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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.
Königsberger Rede des Posener Landtagsmarschalls, weil sie die Polen in
Warschau und Lemberg aufwiegeln müsse. Der greise Erzherzog Karl
hingegen sagte zu Maltzan hocherfreut: die Reden des Königs haben den
öffentlichen Geist geweckt, "ich erhoffe davon das gemeinschaftliche Wohl
des deutschen Vaterlandes."*) Welch ein Abstand doch zwischen diesem fest-
gewurzelten deutschen Königthum und der Monarchie der Julirevolu-
tion! An dem nämlichen Tage, da dem preußischen Könige das jauch-
zende Ja seiner Getreuen entgegen scholl, richtete in Paris ein Mordge-
selle -- es war seit zehn Jahren der fünfte -- die tödliche Waffe gegen
Ludwig Philipp. Und war es nicht auch ein Triumph für die Sache
des Königthums daß sie einen so glänzenden persönlichen Vertreter fand?
Bisher hatten die Liberalen sich im alleinigen Besitze der Bildung und
der Beredsamkeit gewähnt, da die trockenen Geschäftsmänner der kleinen
Regierungen als Redner gegen die Wortführer der Opposition nur
selten aufkamen. Jetzt trat ein gekröntes Haupt auf, das durch den Adel
seiner Rede und die Fülle seiner Bildung den Liberalismus ganz zu ver-
dunkeln schien. Die strengen Hallerianer frohlockten über die so plötz-
lich wieder erstarkte Macht des Königthums von Gottes Gnaden. Nun
endlich, rief das Berliner Wochenblatt, wird dem revolutionären Reprä-
sentativsystem des Auslands etwas Positives entgegengestellt, der Patri-
monialstaat: "Derjenige müßte den Irrlehren der neuzeitlichen Staatslehre
bis zum Stumpfsinn verfallen sein, wer ein dürftiges Schreibwerk, was
die Fürsten und Völker einander mißtrauisch gegenübergestellt, diesen im
Angesicht Gottes und der Menschen übernommenen Verpflichtungen vor-
ziehen wollte."

Aber nach den unmäßigen Uebertreibungen der Huldigungstage
mußte in einem verständigen Volke sehr bald der Rückschlag eintreten.
Die Ernüchterung zeigte sich zuerst in den Kreisen der strammen Mon-
archisten. Sie empfanden die überschwängliche Verherrlichung des Sohnes
als eine Undankbarkeit gegen den Vater, und man bemerkte bald, wie
nachdrücklich der Prinz von Preußen in seinen Anreden an die Offiziere
immer wieder die unvergeßlichen Verdienste des verstorbenen Königs
hervorhob.**) Eben diesen Männern, die mit ihren Schwüren kein Spiel
treiben wollten, drängte sich unabweisbar die Frage auf: was es denn
eigentlich bedeuten sollte, daß der neue König außer dem Huldigungs-
eide, der ihm von Rechtswegen gebührte, noch ein zweites Versprechen
gefordert hatte? Wer in solcher Weise ein freies Ja von seinen Unter-
thanen erbat, der gab ihnen auch das gefährliche Recht Nein zu sagen.
Und war denn wirklich durch jenes feierliche Ja eine neue, über die all-
gemeine Unterthanenpflicht hinausgehende Verbindlichkeit begründet wor-

*) Maltzan's Berichte, Oct. Nov. 1840.
**) Berger's Bericht, 6. Jan. 1841.

V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.
Königsberger Rede des Poſener Landtagsmarſchalls, weil ſie die Polen in
Warſchau und Lemberg aufwiegeln müſſe. Der greiſe Erzherzog Karl
hingegen ſagte zu Maltzan hocherfreut: die Reden des Königs haben den
öffentlichen Geiſt geweckt, „ich erhoffe davon das gemeinſchaftliche Wohl
des deutſchen Vaterlandes.“*) Welch ein Abſtand doch zwiſchen dieſem feſt-
gewurzelten deutſchen Königthum und der Monarchie der Julirevolu-
tion! An dem nämlichen Tage, da dem preußiſchen Könige das jauch-
zende Ja ſeiner Getreuen entgegen ſcholl, richtete in Paris ein Mordge-
ſelle — es war ſeit zehn Jahren der fünfte — die tödliche Waffe gegen
Ludwig Philipp. Und war es nicht auch ein Triumph für die Sache
des Königthums daß ſie einen ſo glänzenden perſönlichen Vertreter fand?
Bisher hatten die Liberalen ſich im alleinigen Beſitze der Bildung und
der Beredſamkeit gewähnt, da die trockenen Geſchäftsmänner der kleinen
Regierungen als Redner gegen die Wortführer der Oppoſition nur
ſelten aufkamen. Jetzt trat ein gekröntes Haupt auf, das durch den Adel
ſeiner Rede und die Fülle ſeiner Bildung den Liberalismus ganz zu ver-
dunkeln ſchien. Die ſtrengen Hallerianer frohlockten über die ſo plötz-
lich wieder erſtarkte Macht des Königthums von Gottes Gnaden. Nun
endlich, rief das Berliner Wochenblatt, wird dem revolutionären Reprä-
ſentativſyſtem des Auslands etwas Poſitives entgegengeſtellt, der Patri-
monialſtaat: „Derjenige müßte den Irrlehren der neuzeitlichen Staatslehre
bis zum Stumpfſinn verfallen ſein, wer ein dürftiges Schreibwerk, was
die Fürſten und Völker einander mißtrauiſch gegenübergeſtellt, dieſen im
Angeſicht Gottes und der Menſchen übernommenen Verpflichtungen vor-
ziehen wollte.“

Aber nach den unmäßigen Uebertreibungen der Huldigungstage
mußte in einem verſtändigen Volke ſehr bald der Rückſchlag eintreten.
Die Ernüchterung zeigte ſich zuerſt in den Kreiſen der ſtrammen Mon-
archiſten. Sie empfanden die überſchwängliche Verherrlichung des Sohnes
als eine Undankbarkeit gegen den Vater, und man bemerkte bald, wie
nachdrücklich der Prinz von Preußen in ſeinen Anreden an die Offiziere
immer wieder die unvergeßlichen Verdienſte des verſtorbenen Königs
hervorhob.**) Eben dieſen Männern, die mit ihren Schwüren kein Spiel
treiben wollten, drängte ſich unabweisbar die Frage auf: was es denn
eigentlich bedeuten ſollte, daß der neue König außer dem Huldigungs-
eide, der ihm von Rechtswegen gebührte, noch ein zweites Verſprechen
gefordert hatte? Wer in ſolcher Weiſe ein freies Ja von ſeinen Unter-
thanen erbat, der gab ihnen auch das gefährliche Recht Nein zu ſagen.
Und war denn wirklich durch jenes feierliche Ja eine neue, über die all-
gemeine Unterthanenpflicht hinausgehende Verbindlichkeit begründet wor-

*) Maltzan’s Berichte, Oct. Nov. 1840.
**) Berger’s Bericht, 6. Jan. 1841.
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[52/0066] V. 1. Die frohen Tage der Erwartung. Königsberger Rede des Poſener Landtagsmarſchalls, weil ſie die Polen in Warſchau und Lemberg aufwiegeln müſſe. Der greiſe Erzherzog Karl hingegen ſagte zu Maltzan hocherfreut: die Reden des Königs haben den öffentlichen Geiſt geweckt, „ich erhoffe davon das gemeinſchaftliche Wohl des deutſchen Vaterlandes.“ *) Welch ein Abſtand doch zwiſchen dieſem feſt- gewurzelten deutſchen Königthum und der Monarchie der Julirevolu- tion! An dem nämlichen Tage, da dem preußiſchen Könige das jauch- zende Ja ſeiner Getreuen entgegen ſcholl, richtete in Paris ein Mordge- ſelle — es war ſeit zehn Jahren der fünfte — die tödliche Waffe gegen Ludwig Philipp. Und war es nicht auch ein Triumph für die Sache des Königthums daß ſie einen ſo glänzenden perſönlichen Vertreter fand? Bisher hatten die Liberalen ſich im alleinigen Beſitze der Bildung und der Beredſamkeit gewähnt, da die trockenen Geſchäftsmänner der kleinen Regierungen als Redner gegen die Wortführer der Oppoſition nur ſelten aufkamen. Jetzt trat ein gekröntes Haupt auf, das durch den Adel ſeiner Rede und die Fülle ſeiner Bildung den Liberalismus ganz zu ver- dunkeln ſchien. Die ſtrengen Hallerianer frohlockten über die ſo plötz- lich wieder erſtarkte Macht des Königthums von Gottes Gnaden. Nun endlich, rief das Berliner Wochenblatt, wird dem revolutionären Reprä- ſentativſyſtem des Auslands etwas Poſitives entgegengeſtellt, der Patri- monialſtaat: „Derjenige müßte den Irrlehren der neuzeitlichen Staatslehre bis zum Stumpfſinn verfallen ſein, wer ein dürftiges Schreibwerk, was die Fürſten und Völker einander mißtrauiſch gegenübergeſtellt, dieſen im Angeſicht Gottes und der Menſchen übernommenen Verpflichtungen vor- ziehen wollte.“ Aber nach den unmäßigen Uebertreibungen der Huldigungstage mußte in einem verſtändigen Volke ſehr bald der Rückſchlag eintreten. Die Ernüchterung zeigte ſich zuerſt in den Kreiſen der ſtrammen Mon- archiſten. Sie empfanden die überſchwängliche Verherrlichung des Sohnes als eine Undankbarkeit gegen den Vater, und man bemerkte bald, wie nachdrücklich der Prinz von Preußen in ſeinen Anreden an die Offiziere immer wieder die unvergeßlichen Verdienſte des verſtorbenen Königs hervorhob. **) Eben dieſen Männern, die mit ihren Schwüren kein Spiel treiben wollten, drängte ſich unabweisbar die Frage auf: was es denn eigentlich bedeuten ſollte, daß der neue König außer dem Huldigungs- eide, der ihm von Rechtswegen gebührte, noch ein zweites Verſprechen gefordert hatte? Wer in ſolcher Weiſe ein freies Ja von ſeinen Unter- thanen erbat, der gab ihnen auch das gefährliche Recht Nein zu ſagen. Und war denn wirklich durch jenes feierliche Ja eine neue, über die all- gemeine Unterthanenpflicht hinausgehende Verbindlichkeit begründet wor- *) Maltzan’s Berichte, Oct. Nov. 1840. **) Berger’s Bericht, 6. Jan. 1841.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/66>, abgerufen am 27.11.2024.