den? Der König selbst glaubte es fest; er meinte, durch jene Fragen, die er den Huldigenden gleichsam über den Kopf geworfen, sei eine ganz eigenartige Verbindung zwischen ihm und seinem Volke entstanden, höchst- persönlich wie einst das Verhältniß der mittelalterlichen Fürsten zu ihren Fideles. Immer wieder kam er darauf zurück. Noch fünf Jahre später, als die Magdeburger Stadtbehörden scharf, aber in gesetzlicher Form, einer seiner kirchenpolitischen Anordnungen widersprachen, ließ er ihnen die zornige Frage stellen: "ob das die Erfüllung des feierlichen Huldigungs- versprechens sei, mir beizustehen, mir treu zu helfen auf meiner schweren Bahn?"*)
Jenes rührende Gelöbniß, das er doch nur plötzlich, fortgerissen von der Größe des Augenblicks, halb erzwungen hatte, bestärkte ihn also in der unseligen Neigung, politische Gegner als persönliche Feinde, ja als Abtrünnige oder Meineidige zu behandeln. Sobald man nur erst anfing ruhig nachzudenken, mußte Jedermann einsehen, daß die hochtönenden Reden des Königs keinen einzigen politischen Gedanken enthielten: sie ver- kündeten nur den Anbruch einer neuen Zeit und sagten schlechterdings nicht was diese Zukunft bringen sollte. Darum meinte der kluge schlesische Fabrikant Milde trocken, der König sei ein großer Komödiant -- was er mit Absicht niemals war. Billiger urtheilte Friedrich v. Gagern; er sagte: solche Pfarrerspredigten, Domines Pratjes, bezeichnen nicht den Mann der That! Der Wind der Volksgunst setzte plötzlich um, am raschesten in der Haupt- stadt. Die Berliner schämten sich, so viel Gefühl gezeigt zu haben, und nun da sie sich wieder auf sich selbst besannen, begannen sie dem Fürsten zu zürnen, der sie durch den Zauber seiner Persönlichkeit verführt hatte, ihre eingefleischte ungemüthliche Altklugheit einmal zu verleugnen. Je stürmischer in den Festtagen der Enthusiasmus aufgebraust war, um so behaglicher entfalteten sich nunmehr alle Unarten des Berlinerthums: die Klatscherei, das kleinliche Afterreden, das Besserwissen in Allem und Jedem. Mit einer Bosheit, die an die schmählichen Zeiten des Tilsiter Friedens erinnerte, wurde Alles was von oben kam, bekrittelt, verhöhnt, heruntergerissen; und schon zeigten manche Schritte des Königs, wie unsicher er sich im Regimente fühlte. In Königsberg hatte er bei den üblichen Adelsverleihungen befohlen, daß der neue Titel nur mitsammt dem Grundbesitze der Familie auf den ältesten Sohn übergehen sollte; er mußte jedoch, wie vormals sein Schwager Ludwig von Baiern, die Erfahrung machen, daß dieser wohlgemeinte Versuch englischen Adelsbrauch in Deutschland einzubürgern auf den unüberwindlichen Widerstand alt- nationaler Sitten und Unsitten stieß. Bereits bei der Berliner Huldigung sah er sich genöthigt die neue Anordnung abzuändern weil die alten Edel- leute einen blos an der Scholle haftenden Adelstitel nicht für voll an-
*) König Friedrich Wilhelm an Thile, 29. Mai 1846.
Eindruck der königlichen Reden.
den? Der König ſelbſt glaubte es feſt; er meinte, durch jene Fragen, die er den Huldigenden gleichſam über den Kopf geworfen, ſei eine ganz eigenartige Verbindung zwiſchen ihm und ſeinem Volke entſtanden, höchſt- perſönlich wie einſt das Verhältniß der mittelalterlichen Fürſten zu ihren Fideles. Immer wieder kam er darauf zurück. Noch fünf Jahre ſpäter, als die Magdeburger Stadtbehörden ſcharf, aber in geſetzlicher Form, einer ſeiner kirchenpolitiſchen Anordnungen widerſprachen, ließ er ihnen die zornige Frage ſtellen: „ob das die Erfüllung des feierlichen Huldigungs- verſprechens ſei, mir beizuſtehen, mir treu zu helfen auf meiner ſchweren Bahn?“*)
Jenes rührende Gelöbniß, das er doch nur plötzlich, fortgeriſſen von der Größe des Augenblicks, halb erzwungen hatte, beſtärkte ihn alſo in der unſeligen Neigung, politiſche Gegner als perſönliche Feinde, ja als Abtrünnige oder Meineidige zu behandeln. Sobald man nur erſt anfing ruhig nachzudenken, mußte Jedermann einſehen, daß die hochtönenden Reden des Königs keinen einzigen politiſchen Gedanken enthielten: ſie ver- kündeten nur den Anbruch einer neuen Zeit und ſagten ſchlechterdings nicht was dieſe Zukunft bringen ſollte. Darum meinte der kluge ſchleſiſche Fabrikant Milde trocken, der König ſei ein großer Komödiant — was er mit Abſicht niemals war. Billiger urtheilte Friedrich v. Gagern; er ſagte: ſolche Pfarrerspredigten, Domines Pratjes, bezeichnen nicht den Mann der That! Der Wind der Volksgunſt ſetzte plötzlich um, am raſcheſten in der Haupt- ſtadt. Die Berliner ſchämten ſich, ſo viel Gefühl gezeigt zu haben, und nun da ſie ſich wieder auf ſich ſelbſt beſannen, begannen ſie dem Fürſten zu zürnen, der ſie durch den Zauber ſeiner Perſönlichkeit verführt hatte, ihre eingefleiſchte ungemüthliche Altklugheit einmal zu verleugnen. Je ſtürmiſcher in den Feſttagen der Enthuſiasmus aufgebrauſt war, um ſo behaglicher entfalteten ſich nunmehr alle Unarten des Berlinerthums: die Klatſcherei, das kleinliche Afterreden, das Beſſerwiſſen in Allem und Jedem. Mit einer Bosheit, die an die ſchmählichen Zeiten des Tilſiter Friedens erinnerte, wurde Alles was von oben kam, bekrittelt, verhöhnt, heruntergeriſſen; und ſchon zeigten manche Schritte des Königs, wie unſicher er ſich im Regimente fühlte. In Königsberg hatte er bei den üblichen Adelsverleihungen befohlen, daß der neue Titel nur mitſammt dem Grundbeſitze der Familie auf den älteſten Sohn übergehen ſollte; er mußte jedoch, wie vormals ſein Schwager Ludwig von Baiern, die Erfahrung machen, daß dieſer wohlgemeinte Verſuch engliſchen Adelsbrauch in Deutſchland einzubürgern auf den unüberwindlichen Widerſtand alt- nationaler Sitten und Unſitten ſtieß. Bereits bei der Berliner Huldigung ſah er ſich genöthigt die neue Anordnung abzuändern weil die alten Edel- leute einen blos an der Scholle haftenden Adelstitel nicht für voll an-
*) König Friedrich Wilhelm an Thile, 29. Mai 1846.
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Eindruck der königlichen Reden.
den? Der König ſelbſt glaubte es feſt; er meinte, durch jene Fragen,
die er den Huldigenden gleichſam über den Kopf geworfen, ſei eine ganz
eigenartige Verbindung zwiſchen ihm und ſeinem Volke entſtanden, höchſt-
perſönlich wie einſt das Verhältniß der mittelalterlichen Fürſten zu ihren
Fideles. Immer wieder kam er darauf zurück. Noch fünf Jahre ſpäter,
als die Magdeburger Stadtbehörden ſcharf, aber in geſetzlicher Form,
einer ſeiner kirchenpolitiſchen Anordnungen widerſprachen, ließ er ihnen
die zornige Frage ſtellen: „ob das die Erfüllung des feierlichen Huldigungs-
verſprechens ſei, mir beizuſtehen, mir treu zu helfen auf meiner ſchweren
Bahn?“ *)
Jenes rührende Gelöbniß, das er doch nur plötzlich, fortgeriſſen von
der Größe des Augenblicks, halb erzwungen hatte, beſtärkte ihn alſo in
der unſeligen Neigung, politiſche Gegner als perſönliche Feinde, ja als
Abtrünnige oder Meineidige zu behandeln. Sobald man nur erſt anfing
ruhig nachzudenken, mußte Jedermann einſehen, daß die hochtönenden
Reden des Königs keinen einzigen politiſchen Gedanken enthielten: ſie ver-
kündeten nur den Anbruch einer neuen Zeit und ſagten ſchlechterdings
nicht was dieſe Zukunft bringen ſollte. Darum meinte der kluge ſchleſiſche
Fabrikant Milde trocken, der König ſei ein großer Komödiant — was er mit
Abſicht niemals war. Billiger urtheilte Friedrich v. Gagern; er ſagte: ſolche
Pfarrerspredigten, Domines Pratjes, bezeichnen nicht den Mann der That!
Der Wind der Volksgunſt ſetzte plötzlich um, am raſcheſten in der Haupt-
ſtadt. Die Berliner ſchämten ſich, ſo viel Gefühl gezeigt zu haben, und
nun da ſie ſich wieder auf ſich ſelbſt beſannen, begannen ſie dem Fürſten
zu zürnen, der ſie durch den Zauber ſeiner Perſönlichkeit verführt hatte,
ihre eingefleiſchte ungemüthliche Altklugheit einmal zu verleugnen. Je
ſtürmiſcher in den Feſttagen der Enthuſiasmus aufgebrauſt war, um ſo
behaglicher entfalteten ſich nunmehr alle Unarten des Berlinerthums:
die Klatſcherei, das kleinliche Afterreden, das Beſſerwiſſen in Allem und
Jedem. Mit einer Bosheit, die an die ſchmählichen Zeiten des Tilſiter
Friedens erinnerte, wurde Alles was von oben kam, bekrittelt, verhöhnt,
heruntergeriſſen; und ſchon zeigten manche Schritte des Königs, wie
unſicher er ſich im Regimente fühlte. In Königsberg hatte er bei den
üblichen Adelsverleihungen befohlen, daß der neue Titel nur mitſammt
dem Grundbeſitze der Familie auf den älteſten Sohn übergehen ſollte;
er mußte jedoch, wie vormals ſein Schwager Ludwig von Baiern, die
Erfahrung machen, daß dieſer wohlgemeinte Verſuch engliſchen Adelsbrauch
in Deutſchland einzubürgern auf den unüberwindlichen Widerſtand alt-
nationaler Sitten und Unſitten ſtieß. Bereits bei der Berliner Huldigung
ſah er ſich genöthigt die neue Anordnung abzuändern weil die alten Edel-
leute einen blos an der Scholle haftenden Adelstitel nicht für voll an-
*) König Friedrich Wilhelm an Thile, 29. Mai 1846.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/67>, abgerufen am 23.11.2024.
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