So geschah das Aergste was geschehen konnte: der längst schon in ernstem Nachdenken gereifte Entschluß des Königs, mit dem ultra- montanen Parteiregimente zu brechen, wurde durch ein gemeines Weib gefördert und erschien, da er endlich zur Ausführung kam, als ein Werk unsauberer persönlicher Ränke. Sobald Lola's Parteistellung entschieden war, brachte die gesammte clericale Presse Deutschlands, so weit es die Censur irgend erlaubte, Tag für Tag Schmutzgeschichten vom Münchener Hofe; die Radicalen stimmten mit wiehernder Schadenfreude ein, wie glück- lich fühlten sie sich, das Königthum so persönlich entwürdigen zu können, und bald redete alle Welt, als ob der bairische Staat ganz aus den Fugen ginge. Die bairische Presse freilich mußte unverbrüchlich schweigen. In Wahrheit lag noch gar keine politische Missethat vor, sondern nur die phantastische Herzensverirrung eines Fürsten, der nach Allem was er für Deutschlands Kunst, für den Zollverein, für das bairische Land gethan, doch gewiß ein menschliches Urtheil verlangen durfte und grade jetzt im Begriffe stand, sein Volk von einer gehässigen Parteiherrschaft zu befreien. Eben diese Gewißheit ihres nahen Sturzes erbitterte die Ultramontanen auf's Aeußerste. Sie ließen über Lola's tolle Streiche von Aufpassern genau Buch führen und versuchten noch einmal den König zu warnen durch den Minister Graf Seinsheim, der als alter Freund mit Ludwig's früheren Liebeshändeln sehr genau bekannt war. Seinsheim empfing darauf die scharfe Weisung, sich jeder Einmischung in die Privat-Ange- legenheiten des Hofes zu enthalten, und seitdem ward die Sprache der versinkenden Partei mit jedem Tage trotziger.*) Im Januar 1847 über- nahm der Eichstädter Graf Reisach das Münchener Erzbisthum. Sein erster Hirtenbrief war ein Meisterstück pfäffischer Gleißnerei und Herrschsucht; er mahnte die Gläubigen "Euer Prüfstein in allen Dingen sei das Urtheil der Kirche", und sprach zugleich von den Tagen Max Joseph's, von "den traurigen Zeiten der Zerstörung der Kirche Baierns" mit einer berechneten Bosheit, welche den König tief verletzte.
Unterdessen konnte die mit Geschenken überhäufte Lola ihre Begehr- lichkeit nicht mehr bändigen, sie erbat sich von ihrem hohen Beschützer die Erhebung in den Grafenstand, und er war verblendet genug ihr diese Gnade zu versprechen. Wie thöricht immer, ungesetzlich war seine Zusage nicht. Standeserhöhungen gehörten zu den unbestrittenen Prärogativen der Krone; auch galt der Grafentitel in Baiern nicht gar viel, seit Karl Theodor in den Zeiten seines Reichsvicariats so viele arme Ritter gegraft hatte. Als Ausländerin bedurfte Lola aber zugleich der Verleihung des Indigenats, und für diese unbedeutende Förmlichkeit, die gemeinhin ganz glatt ablief, verlangte das Gesetz zunächst die Befragung des Staatsraths, sodann die Unterschrift eines Ministers. Der Staatsrath wagte abzu-
So geſchah das Aergſte was geſchehen konnte: der längſt ſchon in ernſtem Nachdenken gereifte Entſchluß des Königs, mit dem ultra- montanen Parteiregimente zu brechen, wurde durch ein gemeines Weib gefördert und erſchien, da er endlich zur Ausführung kam, als ein Werk unſauberer perſönlicher Ränke. Sobald Lola’s Parteiſtellung entſchieden war, brachte die geſammte clericale Preſſe Deutſchlands, ſo weit es die Cenſur irgend erlaubte, Tag für Tag Schmutzgeſchichten vom Münchener Hofe; die Radicalen ſtimmten mit wiehernder Schadenfreude ein, wie glück- lich fühlten ſie ſich, das Königthum ſo perſönlich entwürdigen zu können, und bald redete alle Welt, als ob der bairiſche Staat ganz aus den Fugen ginge. Die bairiſche Preſſe freilich mußte unverbrüchlich ſchweigen. In Wahrheit lag noch gar keine politiſche Miſſethat vor, ſondern nur die phantaſtiſche Herzensverirrung eines Fürſten, der nach Allem was er für Deutſchlands Kunſt, für den Zollverein, für das bairiſche Land gethan, doch gewiß ein menſchliches Urtheil verlangen durfte und grade jetzt im Begriffe ſtand, ſein Volk von einer gehäſſigen Parteiherrſchaft zu befreien. Eben dieſe Gewißheit ihres nahen Sturzes erbitterte die Ultramontanen auf’s Aeußerſte. Sie ließen über Lola’s tolle Streiche von Aufpaſſern genau Buch führen und verſuchten noch einmal den König zu warnen durch den Miniſter Graf Seinsheim, der als alter Freund mit Ludwig’s früheren Liebeshändeln ſehr genau bekannt war. Seinsheim empfing darauf die ſcharfe Weiſung, ſich jeder Einmiſchung in die Privat-Ange- legenheiten des Hofes zu enthalten, und ſeitdem ward die Sprache der verſinkenden Partei mit jedem Tage trotziger.*) Im Januar 1847 über- nahm der Eichſtädter Graf Reiſach das Münchener Erzbisthum. Sein erſter Hirtenbrief war ein Meiſterſtück pfäffiſcher Gleißnerei und Herrſchſucht; er mahnte die Gläubigen „Euer Prüfſtein in allen Dingen ſei das Urtheil der Kirche“, und ſprach zugleich von den Tagen Max Joſeph’s, von „den traurigen Zeiten der Zerſtörung der Kirche Baierns“ mit einer berechneten Bosheit, welche den König tief verletzte.
Unterdeſſen konnte die mit Geſchenken überhäufte Lola ihre Begehr- lichkeit nicht mehr bändigen, ſie erbat ſich von ihrem hohen Beſchützer die Erhebung in den Grafenſtand, und er war verblendet genug ihr dieſe Gnade zu verſprechen. Wie thöricht immer, ungeſetzlich war ſeine Zuſage nicht. Standeserhöhungen gehörten zu den unbeſtrittenen Prärogativen der Krone; auch galt der Grafentitel in Baiern nicht gar viel, ſeit Karl Theodor in den Zeiten ſeines Reichsvicariats ſo viele arme Ritter gegraft hatte. Als Ausländerin bedurfte Lola aber zugleich der Verleihung des Indigenats, und für dieſe unbedeutende Förmlichkeit, die gemeinhin ganz glatt ablief, verlangte das Geſetz zunächſt die Befragung des Staatsraths, ſodann die Unterſchrift eines Miniſters. Der Staatsrath wagte abzu-
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[652/0666]
V. 9. Der Niedergang des Deutſchen Bundes.
So geſchah das Aergſte was geſchehen konnte: der längſt ſchon
in ernſtem Nachdenken gereifte Entſchluß des Königs, mit dem ultra-
montanen Parteiregimente zu brechen, wurde durch ein gemeines Weib
gefördert und erſchien, da er endlich zur Ausführung kam, als ein Werk
unſauberer perſönlicher Ränke. Sobald Lola’s Parteiſtellung entſchieden
war, brachte die geſammte clericale Preſſe Deutſchlands, ſo weit es die
Cenſur irgend erlaubte, Tag für Tag Schmutzgeſchichten vom Münchener
Hofe; die Radicalen ſtimmten mit wiehernder Schadenfreude ein, wie glück-
lich fühlten ſie ſich, das Königthum ſo perſönlich entwürdigen zu können,
und bald redete alle Welt, als ob der bairiſche Staat ganz aus den Fugen
ginge. Die bairiſche Preſſe freilich mußte unverbrüchlich ſchweigen. In
Wahrheit lag noch gar keine politiſche Miſſethat vor, ſondern nur die
phantaſtiſche Herzensverirrung eines Fürſten, der nach Allem was er für
Deutſchlands Kunſt, für den Zollverein, für das bairiſche Land gethan,
doch gewiß ein menſchliches Urtheil verlangen durfte und grade jetzt im
Begriffe ſtand, ſein Volk von einer gehäſſigen Parteiherrſchaft zu befreien.
Eben dieſe Gewißheit ihres nahen Sturzes erbitterte die Ultramontanen
auf’s Aeußerſte. Sie ließen über Lola’s tolle Streiche von Aufpaſſern
genau Buch führen und verſuchten noch einmal den König zu warnen
durch den Miniſter Graf Seinsheim, der als alter Freund mit Ludwig’s
früheren Liebeshändeln ſehr genau bekannt war. Seinsheim empfing
darauf die ſcharfe Weiſung, ſich jeder Einmiſchung in die Privat-Ange-
legenheiten des Hofes zu enthalten, und ſeitdem ward die Sprache der
verſinkenden Partei mit jedem Tage trotziger. *) Im Januar 1847 über-
nahm der Eichſtädter Graf Reiſach das Münchener Erzbisthum. Sein erſter
Hirtenbrief war ein Meiſterſtück pfäffiſcher Gleißnerei und Herrſchſucht; er
mahnte die Gläubigen „Euer Prüfſtein in allen Dingen ſei das Urtheil
der Kirche“, und ſprach zugleich von den Tagen Max Joſeph’s, von „den
traurigen Zeiten der Zerſtörung der Kirche Baierns“ mit einer berechneten
Bosheit, welche den König tief verletzte.
Unterdeſſen konnte die mit Geſchenken überhäufte Lola ihre Begehr-
lichkeit nicht mehr bändigen, ſie erbat ſich von ihrem hohen Beſchützer
die Erhebung in den Grafenſtand, und er war verblendet genug ihr dieſe
Gnade zu verſprechen. Wie thöricht immer, ungeſetzlich war ſeine Zuſage
nicht. Standeserhöhungen gehörten zu den unbeſtrittenen Prärogativen
der Krone; auch galt der Grafentitel in Baiern nicht gar viel, ſeit Karl
Theodor in den Zeiten ſeines Reichsvicariats ſo viele arme Ritter gegraft
hatte. Als Ausländerin bedurfte Lola aber zugleich der Verleihung des
Indigenats, und für dieſe unbedeutende Förmlichkeit, die gemeinhin ganz
glatt ablief, verlangte das Geſetz zunächſt die Befragung des Staatsraths,
ſodann die Unterſchrift eines Miniſters. Der Staatsrath wagte abzu-
*) Bernſtorff’s Berichte, 14. Dec. 1846, 2. Febr. 1847.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 652. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/666>, abgerufen am 22.11.2024.
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