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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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V. 8. Der Vereinigte Landtag.
genugsam bewiesen hatten. Einstimmig erklärten sie, daß sie wählen würden,
wenn auch unter Vorbehalt der Rechte des Landtags. Das Ergebniß
war, daß nur 58 Abgeordnete sich der Wahl enthielten; darunter waren
28 Rheinländer, Hansemann, Mevissen und ihre Anhänger, aber kein
einziges Mitglied der Herrencurie. 157 Mitglieder wählten unter ver-
schiedenen Vorbehalten, die allesammt gesetzlich nichts bedeuteten; 284
wählten unbedingt. Der Versuch, die Erklärung der Rechte zu wiederholen,
war also kläglich gescheitert; Vincke hatte abermals seiner eigenen Partei
eine Niederlage bereitet. Gleichwohl hinterließ diese vielbestrittene Wahl
peinliche Eindrücke. Man trennte sich nicht gradehin in Feindschaft, aber
mit dem schmerzlichen Gefühle, daß köstliche Kräfte fast nutzlos vergeudet
waren. Bodelschwingh selbst sprach, als er die Sitzungen schloß, tief be-
wegt aus: "daß die Ergebnisse des Vereinigten Landtags weniger frucht-
bringend für das Land gewesen sind als sie es hätten sein können." Im
Volke hatten die glänzenden Redner des Landtags viel Bewunderung ge-
funden; ihnen gegenüber war das gefürchtete Beamtenthum, da es eigent-
lich nur durch Bodelschwingh und einige tüchtige Regierungscommissäre,
wie Kühne, würdig vertreten wurde, sehr schwach erschienen, viel schwächer
als es wirklich war. Jedoch ein starkes, sicheres Gefühl, sei es des Hasses
sei es der Freude, konnten diese so geistreichen und doch so wunderlich
verworrenen Verhandlungen nirgends erregen. Auch die Treuen wußten
nicht mehr woran sie sich halten sollten, und solcher rathloser Mißmuth war
zu allen Zeiten der fruchtbare Nährboden der Revolution. An dieser ge-
fährlichen Verstimmung trug aber Niemand größere Schuld als der König,
der die Nation so ganz väterlich nach seinen unerforschlichen Rathschlüssen
gängeln wollte.

Die Schlußverhandlungen des Landtags steigerten den Unwillen Fried-
rich Wilhelm's auf's Höchste. Er dachte alles Ernstes, die Abgeordneten,
welche die Wahl verweigert hatten, aus dem Landtage auszuschließen oder
sie wegen Ungehorsams zu bestrafen. Die Oberpräsidenten der unzu-
friedenen Provinzen aber stellten ihm allesammt dringend vor, solche Maß-
regeln würden die Mißstimmung verschärfen, und so ward der Plan auf-
gegeben.*) Besser begründet war der Zorn des Königs wider die Landräthe
Vincke, Bockum-Dolffs, Bardeleben, Platen, die sich unter den Liberalen
hervorgethan hatten. Sobald es ernst ward mit dem ständischen Leben,
mußte die Stellung der Regierungsbeamten im Landtage irgendwie ge-
ordnet werden. Daß der Landrath Vincke, der Untergebene Bodelschwingh's
als Führer einer unversöhnlichen, die gesammte Rechtsanschauung der
Minister bestreitenden Opposition aufgetreten war, ließ sich mit der Manns-
zucht einer geordneten Verwaltung kaum noch vereinbaren. Auf königlichen

*) Berichte an Bodelschwingh von den Oberpräsidenten Wedell, 17. Juli, Eich-
mann, 8. Juli, Bötticher, 5. Aug. 1847.

V. 8. Der Vereinigte Landtag.
genugſam bewieſen hatten. Einſtimmig erklärten ſie, daß ſie wählen würden,
wenn auch unter Vorbehalt der Rechte des Landtags. Das Ergebniß
war, daß nur 58 Abgeordnete ſich der Wahl enthielten; darunter waren
28 Rheinländer, Hanſemann, Meviſſen und ihre Anhänger, aber kein
einziges Mitglied der Herrencurie. 157 Mitglieder wählten unter ver-
ſchiedenen Vorbehalten, die alleſammt geſetzlich nichts bedeuteten; 284
wählten unbedingt. Der Verſuch, die Erklärung der Rechte zu wiederholen,
war alſo kläglich geſcheitert; Vincke hatte abermals ſeiner eigenen Partei
eine Niederlage bereitet. Gleichwohl hinterließ dieſe vielbeſtrittene Wahl
peinliche Eindrücke. Man trennte ſich nicht gradehin in Feindſchaft, aber
mit dem ſchmerzlichen Gefühle, daß köſtliche Kräfte faſt nutzlos vergeudet
waren. Bodelſchwingh ſelbſt ſprach, als er die Sitzungen ſchloß, tief be-
wegt aus: „daß die Ergebniſſe des Vereinigten Landtags weniger frucht-
bringend für das Land geweſen ſind als ſie es hätten ſein können.“ Im
Volke hatten die glänzenden Redner des Landtags viel Bewunderung ge-
funden; ihnen gegenüber war das gefürchtete Beamtenthum, da es eigent-
lich nur durch Bodelſchwingh und einige tüchtige Regierungscommiſſäre,
wie Kühne, würdig vertreten wurde, ſehr ſchwach erſchienen, viel ſchwächer
als es wirklich war. Jedoch ein ſtarkes, ſicheres Gefühl, ſei es des Haſſes
ſei es der Freude, konnten dieſe ſo geiſtreichen und doch ſo wunderlich
verworrenen Verhandlungen nirgends erregen. Auch die Treuen wußten
nicht mehr woran ſie ſich halten ſollten, und ſolcher rathloſer Mißmuth war
zu allen Zeiten der fruchtbare Nährboden der Revolution. An dieſer ge-
fährlichen Verſtimmung trug aber Niemand größere Schuld als der König,
der die Nation ſo ganz väterlich nach ſeinen unerforſchlichen Rathſchlüſſen
gängeln wollte.

Die Schlußverhandlungen des Landtags ſteigerten den Unwillen Fried-
rich Wilhelm’s auf’s Höchſte. Er dachte alles Ernſtes, die Abgeordneten,
welche die Wahl verweigert hatten, aus dem Landtage auszuſchließen oder
ſie wegen Ungehorſams zu beſtrafen. Die Oberpräſidenten der unzu-
friedenen Provinzen aber ſtellten ihm alleſammt dringend vor, ſolche Maß-
regeln würden die Mißſtimmung verſchärfen, und ſo ward der Plan auf-
gegeben.*) Beſſer begründet war der Zorn des Königs wider die Landräthe
Vincke, Bockum-Dolffs, Bardeleben, Platen, die ſich unter den Liberalen
hervorgethan hatten. Sobald es ernſt ward mit dem ſtändiſchen Leben,
mußte die Stellung der Regierungsbeamten im Landtage irgendwie ge-
ordnet werden. Daß der Landrath Vincke, der Untergebene Bodelſchwingh’s
als Führer einer unverſöhnlichen, die geſammte Rechtsanſchauung der
Miniſter beſtreitenden Oppoſition aufgetreten war, ließ ſich mit der Manns-
zucht einer geordneten Verwaltung kaum noch vereinbaren. Auf königlichen

*) Berichte an Bodelſchwingh von den Oberpräſidenten Wedell, 17. Juli, Eich-
mann, 8. Juli, Bötticher, 5. Aug. 1847.
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[642/0656] V. 8. Der Vereinigte Landtag. genugſam bewieſen hatten. Einſtimmig erklärten ſie, daß ſie wählen würden, wenn auch unter Vorbehalt der Rechte des Landtags. Das Ergebniß war, daß nur 58 Abgeordnete ſich der Wahl enthielten; darunter waren 28 Rheinländer, Hanſemann, Meviſſen und ihre Anhänger, aber kein einziges Mitglied der Herrencurie. 157 Mitglieder wählten unter ver- ſchiedenen Vorbehalten, die alleſammt geſetzlich nichts bedeuteten; 284 wählten unbedingt. Der Verſuch, die Erklärung der Rechte zu wiederholen, war alſo kläglich geſcheitert; Vincke hatte abermals ſeiner eigenen Partei eine Niederlage bereitet. Gleichwohl hinterließ dieſe vielbeſtrittene Wahl peinliche Eindrücke. Man trennte ſich nicht gradehin in Feindſchaft, aber mit dem ſchmerzlichen Gefühle, daß köſtliche Kräfte faſt nutzlos vergeudet waren. Bodelſchwingh ſelbſt ſprach, als er die Sitzungen ſchloß, tief be- wegt aus: „daß die Ergebniſſe des Vereinigten Landtags weniger frucht- bringend für das Land geweſen ſind als ſie es hätten ſein können.“ Im Volke hatten die glänzenden Redner des Landtags viel Bewunderung ge- funden; ihnen gegenüber war das gefürchtete Beamtenthum, da es eigent- lich nur durch Bodelſchwingh und einige tüchtige Regierungscommiſſäre, wie Kühne, würdig vertreten wurde, ſehr ſchwach erſchienen, viel ſchwächer als es wirklich war. Jedoch ein ſtarkes, ſicheres Gefühl, ſei es des Haſſes ſei es der Freude, konnten dieſe ſo geiſtreichen und doch ſo wunderlich verworrenen Verhandlungen nirgends erregen. Auch die Treuen wußten nicht mehr woran ſie ſich halten ſollten, und ſolcher rathloſer Mißmuth war zu allen Zeiten der fruchtbare Nährboden der Revolution. An dieſer ge- fährlichen Verſtimmung trug aber Niemand größere Schuld als der König, der die Nation ſo ganz väterlich nach ſeinen unerforſchlichen Rathſchlüſſen gängeln wollte. Die Schlußverhandlungen des Landtags ſteigerten den Unwillen Fried- rich Wilhelm’s auf’s Höchſte. Er dachte alles Ernſtes, die Abgeordneten, welche die Wahl verweigert hatten, aus dem Landtage auszuſchließen oder ſie wegen Ungehorſams zu beſtrafen. Die Oberpräſidenten der unzu- friedenen Provinzen aber ſtellten ihm alleſammt dringend vor, ſolche Maß- regeln würden die Mißſtimmung verſchärfen, und ſo ward der Plan auf- gegeben. *) Beſſer begründet war der Zorn des Königs wider die Landräthe Vincke, Bockum-Dolffs, Bardeleben, Platen, die ſich unter den Liberalen hervorgethan hatten. Sobald es ernſt ward mit dem ſtändiſchen Leben, mußte die Stellung der Regierungsbeamten im Landtage irgendwie ge- ordnet werden. Daß der Landrath Vincke, der Untergebene Bodelſchwingh’s als Führer einer unverſöhnlichen, die geſammte Rechtsanſchauung der Miniſter beſtreitenden Oppoſition aufgetreten war, ließ ſich mit der Manns- zucht einer geordneten Verwaltung kaum noch vereinbaren. Auf königlichen *) Berichte an Bodelſchwingh von den Oberpräſidenten Wedell, 17. Juli, Eich- mann, 8. Juli, Bötticher, 5. Aug. 1847.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 642. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/656>, abgerufen am 22.11.2024.