that der Sohn das Menschenmögliche um die Sehnsucht nach dem Vater
wach zu halten. Die dem Lande geraubte Rotenburger Quart behielt er
für sich,*) und nachdem der Bundestag sich für incompetent erklärt hatte,
fruchteten alle Klagen der Stände nichts mehr.

Dem Landtage, der allerdings mehrmals wieder aussichtslose Minister-
anklagen versuchte, trat Minister Scheffer mit Geringschätzung, noch höhni-
scher fast als vordem Hassenpflug, entgegen. Er verlangte die Schlüssel
des Ständehauses und ließ, als sie ihm verweigert wurden, die Thüren
erbrechen, die Schlösser verändern; er verjagte die neu angestellten Steno-
graphen, obgleich die Verfassung öffentliche Berathungen verlangte; ein-
mal löste er den Landtag mitten während einer Sitzung auf, mit den
barschen Worten: meine Herren, Sie sind entlassen! Es war als ob er
Händel suchte und geflissentlich immer neue Streitfragen aufspürte. Ganz
unerwartet stellte er die Forderung auf, daß jeder Abgeordnete der drei
in der einen Kammer vereinigten Stände seinem Stande wirklich ange-
hören müsse. Dies war in der Verfassung nicht vorgeschrieben und bis-
her auch nicht befolgt worden. Doch die neue Berliner Lehre von der
ständischen Gliederung hatte jetzt auch in Cassel ihre Gläubigen gefunden.
Die Regierung behauptete hartnäckig, jeder Abgeordnete vertrete nur die
Rechte seines Standes, und nach langem widerwärtigem Streit erreichte
sie in der That, daß zwei Mißliebige dem Landtage fern bleiben mußten.

Den Clericalen war der Mitregent nicht hold; er selbst glaubte freilich
nur an einen Gott, den Mammon, und liebte die reactionären Pietisten,
die sich an ihn herandrängten, sehr wenig, noch weniger aber die römische
Kirche, die so leicht einen Staat im Staate bilden konnte. Darum hatte
der Bischof von Fulda beständig, und meist mit Recht, über kleinliche bu-
reaukratische Quälerei zu klagen. Am allerwenigsten jedoch wollte Friedrich
Wilhelm von den neuen freigeisterischen Kirchen wissen. Metternich, um
dessen Gunst er sich eifrig bemühte weil er seiner Gemahlin den öster-
reichischen Fürstenhut zu verschaffen hoffte, hatte ihn bei einem Besuche
auf dem Johannisberge über die staatsgefährlichen Pläne der Deutsch-
katholiken gründlich belehrt; und es war nur ein lächerlicher Zufall, daß
eben jetzt die Bonner Gelehrten Sybel und Gildemeister, die das Märchen
vom heiligen Rock so gründlich beleuchtet hatten, an die Marburger Uni-
versität berufen wurden. Die literarischen Sünden der Beiden waren ihm
von seinen Räthen sorgfältig verborgen worden.**) Der Kurprinz verfolgte
die deutschkatholische Sekte streng, unbekümmert um die Vorstellungen
des Landtags, verwehrte ihr durchaus Gemeinden zu bilden, obgleich sie
im ganzen Lande kaum hundert Anhänger zählte; er ließ sogar auf dem

*) S. o. IV. 623.
**) Nach einer freundlichen Mittheilung von H. v. Sybel.

V. 9. Der Niedergang des Deutſchen Bundes.
ſtänden und der meuteriſchen Hauptſtadt wieder leidlich aus. Unterdeſſen
that der Sohn das Menſchenmögliche um die Sehnſucht nach dem Vater
wach zu halten. Die dem Lande geraubte Rotenburger Quart behielt er
für ſich,*) und nachdem der Bundestag ſich für incompetent erklärt hatte,
fruchteten alle Klagen der Stände nichts mehr.

Dem Landtage, der allerdings mehrmals wieder ausſichtsloſe Miniſter-
anklagen verſuchte, trat Miniſter Scheffer mit Geringſchätzung, noch höhni-
ſcher faſt als vordem Haſſenpflug, entgegen. Er verlangte die Schlüſſel
des Ständehauſes und ließ, als ſie ihm verweigert wurden, die Thüren
erbrechen, die Schlöſſer verändern; er verjagte die neu angeſtellten Steno-
graphen, obgleich die Verfaſſung öffentliche Berathungen verlangte; ein-
mal löſte er den Landtag mitten während einer Sitzung auf, mit den
barſchen Worten: meine Herren, Sie ſind entlaſſen! Es war als ob er
Händel ſuchte und gefliſſentlich immer neue Streitfragen aufſpürte. Ganz
unerwartet ſtellte er die Forderung auf, daß jeder Abgeordnete der drei
in der einen Kammer vereinigten Stände ſeinem Stande wirklich ange-
hören müſſe. Dies war in der Verfaſſung nicht vorgeſchrieben und bis-
her auch nicht befolgt worden. Doch die neue Berliner Lehre von der
ſtändiſchen Gliederung hatte jetzt auch in Caſſel ihre Gläubigen gefunden.
Die Regierung behauptete hartnäckig, jeder Abgeordnete vertrete nur die
Rechte ſeines Standes, und nach langem widerwärtigem Streit erreichte
ſie in der That, daß zwei Mißliebige dem Landtage fern bleiben mußten.

Den Clericalen war der Mitregent nicht hold; er ſelbſt glaubte freilich
nur an einen Gott, den Mammon, und liebte die reactionären Pietiſten,
die ſich an ihn herandrängten, ſehr wenig, noch weniger aber die römiſche
Kirche, die ſo leicht einen Staat im Staate bilden konnte. Darum hatte
der Biſchof von Fulda beſtändig, und meiſt mit Recht, über kleinliche bu-
reaukratiſche Quälerei zu klagen. Am allerwenigſten jedoch wollte Friedrich
Wilhelm von den neuen freigeiſteriſchen Kirchen wiſſen. Metternich, um
deſſen Gunſt er ſich eifrig bemühte weil er ſeiner Gemahlin den öſter-
reichiſchen Fürſtenhut zu verſchaffen hoffte, hatte ihn bei einem Beſuche
auf dem Johannisberge über die ſtaatsgefährlichen Pläne der Deutſch-
katholiken gründlich belehrt; und es war nur ein lächerlicher Zufall, daß
eben jetzt die Bonner Gelehrten Sybel und Gildemeiſter, die das Märchen
vom heiligen Rock ſo gründlich beleuchtet hatten, an die Marburger Uni-
verſität berufen wurden. Die literariſchen Sünden der Beiden waren ihm
von ſeinen Räthen ſorgfältig verborgen worden.**) Der Kurprinz verfolgte
die deutſchkatholiſche Sekte ſtreng, unbekümmert um die Vorſtellungen
des Landtags, verwehrte ihr durchaus Gemeinden zu bilden, obgleich ſie
im ganzen Lande kaum hundert Anhänger zählte; er ließ ſogar auf dem

*) S. o. IV. 623.
**) Nach einer freundlichen Mittheilung von H. v. Sybel.
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[664/0678] V. 9. Der Niedergang des Deutſchen Bundes. ſtänden und der meuteriſchen Hauptſtadt wieder leidlich aus. Unterdeſſen that der Sohn das Menſchenmögliche um die Sehnſucht nach dem Vater wach zu halten. Die dem Lande geraubte Rotenburger Quart behielt er für ſich, *) und nachdem der Bundestag ſich für incompetent erklärt hatte, fruchteten alle Klagen der Stände nichts mehr. Dem Landtage, der allerdings mehrmals wieder ausſichtsloſe Miniſter- anklagen verſuchte, trat Miniſter Scheffer mit Geringſchätzung, noch höhni- ſcher faſt als vordem Haſſenpflug, entgegen. Er verlangte die Schlüſſel des Ständehauſes und ließ, als ſie ihm verweigert wurden, die Thüren erbrechen, die Schlöſſer verändern; er verjagte die neu angeſtellten Steno- graphen, obgleich die Verfaſſung öffentliche Berathungen verlangte; ein- mal löſte er den Landtag mitten während einer Sitzung auf, mit den barſchen Worten: meine Herren, Sie ſind entlaſſen! Es war als ob er Händel ſuchte und gefliſſentlich immer neue Streitfragen aufſpürte. Ganz unerwartet ſtellte er die Forderung auf, daß jeder Abgeordnete der drei in der einen Kammer vereinigten Stände ſeinem Stande wirklich ange- hören müſſe. Dies war in der Verfaſſung nicht vorgeſchrieben und bis- her auch nicht befolgt worden. Doch die neue Berliner Lehre von der ſtändiſchen Gliederung hatte jetzt auch in Caſſel ihre Gläubigen gefunden. Die Regierung behauptete hartnäckig, jeder Abgeordnete vertrete nur die Rechte ſeines Standes, und nach langem widerwärtigem Streit erreichte ſie in der That, daß zwei Mißliebige dem Landtage fern bleiben mußten. Den Clericalen war der Mitregent nicht hold; er ſelbſt glaubte freilich nur an einen Gott, den Mammon, und liebte die reactionären Pietiſten, die ſich an ihn herandrängten, ſehr wenig, noch weniger aber die römiſche Kirche, die ſo leicht einen Staat im Staate bilden konnte. Darum hatte der Biſchof von Fulda beſtändig, und meiſt mit Recht, über kleinliche bu- reaukratiſche Quälerei zu klagen. Am allerwenigſten jedoch wollte Friedrich Wilhelm von den neuen freigeiſteriſchen Kirchen wiſſen. Metternich, um deſſen Gunſt er ſich eifrig bemühte weil er ſeiner Gemahlin den öſter- reichiſchen Fürſtenhut zu verſchaffen hoffte, hatte ihn bei einem Beſuche auf dem Johannisberge über die ſtaatsgefährlichen Pläne der Deutſch- katholiken gründlich belehrt; und es war nur ein lächerlicher Zufall, daß eben jetzt die Bonner Gelehrten Sybel und Gildemeiſter, die das Märchen vom heiligen Rock ſo gründlich beleuchtet hatten, an die Marburger Uni- verſität berufen wurden. Die literariſchen Sünden der Beiden waren ihm von ſeinen Räthen ſorgfältig verborgen worden. **) Der Kurprinz verfolgte die deutſchkatholiſche Sekte ſtreng, unbekümmert um die Vorſtellungen des Landtags, verwehrte ihr durchaus Gemeinden zu bilden, obgleich ſie im ganzen Lande kaum hundert Anhänger zählte; er ließ ſogar auf dem *) S. o. IV. 623. **) Nach einer freundlichen Mittheilung von H. v. Sybel.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 664. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/678>, abgerufen am 22.11.2024.